Der sächsische Europaabgeordnete Matthias Ecke und ich hatten uns für den 13. März in seinem Abgeordnetenbüro in Strasbourg zu einem Gespräch verabredet. Unsere Themen waren: Was bedeutet Europapolitik für Sachsen, was ist das Europäische Semester und was wurde mit dem Aktionsplan für die Automobilindustrie festgelegt?
Herr Ecke, Sie sind Abgeordneter im Europäischen Parlament für die SPD, in der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Und Sie sind im Ausschuss für Industrie, Forschung, Energie, im Unterausschuss für Steuerfragen und im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und Vertreter im Ausschuss für regionale Entwicklung. Sie sind ja in Sachsen gewählt. Zuerst die Frage: Was bedeutet es für Sie, die SPD und Sachsen im Europaparlament zu vertreten?
Es ist vor allem die Möglichkeit, dass wir hier im Europaparlament, das ist ja quasi die Essenz des europäischen Gedankens, Konflikte gemeinsam friedlich und demokratisch lösen, dass man gemeinsam Europa stärker macht, indem man sagt, man nimmt die Stärken der ganzen Nationalstaaten zusammen und schafft sich gegenseitig auch Unterstützung und Mehrwert.
Und wir sehen ja gerade in einer Welt, die immer feindseliger wird und wo es für Europa nicht so einfach ist, dass sich einzelne Nationalstaaten gar nicht mehr behaupten könnten. Da ist es wichtig, dass wir als EU zusammenstehen. Und gleichzeitig ist es aber auch so: Natürlich haben wir unterschiedliche Vorstellungen davon, wohin es mit der EU gehen soll und was für Politik die richtige ist für Europa. Und die bringen wir hier miteinander im Wettstreit, so wie es in jedem Parlament, im Bund, im Land, überall auch ist.
Wie macht man das als Europaabgeordneter? Sie sind mal in Brüssel, mal in Straßburg, leidet da das Familienleben?
Na ja, ich lebe mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern in Dresden und da bin ich auch jedes Wochenende. Unter der Woche bin ich halt oft unterwegs. Das ist nicht schön, aber wir haben einen Weg gefunden, wie wir es organisieren. Und mir ist aber wichtig, dass ich auch immer wieder da bin. Und da kriegt man natürlich, wenn man kleine Kinder hat, vom Alltag vielleicht sogar noch ein bisschen mehr mit, als wenn man nur in Brüssel ist.
Diese Woche war ja schon einiges auf dem Programm. Die Roadmap Women’s Right, das Europäische Semester für wirtschaftliche Koordinierung und der Aktionsplan für die Automobilindustrie nur als Beispiele genannt. Das Europäische Semester, was ist das eigentlich?
Da geht es darum, dass die EU-Mitgliedstaaten ja alle eine eigene Wirtschafts- und auch Finanzpolitik machen. Also alle einen eigenen Haushalt aufstellen, Schulden aufnehmen oder Schulden zurückzahlen. Da wir aber eine gemeinsame Währung haben, den Euro, zumindest die allermeisten EU-Staaten, sind unsere Wirtschaften ja auch aufeinander angewiesen und unsere Finanzpolitik ist miteinander verknüpft.
Das europäische Semester hat den Anspruch, dass man diese Politik besser miteinander koordinieren kann. Deswegen machen die Mitgliedstaaten Pläne, wie ihr Haushalt strukturiert ist, was sie vorhaben, und geben diese an die Kommission. Die Kommission bewertet das, bringt das in den ganzen Ausgleich und gibt dann auch länderspezifische Empfehlungen ab. Wir haben ja auch EU-Schuldenregeln, die es Ländern unmöglich machen, über einen längeren Zeitraum ein bestimmtes Maß an Schulden zu überschreiten.
Das haben wir vor einem Jahr erst reformiert, weil das alte System nicht mehr funktioniert hat. Und jetzt geht es auch darum: Hat sich das bewährt, wie läuft das? Und darüber haben wir heute diskutiert im Parlament.
Die Diskussion war ja durchaus konträr, es gab ja verschiedene Stimmen. Wie ist denn so jetzt generell die Stimmung zu gemeinsamen Projekten? Findet man noch einen Konsens?
