Das Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation verschärft die Situation der beruflichen Pflege in Sachsen massiv. Neben erheblichen Finanzierungslücken in der Pflegeversicherung bedroht die steigende Personalnot zunehmend die Versorgung pflegebedürftiger Menschen, fasst die DAK eines der zentralen Ergebnisse des Pflegereports für Sachsen zusammen. So wird die ohnehin dünne Arbeitsmarktreserve im Freistaat von rund 1.800 Fachkräften (2,7 Prozent) im Jahr 2025 auf lediglich 600 Fachkräfte (0,9 Prozent) im Jahr 2030 abschmelzen.

Für den aktuellen Landespflegereports der DAK-Gesundheit haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Thomas Klie vom Institut AGP Sozialforschung die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf das Pflegesystem untersucht. Konkret scheiden in den nächsten zehn Jahren in Sachsen altersbedingt 19,7 Prozent des Pflegepersonals aus und müssen ersetzt werden.

Das nachrückende, frisch ausgebildete Pflegepersonal kann die ausscheidende Kollegschaft mittelfristig zwar noch ersetzen – es kann jedoch kein Personal- und Strukturaufbau erfolgen, um den demografischen Wandel abzufedern. Spitzt sich die Lage noch weiter zu, kann der Pflegenachwuchs die altersbedingten Berufsaustritte der Babyboomer nicht mehr auffangen.

Das Pflegesystem kommt unter Druck

„Steigende Kosten, mehr Pflegebedürftige und abnehmende Personalressourcen strapazieren unser Pflegesystem“, sagt Sachsens DAK-Landeschef Stefan Wandel. Verschärft werde die Personalproblematik durch Effekte der Baby-Boomer-Generation: Mit den nahenden Renteneintritten werde die Zahl der Pflege-Fachkräfte signifikant sinken.

„Sachsen hat in den vergangenen Jahren viel in die pflegerische Ausbildung investiert und schneidet deshalb stellenweise besser ab als andere Bundesländer. Dennoch sehen wir keine spürbare Entlastung für die Pflegenden und keine Reserven für die Effekte der Baby-Boomer-Generation. Um das System jedoch mit neuen Versorgungs- und Finanzierungskonzepten zukunftsfähig zu machen, brauchen wir dringend eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung“, so Wandel.

Arbeitsmarktreserve schmilzt auf 0,9 Prozent

Laut DAK-Landespflegereport schmilzt in Sachsen die Arbeitsmarktreserve in der beruflichen Pflege bis 2030 auf 0,9 Prozent ab. Für 2025 liegt die Prognose bei 373 Renteneintritten, denen 2.198 Berufseinsteiger gegenüberstehen – das entspricht einer Arbeitsmarktreserve von 2,7 Prozent. Diese bereits äußerst dünne Personaldecke verkleinert sich 2027 auf 1,6 Prozent: Statt einer Reserve von 1.825 Pflegekräften (2025) stehen dann rechnerisch lediglich 1.075 Arbeitskräfte zur Verfügung.

2030 geht die Reserve noch einmal massiv auf 602 Kräfte zurück, was 0,9 Prozent entspricht. „Ein Ausbau der Personalkapazitäten in der Pflege wird demografisch bedingt nicht gelingen. Mithilfe von Wiedereinsteigerprogrammen, Zuwanderung und Qualifizierungsstrategien lassen sie sich bestenfalls stabil halten“, sagt Professor Dr. Thomas Klie.

19,7 Prozent der Pflegekräfte müssen ersetzt werden

2023 gab es rund 65.000 professionell Pflegende in Sachsen. Mehr als 12.800 von ihnen erreichen in den nächsten zehn Jahren das Renteneintrittsalter – das sind 19,7 Prozent. Dieser Ersatzbedarf beschreibt dabei ausschließlich, wie groß die Lücke netto ist.

Der tatsächliche Bedarf dürfte vor dem Hintergrund einer kontinuierlich wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen noch weitaus größer sein: „Wir schätzen, dass in den nächsten 25 Jahren bundesweit rund 2,3 Millionen Menschen mehr als heute auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein werden“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Thomas Klie.

