Bali, polnische Ostsee, USA, Schweiz, Dänemark oder Gardasee. Sommerzeit ist auch immer etwas Angeberzeit. Wer macht die schönste, wer die weiteste Reise? Wer wagt den Schritt in die exotischste Region? Dabei muss es gar nicht weit weg sein (Exotik ist ja relativ). Auch im Erzgebirge, gerade mal zwei Stunden von Leipzig entfernt, fühlt man sich wie in einer etwas anderen Welt – und kann soviel erleben, dass zwei Wochen nur denen reichen, die regelrechtes Binge-sightseeing veranstalten.

Eins vorweg: Ich habe keine Lust mehr, mich für mein Urlaubsziel zu rechtfertigen. Das ist auch dem gemeinen Erzgebirgler gegenüber nicht fair. Was ist daran auch so verwerflich, im Sommer ins selbsternannte Weihnachtsland zu fahren? Räuchermännchen und Nussknacker kann trotzdem jeder dort sehen, wenn er will.

Zum Beispiel im ersten Nussknacker-Museum Europas in Neuhausen bei Seiffen. Aber ein Besuch lohnt sich nur, wenn sie alle über 5.000 Nussknacker zählen wollen, denn die stehen in Reih’ und Glied in Glasvitrinen. Darth Vader als Nussknacker oder die deutschen Fußballweltmeister von 2014 erspäht das geschulte Auge trotz der Armada an Nussknackern. Zur Geschichte des Nussschalentodes – und das ist die Enttäuschung – gibt es nur ein DIN A4-Blatt in einer der hinteren Ecke und einen roten Faden gibt es auch nicht.

Selbst für die größte Spieldose der Welt, die sich zu jeder vollen Stunde öffnet und dann für ein paar Minuten im Außengelände ihr Liedlein spielt, lohnen sich die vier Euro nicht wirklich. Wenn ein Museum nur die reine Ansammlung von Elementen einer Art ist, dann ist jede Bibliothek ein Bücher-Museum. Schade eigentlich. Doch wer es schon bis nach Neuhausen an der Grenze zu Tschechien geschafft hat, der sollte sich anschließend nach Seiffen aufmachen.

 

Die deutsche Fußballnationalmannschaft anno 1994 in Holz gedrechselt. Foto: M. Hofmann
Die deutsche Fußballnationalmannschaft anno 1994 in Holz geschliffen. Foto: M. Hofmann

Im „Spielzeugdorf Seiffen“ kann man direkt beginnen, sich seine eigene Nussknacker-Sammlung aufzubauen. Auch wenn im Weihnachtsland noch Sommerschlaf gehalten wird, gibt es genügend Läden, die entlang der Hauptstraße des langgezogenen Dorfes ihre künstlicherisch hochwertigen Produkte anbieten. Einen Besuch in den zwei großen Museen, dem Freilichtmuseum und dem Spielzeugmuseum, sollten Sie dabei unbedingt einplanen. Das Spielzeugmuseum punktet mit vielen Spielzeugen, die die Kinder ausprobieren dürfen und im Gegensatz zum Nussknacker-Museum mit vielen Erläuterungen rund um die Geschichte des Spielzeugs. Oder wussten Sie etwa schon, dass die Spielzeugherstellungen früher eine zeitlang der Nebenerwerb des Bergmannes war?

Als es dann unter Tage nicht mehr weiterging und viele Betriebe schließen mussten, machten sich viele Bergleute als Spielzeugmacher selbstständig. Deren Lebensbedingungen kann jeder Besucher im etwas außerhalb von Seiffen aufgebauten Freilichtmuseum nachempfinden. 13 Wohnhäuser, die einst im Dorf und in der Umgebung standen, sind hier wieder aufgebaut und begehbar gemacht worden. Dazu kann einem Reifendreher bei der Arbeit über die Schulter geschaut werden. Schon für 8 Euro können Erwachsene beide Museen besuchen. Kinder, die nach soviel Input etwas Zerstreuung suchen, sollten bei der Sommerrodelbahn um die Ecke ruhig mal die eine oder andere Abfahrt wagen; die kleineren können sich auf dem am Hang entlanggestreckten Spielplatz austoben.

Überhaupt Bahnen: Sommerrodelbahnen, Eisenbahnen, Schwebebahnen – im Erzgebirge gibt es davon genug. Die inkl. der Bergfahrt über 900 m lange Sommerrodelbahn in Seiffen kann dabei weder von der Abfahrt am Fuße des Fichtelbergs noch nahe der Augustusburg getoppt werden. Zumal in Seiffen auch das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Mit der Fichtelbergbahn und der Preßnitztalbahn fährt es sich dagegen wildromantisch und überdacht (wer will auch ohne Dach) durch die Gegend. Diese Schmalspurbahnen waren einst eine technische Kompromisslösung: Wie überall im 19. Jahrhundert sollten auch die Einheimischen hier in den Genuss der schnellen Bahnen kommen. Da die Fahrt am Hang allerdings für Bahnen mit normaler Spurbreite eher ungeeignet war, kamen vermehrt Schmalspurbahnen zum Einsatz.

