„Sach ma, wasn nun mit der Ukraine und so?“. Mehmet steht in seinem Bart Simpson-Schlafanzug im Hausflur und pult sich genüsslich in der Nase. Was für ein kluges Kind, denke ich noch etwas gebauchmietzelt, dass er mir diese schwierige Frage stellt, als er nachhakt. „Zum Fasching geh ich als Putin, Papa hat gesagt, das geht klar.“
Jetzt ist es sicherlich auch Kindern gegenüber nicht höflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, aber angesichts des Putin-Kostüms, was sich da eher schemenhaft visualisierte, schien die Ukraine nicht so wichtig. „Warum ausgerechnet Putin?“, höre ich mich noch den Zehnjährigen fragen, als er wie eine stumme Antwort langsam aber bestimmt einen kleinen Plastikpanzer hinter seinem Rücken hervorholt, um stolz die Funktionen wie rattern, knattern und auf der Stelle drehen zu präsentieren.
Womit nun zwar klar wurde, wo sich die andere Hand des Nachbarkindes die ganze Zeit versteckt hatte, aber gleichzeitig das gute alte Krieg und Frieden-Thema gewitterschwanger die Bühne unseres Hausflurdialogs betrat.
„Putin lässt aber gerade in der Ukraine Menschen umbringen, auch Kinder wie dich. Mit solchen Panzern da.“ Nein, ich habe keine eigenen Kinder, aber das muss funktionieren.
„Dann ist er aber doch stärker als alle, alle anderen. Und keiner traut sich, den zu verkloppen!“ Mehmet lässt dabei bereits das dritte Mal den kleinen Panzer gegen meinen großen Zeh donnern und grinst schräg in mein etwas ratloses Gesicht. Also nun doch noch Erziehungsaufgaben oder irgendeine schlagkräftige Antwort, die sich einprägt.
„Aber dann geh doch besser als Adolf Hitler. Der hat ganz viele Länder überfallen lassen und viel mehr Menschen umgebracht als Putin.“
Mehmet wiegt den Kopf hin und her, das macht er immer, wenn sich eine schreckliche Idee ihren Weg bahnt. Als die Wohnungstür hinter ihm zuklappt, höre ich nur noch „Papa, Papa, Hitler wäre viiieeel besser.“
Ich freu mich schon auf das nächste Gespräch mit seinem Vater. Vielleicht reden wir ja mal über männliche Vorbilder, die begonnene Wiederaufrüstung in Europa und andere Lösungen im 21. Jahrhundert. Und die Ukraine. Wenn es sich anbietet, nach dem Fasching.
„Krieg und Frieden“ erschien erstmals am 1. April 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 100 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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