Klar findet man einen Konsens. Aber es gibt natürlich auch große Diskrepanzen, weil das hier ist ein Parlament, das ist ein politischer Raum und hier ringen ja unterschiedliche Ideen miteinander. Gerade wenn es um Fragen geht wie: Was machen Nationalstaaten eigentlich mit ihrem Geld, wo investieren sie, wo sparen sie, wie steht das alles miteinander im Zusammenhang?
Da werden ja ganz viele Wertefragen verhandelt. Wenn wir sehen, was gerade in Deutschland passiert, dass man nach vielen Jahren sagt: Die Schuldenbremse ist uns doch zu eng und es ist vielleicht auch eine kleine Zwangsjacke. Die deutsche Schuldenbremse ist im Übrigen strenger als die europäischen Regeln, also die hindert uns stärker am Investieren.
Und was wir da gerade machen wollen ist, dass wir sagen, wir müssen mehr in Verteidigung investieren, aber gleichzeitig wollen wir auch in Infrastruktur investieren, in Krankenhäuser, Schulen, in Wohnungsbau. Und das finde ich erstens den richtigen Weg, das habe ich dann heute auch in meiner Rede deutlich gemacht, dass man nicht das eine gegen das andere ausspielen darf.
Der Aktionsplan für die Automobilindustrie interessiert natürlich sehr viele Menschen. Ein Aktionsplan ist ja kein Gesetz, keine Regelung, sondern einfach eine gemeinsame Willensbekundung. Was bedeutet der Aktionsplan eigentlich?
Es gab einen Dialog der neuen EU-Kommission mit der Automobilindustrie und den Gewerkschaften, aber durchaus auch mit Nichtregierungsorganisationen, dass man auch sagt: Wo stehen wir, wie ist die Marktentwicklung, was für Probleme gibt es? Und ja, wir müssen uns nichts vormachen, es gibt natürlich Probleme in der Autoindustrie in Europa, das spüren wir in Sachsen, das spüren wir in Deutschland, aber auch in anderen Teilen Europas.
Wo soll es hingehen, wo ist künftig der Absatzmarkt für europäische Autos, wie ist die Zukunft der Autoindustrie? Was die Kommission jetzt gemacht hat, ist im Ergebnis dieses Dialogs, einen Aktionsplan vorzuschlagen.
Meiner Einschätzung nach geht der in vielen Bereichen schon in die richtige Richtung, aber in manchen ist er nicht entschlossen genug. Die haben den heute vorgestellt und einige dieser Punkte, die sie dort vorgestellt haben, werden dann auch konkret die Gesetzgebung in Europa ändern. Also beispielsweise haben wir uns länger über die sogenannten Flottengrenzwerte unterhalten, also: Was dürfen Autos an CO₂ ausstoßen? Da wissen wir ja, dass das über die Jahre nach unten gehen muss, dass wir auf dem Weg zu Nullemissionsautos sind bis 2035.
Da hat die Kommission jetzt gesagt: Wir finden einen pragmatischen Weg, um zu berechnen, ob die Hersteller diesen Anforderungen nachkommen oder nicht. Wenn sie dem nämlich nicht nachkommen, müssen sie Strafen zahlen. Den Weg, den die Kommission da eingeschlagen hat, zu sagen, nach 2035 sollen keine Autos mehr in Europa zugelassen werden, die fossile Verbrenner sind, finde ich an sich richtig. Aber auf dem Weg dahin müssen wir einen pragmatischen Weg finden.

Wir brauchen zum Beispiel mehr Nachfrageimpulse. Wir verhandeln das ja jetzt auch im Koalitionsvertrag in Berlin, dass man sagt: Solange E-Autos in der Anschaffung noch teurer sind, müssen wir diesen Impuls noch ein bisschen abfedern, indem man zum Beispiel Kaufprämien macht, indem man wie in Frankreich Leasing für Menschen mit geringem Einkommen anbietet.
Denn: Mittelfristig wird es günstiger sein, mit Strom zu fahren. Der Strom wird billiger durch die erneuerbaren Energien, Benzin wird teurer werden durch den Emissionshandel. Und unser Ansatz als Sozialdemokraten ist, dass man diese neue Technologie unterstützt und dass man jetzt nicht sagt, nach drei Jahren Puste-Kuchen, es ist jetzt doch nichts, wir machen wieder so weiter wie die letzten 30 Jahre.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das Verbrenner-Aus nicht gekippt? Nur die Abstufung der Flottengrenzwerte in Richtung 2035 hat sich geändert?
