Künstler sind manchmal ganz schön mutig. So wie fünf Künstler aus Halle, die vor zwei Jahren die schützenden heimischen Gefilde verließen und sich mit alten, robusten russischen Motorrädern auf eine Reise um die Welt begaben. Seit Kurzem sind sie wieder da. Und am Sonntag, 9. Juli, erzählen sie bei „Naumanns“ im Felsenkeller, wie sich die Weltsicht verändert, wenn man sich so ins Fremde wagt.

„Ich bin ein Mitglied der Künstlergruppe leavinghomefunktion. Nach dem Beenden unseres Kunststudiums entschlossen wir uns, gemeinsam die eigene Komfortzone hinter uns zu lassen, um uns selbst ein Bild von der Welt zu machen“, erzählt Anne Knödler über die Motivation der fünf Mutigen. „Im Herbst 2014 brachen wir in unserem mobilen Studio aus Deutschland auf. Auf der Suche nach einem Landweg, der uns in Richtung Osten bis in den Westen – bis nach New York City – führen würde. Die Wahl des Vehikels war hierbei ausschlaggebend. Die Ural 650 ist ein Beiwagen-Motorrad, welches in der ehemaligen Sowjetunion angefertigt wurde. Es gilt als robust, leicht zu reparieren, aber auch als extrem unzuverlässig. So hatten wir mehr Pannen, als es Moskitos in Sibirien gibt.

Doch das war der Plan – wir wollten keinen Geschwindigkeitsrekord aufstellen, vielmehr einen Brückenschlag zur Bevölkerung wagen. Denn eine Panne zu haben, gleicht einer internationalen Sprache – jeder kann das verstehen und aktiv werden. Da keiner von uns jemals vor diesem Projekt Motorrad repariert bzw. gefahren ist, standen wir vor einer großen Herausforderung. Eigentlich sind wir jeden Tag gescheitert, haben aus unseren Fehlern gelernt und verstanden den Zufall für uns zu nutzen, um weiterzugehen, sogar dorthin wo alle Straßen enden…“

Seit ein paar Monaten sind die Fünf heil zurück von der Reise um die Welt und laden mehrmals im Monat Interessierte in ihr Wohnzimmer ein, um von ihrem Projekt, den Erlebnissen auf der Straße und fernen Kulturen zu berichten.

Anne Knödler: „Dabei ist ein multimedialer Vortrag entstanden, der die Leute nicht nur in unseren Beiwagen einlädt, sondern auch die Motivation ausstrahlt, sich selbst über die eigenen Grenzen hinaus zu begeben, die eigene Komfortzone zu verlassen und einen Blick über den Tellerrand zu wagen.“

Ein kurzer Bericht von der Reise

„Es scheint erst wenige Tage her zu sein, dass die Künstlergruppe leavinghomefunktion herausgeputzt auf ihren Ural 650 Gespannen durch die Straßen New Yorks knatterte. New York City – der Schmelztiegel der Kulturen – war ihr finales Ziel nach einem Wahnsinns-Ritt von mehr als 40.000 Kilometern (auf einem Wahnsinns-Motorrad)!

Bereits vor über zwei Jahren hatten die Künstler Komfortzone und Privatsphäre zurückgelassen und Haarbürste gegen Schraubenschlüssel getauscht. Die Beiwagen wurden zu mobilen Studios transformiert und so ging es auf und davon, sich die Welt mit eigenen Augen zu beschauen. Mit Hilfe ihrer rollenden Studios schufen die Künstler ein weitreichendes Netzwerk zwischen fern-fernöstlicher Abgeschiedenheit und westlicher Entwicklung. Und so war es eine Kombination aus dem Schneckentempo und der unglaublichen Menge an Pannen, die ihnen Tür und Tor sowohl in sehr dicht besiedelten als auch stark isolierten Regionen öffneten.

Erfahrung und Routine zeigten den fünf Gereisten bald: Hat man also eine Panne, lösen sich die meisten Hemmungen und Kommunikationsbarrieren in Wohlgefallen auf. Die Beteiligten – ob einheimisch oder weltreisend – sind fast selbstverständlich an einer gemeinsamen Lösungsfindung interessiert.