Starke gesundheitliche Belastungen

Hinzukommt eine überdurchschnittlich große gesundheitliche Belastung des Pflegepersonals. Vor allem Erkrankungen des Bewegungsapparates und psychische Belastungen sind ursächlich für durchschnittlich 53 Fehltage von Beschäftigten in Pflegeberufen in Sachsen.

Zum Vergleich: In anderen Berufsgruppen in dieser Alterssparte sind es 37 Fehltage (2022). „Die Personalsituation hat auch im Freistaat schon jetzt regionale Engpässe zur Folge. Mittelfristig wird dieser Mangel so gravierend, dass unser Pflegesystem an seine Belastungsgrenze kommt“, warnt Stefan Wandel.

Pflegefinanzierung ebenfalls vor dem Kipppunkt

Steigende Kosten belasten das Pflegesystem zusätzlich: Bereits für das vierte Quartal 2024 zeichnen sich laut Berechnungen im DAK-Pflegereport deutliche Finanzierungslücken ab, die zu massiven Beitragssatzerhöhungen führen könnten. Der Report zeigt auf, dass diese Problematik in der Bevölkerung erkannt wird. Laut einer repräsentativen Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach im Rahmen des DAK-Pflegereports gaben 45 Prozent der Befragten in Sachsen an, sich Sorgen zu machen, im Fall der Pflegebedürftigkeit nicht ausreichend finanziell abgesichert zu sein.

Anfang Oktober hat die DAK-Gesundheit die Bundesregierung aufgefordert, auf Beitragssatzerhöhungen zu verzichten und hat sich dabei auf ein von ihr beauftragtes Rechtsgutachten bezogen. Dieses zeigt auf, dass die Rückzahlung des Bundes von 6 Milliarden Euro Corona-Hilfen an die Pflegeversicherung zwingend geboten ist. Damit könnte die Pflegeversicherung stabilisiert werden und der nötige Spielraum für notwendige Reformen entstehen.

Positive Beispiele für neue Versorgungsmodelle

Neben Finanzierungskonzepten und einer Investition in Assistenzberufe werden auch neue Versorgungsformen notwendig sein. Professor Thomas Klie denkt dabei an neue Formen gegenseitiger Unterstützung, um eine solidarische Pflege und Sorge vor Ort sicherzustellen.

Er führt Modelle „geteilter Verantwortung“ an, die professionelle Pflege, informelle Sorge und zivilgesellschaftliche Initiative intelligent verschränken – und verweist auf Beispiele ambulant betreuter Wohngemeinschaften. „Eine Mixtur aus nachberuflicher Erwerbstätigkeit und bürgerschaftlichem Engagement könnte vor Ort einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Pflegesituation leisten.“

Die Bereitschaft dafür ist vorhanden: Laut Allensbach-Befragung sind in Sachsen 54 Prozent der über 40-Jährigen bereit, Nachbarn, Freunde und Bekannte bei Pflegebedürftigkeit regelmäßig im Alltag zu unterstützen – im Bund sind es 55 Prozent.

Erfolgreich praktiziert wird ein solches Modell von der Quartierspflege Leipzig. Unter der Trägerschaft der ABE Zuhause gGmbH werden bereits rund 20 Klienten von acht ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern betreut, die im selben Quartier leben. Diese erbringen bisher vor allem Betreuungs- und Entlastungsleistungen, die den beauftragten Pflegediensten wiederum mehr Zeit für die medizinische Versorgung verschaffen.

Einen anderen Ansatz verfolgt die Evangelische Hochschule Dresden – und sorgt damit ebenfalls für erste Erfolgsmeldungen. Diese hat 2020 als erste deutsche Hochschule den berufsbegleitenden Studiengang Community Health Nursing initiiert. Dabei wird Pflegepersonal zu einer Art Gemeindeschwestern ausgebildet – mit dem Ziel, stärker im ländlichen Raum die pflegerische Versorgung zu übernehmen.

Sie tragen mehr Verantwortung als bisher üblich und versorgen insbesondere chronisch Kranke. Bisher gibt es 14 Absolventinnen und Absolventen. 40 weitere Studierende sind derzeit immatrikuliert.

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