Noch hat sich nichts geändert, die Kommission schlägt das vor. Die Kommission muss immer den Gesetzgebungsprozess anstoßen. Was sie vorschlagen, ist eine sehr gezielte Anpassung dieses einen Paragrafen in den Flottengrenzwerten, der die Berechnung der Strafzahlung dann regelt. Und die sagen, wir gucken uns das im Dreijahresdurchschnitt an und nicht in einem spezifischen Jahr, das gibt den Herstellern ein bisschen mehr Luft.
Man muss aber natürlich sagen: Viele Hersteller haben sich schon darauf eingestellt und haben ihre E-Auto-Flotten besser an den Markt gebracht, haben auch kleinere, preiswertere E-Autos entwickelt, die dann von den Leuten mehr gekauft werden. Und denen wollen wir natürlich auch nicht in die Kniekehlen treten. Deswegen geht es darum, dass man jetzt mit so einer pragmatischen Anpassung, das kann man schon machen, das hilft uns auch bei einigen Sorgenkindern in dem Bereich.
Natürlich hat VW da zum Beispiel zu tun, Renault hat zu tun, aber die Grundrichtung muss gleich bleiben und da braucht man auch eine gewisse Stabilität, denn: Da ist so viel investiert worden, wenn man sich alleine anguckt, in Sachsen zum Beispiel, in Zwickau gab es eine Riesenumstellung von Verbrenner auf E-Auto-Mobilität. Und wenn man da jetzt sagt: Aus irgendwelchen Gründen finden wir das jetzt doch nicht mehr richtig und wir wollen jetzt doch keine Emissionen mehr einsparen im Verkehrssektor, dann hat man da natürlich auch viel Geld verbrannt.
Sie sagten in Ihrem Redebeitrag dazu: Wir brauchen einfach kleinere und preiswertere E-Autos. Gibt es da Bestrebungen jetzt durch diesen Aktionsplan?
Für die Palette sind die Hersteller verantwortlich. Aber in dem Moment, wo man sagt, wir schauen uns an, wie viel haben die verkauft und wie viel davon sind E-Autos, so werden ja die Grenzwerte berechnet, da gibt man natürlich einen Anreiz an die Hersteller, solche Autos in den Markt zu schieben. Im Zweifelsfall auch mal ein paar Rabatte zu gewähren. Das ist schon ein indirekter Druck.
Und das andere, was der Aktionsplan macht, ist: Er gibt einen Rahmen dafür, wie man EU-konform auch nationale Mittel einsetzen kann, um den Kauf anzureizen. Zum Beispiel die Umweltprämie, die wir hatten in Deutschland, das wird ja in irgendeiner Weise nochmal neu aufgelegt werden, es ist zumindest im Sondierungspapier drin, dass man sagt, man macht das aber auch so, dass das europaweit einen gleichgerichteten Impuls hat.
Dass dann nicht jedes Land etwas für sich macht und dann rechnet sich das quasi gegen und hebt sich auf, sondern wir wollen da einen gemeinsamen europäischen Impuls haben und das will der Aktionsplan erreichen. Aber da sind wir ehrlich gesagt noch nicht sehr anspruchsvoll gewesen. Da hat die Kommission das doch relativ zaghaft gemacht, das ist auch meine Kritik.
Sie sind im Ausschuss für regionale Entwicklung. Das klingt ein bisschen nach Heimat. Was kann die EU überhaupt bspw. für Sachsen tun?
Auch Sachsen ist natürlich von der EU-Gesetzgebung berührt, weil ein großer Teil unserer Gesetze, die wir in Deutschland haben, schon von EU-Gesetzgebung vorgeformt ist. Aber im Besonderen ist der Ausschuss für regionale Entwicklung für die Regionalfonds, also für die Strukturfonds der EU zuständig. Also quasi für die Fonds, wo die Länder, die Regionen, in unserem Fall die Bundesländer und Brüssel zusammenarbeiten, um Mehrwert zu schaffen, um Investitionen auch in die Region zu bringen.