Im Herbst 2014 brachen sie aus Deutschland auf. Auf der Suche nach einem Landweg, der die Fünf in Richtung Osten bis in den Westen führen würde. Kompression, Zündzeitpunkt oder Ventilspiel waren bis dato alles Fremdworte im Umgang mit den alten Ural-Motorrädern, die ab jetzt als Transportmittel und mobiles Studio dienen sollten. Nach 25 km gab’s bereits die erste große Panne und nach 5.000 km das erstes Wintercamp – in Georgien.

Im ständigen Kampf gegen Wind, Wetter und russischer Technik überwunden sie Berge aus Bürokratie, um auf abenteuerliche Weise herauszufinden, was Entfernung wirklich bedeutet. Die folgenden 20.000 km waren die volle Dosis Erfahrung – es ging durch Kasachische Gewitter und durch die mongolische Wüste, entlang tausender Kilometer Wellblechpiste – pausenlos gejagt von sibirischen Tigermücken. Dort, wo Sibirien endet und der Ferne Osten Russlands beginnt, stellten sich die Fünf der nächsten großen Herausforderung: Die „Old Road of Bones“. Diese Straße als „unbefahrbar“ zu beschreiben, würde die ganze Sache wohl am treffendsten beschreiben, doch seht selbst …

300 km Sumpf, Flüsse und Schlamm später war bereits absehbar, dass die Dinge auf dem Landweg nach New York City zunehmend mühevoller wurden – vor allem weiter nördlich, Richtung Beringstraße, wo die Reise zu Lande final zu Wasser fortgesetzt wurde.

Nach einer Winterpause in Kanada hatten die Reisenden ihr Ingenieurstalent entdeckt und den schwimmbaren Amphibien-Prototyp der Ural 650 entwickelt. Zudem waren die notwendigen finanziellen Mittel zusammengetragen, um in den Fernen Osten Russlands zurückkehren zu können.

Hier wartete der absolute Gipfel dieser Reise: 1.600 km Flussfahrt auf dem entlegenen Kolyma mit einem Floß, das von den Teufelsmotoren der 650iger Ural Maschinen angetrieben wurde hinauf bis zur Mündung in den Arktischen Ozean. Durch das Tschukotkische Outback ging es anschließend weiter über Kamchatka auf die andere Seite.

Von Anchorage führte der Weg durch die Weiten Alaskas – bis nach Kanada. Unzählige Pannen waren ein stetiger Begleiter, der ihnen oftmals Kontakt mit wunderbaren Menschen und atemberaubenden Geschichten brachte. Mit kleineren und größeren Umwegen schließlich auf der Zielgeraden – entlang der Westküste bis nach Los Angeles – trudelten die Weltgereisten am 10.01.2017 um 15:04 Uhr mit Pauken und Trompeten in New York City ein. Gelbe Taxi-Schwärme und das Smartphone-Blitzlichtgewitter ungläubig starrender Fußgänger bereiten einen ungewohnten Empfang und den Auftakt zu einem großartigen Grande Finale.“

Nächster Plan: Ein Buch soll entstehen

„Die Welt auf einer Ural 650 zu umrunden ist natürlich nur die eine Hälfte der Geschichte. Mit der Rückkehr nach Europa hat das Projekt leavinghomefunktion eine ganz neue Dimension angenommen: cominghomefunktion – wie reflektiert man überhaupt das Erlebte und vermittelt es dann entsprechend? Doch nun ist es erst einmal an der Zeit sich niederzulassen, um das Dokumentationsmaterial von mehr als 40.000 Kilometern zu durchforsten und zu verdichten“, gibt es die ersten Überlegungen zum Buchprojekt.

Die Gruppe hat sich vor Kurzem mit ihrem Verleger Tom Van Endert getroffen, um die nächsten Schritte für das Buchprojekt zur Tour zu planen. Weitere Pläne jenseits des Buches befassen sich mit Projektpräsentationen sowie Film- und Theaterproduktionen.

Am Sonntag, 9. Juli, 18 Uhr, stellen die Fünf ihre Reise im „Naumanns“ im Felsenkeller in Leipzig.

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