Ein nicht unwesentlicher Teil der Preßnitztalbahn. Foto: M. Hofmann
Ein nicht unwesentlicher Teil der Preßnitztalbahn. Foto: M. Hofmann

Die Preßnitztalbahn wurde 1892 eröffnet, aber nur rund 90 Jahre später wieder stillgelegt und komplett abgetragen. Die Gleise waren zu veraltet, die Ölkrise zwang die DDR, nach Alternativen Ausschau zu halten. Ein Verein baute mit viel Herzblut die Strecke stückweise wieder auf. Sie ist nunmehr 8 km lang. In Originalwaggons aus dem letzten Jahrhundert dampft die Bahn von Jöhstadt durch die anliegenden Wälder. Schaffner und Lokführer sind entspannt, liebe Kinder dürfen auch mal in die Lok, Erwachsene auch ein Schnäppele zur Fahrkarte dazu kaufen. Fahrtzeit: 45 Minuten.

Lohnt sich und ist die charmante Alternative zur Fichtelbergbahn, die ihren Anfang in Cranzahl nimmt und binnen reichlich 60 Minuten alle Fahrgäste, die wollen, nach Oberwiesenthal führt. Mit ordentlich Dampf geht es streckenweise direkt an der Grenze zu Tschechien entlang, durch Neudorf, Niederschlag oder Hammerunterwiesenthal. Der Fahrpreis für Erwachsene, die hin und zurück fahren wollen, liegt bei 13,70 Euro. Wer es luftig mag, sollte sich informieren, wann ein offener Wagen den Weg in den Kurort zurücklegt.

Der so schon kinderfreundlich eingeleitete Tag auf dem Fichtelberg, lässt sich beliebig bereichern. Auf dem Weg vom Bahnhof zur Schwebebahn liegt ein Abenteuerspielplatz, direkt an der Bahn nach oben die bereits erwähnte Sommerrodelbahn. In der Schwebebahn ist man allerdings am besten aufgehoben, wenn man den Berg nicht zu Fuß erklimmen will. Für 9 Euro kommt man kommod rauf und runter, kann oben noch einen Fleckeeintopf oder eine Bockwurst im Berghäusl genießen und sich die Beine vertreten. Logischerweise macht das alles bei Sonnenschein am meisten Spaß.

Wer alles in Miniatur erleben möchte, sollte sich dringend nach Schönfeld bei Annaberg-Buchholz aufmachen. Hier ist der historische Landkreis Annaberg um das Jahr 1980 als Modelleisenbahnanlage abgebildet. 660 Meter Gleise schlängeln sich durch die 770m² große Halle. 9,50 Euro für Erwachsene und 5 Euro für Kinder von 6 bis 16 Jahren scheinen nicht gerade ein Schnäppchen zu sein, aber in der Halle, in der regelmäßig auch Nacht im Landkreis animiert wird, lässt sich die Zeit leicht vertun. Eine Essenspause im eigens in die Halle geschobenen Bahnwaggon in Normalgröße tut Augen und Kopf gut, zu zahlreich sind die Eindrücke, die sich Meter für Meter gewinnen lassen. Kinder können mit Hockern gut über die Kante auf die Anlage schauen, die Versorgungspreise sind fair.

Dort wo die Reichsbahn noch lebt. Detailansicht in der Modellbahnanlage Schönfeld. Foto: M. Hofmann
Dort wo die Reichsbahn noch lebt. Detailansicht in der Modellbahnanlage Schönfeld. Foto: M. Hofmann

So planen und leben sich die Tage im Erzgebirge dahin. Tierliebhaber sollten unbedingt den Wildpark Osterzgebirge in Geising besuchen, Kirchenfreunde auch deshalb nach Annaberg-Buchholz fahren. In der Türmerwohnung wohnt tatsächlich noch eine Familie. Wer historischen Input sucht, sollte sich in Marienberg das Museum zur Kulturgeschichte des Erzgebirges ansehen und – auch das ist kein Geheimnis – wer preiswerten Treibstoff für Leber sowie Auto sucht, hat es auch nicht weit.

Und an zahlreichen Orten erlebt man den Enthusiasmus und das Engagement der Menschen, die versuchen, ihre Region wann immer möglich in einem positiven Licht zu zeigen. Ein freundliches Wort beim Bäcker, im Volkskunstladen oder im Museum wirkt nicht aufgesetzt. Man freut sich hier wirklich noch über jeden Besucher.

Und so hat das Erzgebirge seine ganz eigene Exotik: Ein Schlag Mensch, mit dem es sich bei allen idiombedingten Kuriositäten mehr als aushalten lässt und zahlreiche familienfreundliche Ausflugsziele vor der Haustür. Das Gute liegt eben doch viel näher, als manch einer denkt.

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Ich glaub, das ist das erste mal seit über einem Jahr, dass ich mal nen positiven Bericht übers Erzgebirge lese. Das tauch ja sonst eher in wortwörtlich brandheißen Meldungen auf.

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