Und zwar besonders in die Regionen, die halt nicht zu den Wohlhabenden zählen. Das sind die Regionen, die quasi unter dem EU-Schnitt sind. Wir in Sachsen sind jetzt ein bisschen an der Grenze. Wir haben ja uns gut entwickelt in den letzten Jahrzehnten. Dazu haben diese Gelder aus dem Fonds so viel beigetragen. Mittlerweile sind wir nicht mehr das Hauptzielgebiet. Da reden wir eher über Ost- und Südeuropa.
Aber wir haben jetzt in der siebenjährigen Periode, in der wir uns befinden, immer noch mehrere Milliarden Euro nach Sachsen bekommen, die wir auch für Investitionen, für Unternehmen, für Wirtschaftsinfrastruktur, aber auch für den Europäischen Sozialfonds zum Beispiel, für Weiterbildung usw. nutzen. Und das ist etwas, was wir in diesem Ausschuss gestalten, diese verschiedenen Fonds.
Den Just Transition Fund, also den Fonds für den gerechten Übergang, den hat man dort auch entwickelt. Da geht es wirklich darum, speziell den Regionen, die aus der Kohle herausgehen oder die halt besonders energieintensive Industrien haben, die auch durch die Klimapolitik sich verändern müssen, dass man denen unter die Arme greift.
Was wir im Moment machen, ist, dass wir eigentlich dieses ganze Politikmodell der Regionalpolitik an sich schützen wollen, weil die EU-Kommission vorhat, das ziemlich radikal umzukrempeln. Und da bin ich extrem besorgt, weil es gerade vor Ort der Politikbereich ist, den die Leute am stärksten direkt wahrnehmen, wo sie auch selber mitgestalten können, wo die Ideen aus Sachsen und die Erfahrungen aus Sachsen direkt mit einfließen. Die EU-Kommission stellt sich das halt viel zentralisierter vor und das halte ich für einen großen Fehler.
Letzte Frage: Was kann man als sächsischer Abgeordneter im EU-Parlament konkret für Sachsen tun?
Man kann natürlich dafür sorgen, dass das, was für Sachsen gut ist, dass man das hier mit einbringt. Dass man sagt, okay: Wenn wir jetzt dieses Gesetz machen und das betrifft die ganze EU, aber was bedeutet denn das konkret für uns, für unsere Landschaft, für unsere Wirtschaftsstruktur, für unsere Lebensweise? Und wenn man sagt: Das passt nicht für uns, dass man dann auch Einspruch erhebt. Und dann kann man natürlich eng zusammenarbeiten mit den Akteuren vor Ort.
Also das mache ich natürlich auch mit der Landesregierung, mit unseren Bundestagsabgeordneten, mit Wirtschaftsvertretern, Gewerkschaften und allen, die in meinen Bereichen unterwegs sind. Und dass man wirklich passgenau einspeist, was die brauchen. Und dann natürlich, ja, dann macht man auch Werbung für seine Region und sagt: Guck mal, was bei uns passiert.
Ist ja nicht nur eine schöne Tourismus-Destination, wie man so schön sagt, also nicht nur, dass die Leute da mal hinkommen, sondern Sachsen ist ja auch ein Land, was auch viel zu bieten hat. Hightech, die ganze Halbleiterindustrie ist jetzt was, wo sich viele in Brüssel anschauen, was da bei uns passiert. Und das ist natürlich eine Aufgabe, die wir auch als Europaabgeordnete haben, die ich auch sehr gern wahrnehme, dass man sagt: Hey, guck mal, was bei uns hier in Sachsen passiert.
Herr Ecke, ich bedanke mich für das Gespräch.
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Nettes Gefälligkeitsinterview. Jedoch hat die hirntote und von einer Autokratin geführte EU sich dem Militarismus verschrieben, klar sonst steht der Russe nächste Woche vor Strasbourg. Wohlstand und Sozialkram passe, dafür massiv Geld für Rüstung (heuer SPD typisch). Für Sachsen gibt es passend militaristisch, rentable Panzerproduktion. Hey, guck mal, wieviel Leute die SPD Schranzen in Sachsen so gewählt haben – Realitätsverweigerung inklusive. Das nächste mal dann doch gleich ins Voodoo-Museum. Salut