Die „seltenen Krankheiten“, oder auch „seltenen Erkrankungen“ sind in Summe nicht selten. Selten tritt nur die einzelne seltene Erkrankung auf. Insgesamt sind in Deutschland etwa fünf Prozent der Bevölkerung, also circa vier Millionen Menschen, von einer dieser Erkrankungen betroffen. Es gibt mehrere Probleme bei diesen etwa 6.000 Krankheiten. Zum einen ist die Erkennung kompliziert, meist werden sie erst im Spätstadium von auf diese Krankheiten spezialisierten Ärztinnen und Ärzten diagnostiziert.

Zum Zweiten sind die oft speziell für die Behandlung dieser Erkrankungen entwickelten Medikamente oft sehr teuer, wir haben im Zusammenhang mit dem „Tag der Seltenen Erkrankungen“ berichtet.

Mit der Unterstützung bei der Diagnose Seltener Krankheiten hat sich Frau Pia Lehmann im Rahmen ihrer Bachelorarbeit beschäftigt und hat das Ergebnis auf der Website SYMPORT online gestellt. Frau Lehmann hat ein Duales Studium in Praktischer Informatik an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach abgeschlossen, Praxispartner während des Studiums war das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, in dem sie seit dem Abschluss auch tätig ist.

Wir haben mit ihr gesprochen.

Frau Lehmann, Sie kommen beruflich eigentlich aus der IT-Branche. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Ich hatte meine Bachelorarbeit vor mir, habe lange überlegt, was ich machen möchte und mein Betreuer meinte, ich sollte mich in eine Richtung spezialisieren. Da ich mich sehr für Medizininformatik interessiere, hab ich dann überlegt, was man in dieser Richtung machen könnte, habe gebrainstormt und musste an die Sendung „Abenteuer Diagnose“ denken.

Da geht es darum, dass die Ärzte oft Probleme haben eine Diagnose zu stellen, wenn die typischen Krankheiten anhand der Symptome nicht infrage kommen. Der Grund dafür sind mitunter seltene Erkrankungen. Oft werden diese nur diagnostiziert, weil der Arzt oder die Ärztin eine Weiterbildung zu dem Thema hatte. Ich habe mich entschlossen dort anzusetzen und gedacht, es wäre cool, wenn Ärztinnen und Ärzte ein Tool hätten, mit dem sie Symptom-Kombinationen auswählen können und, darauf basierend, nach Wahrscheinlichkeiten vorgeschlagen bekommen, welche seltenen Krankheiten infrage kämen.

Anfangs dachte ich, das könnte vielleicht etwas komplex werden und wusste noch nicht, ob es vielleicht den Rahmen einer Bachelorarbeit sprengen könnte. Ich habe mich dann mit den bestehenden Datenquellen beschäftigt und eigentlich ziemlich schnell festgestellt, dass es machbar ist.

Ich hab das Projekt vor mir, es ist ja öffentlich im Internet. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist es für Ärztinnen und Ärzte gedacht und nicht dazu, dass jemand zu Hause sitzt und sagt, ich habe irgendwelche Symptome, die in meinem Arztbrief stehen, ich klicke die mal an und dann sehe ich, ob ich vielleicht eine seltene Krankheit habe?

Dafür ist es wirklich nicht gedacht, davon möchte ich auch explizit abraten und es steht auch in der Datenschutzerklärung und im Impressum drin. Es ist für Ärztinnen und Ärzte gedacht, aber auch für Medizinstudierende, um etwas mehr über seltene Krankheiten zu lernen, also ein Bildungsinstrument.

Wie viele Symptome und Krankheiten sind in den Datenbanken?

Enthalten sind 4.258 seltene Erkrankungen und 8.526 Symptome.

Wenn ich ein, zwei, drei, vier, fünf Symptome anklicke, dann untersucht also ein Algorithmus, was zutreffen könnte und das Programm gibt mir mehrere Ergebnisse mit den Kategorien wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Stimmt das so?

Es werden tatsächlich alle Krankheitsbilder mit den Symptomen verglichen, im Datensatz gibt es die Kategorien: Obligat, Sehr häufig, Häufig, Gelegentlich, Sehr selten und Ausgeschlossen. Das Programm analysiert jede Krankheit daraufhin, ob die eingegebenen Symptome bei ihr vorkommen. Dann gibt es ein Scoring-System, bei dem sehr häufige oder obligate Symptome eine höhere Punktzahl erhalten, während seltene oder ausgeschlossene Symptome eine niedrigere oder negative Punktzahl bekommen.

Am Ende wird dieser Score normalisiert, indem er durch die Summe der eingegebenen und gefundenen Symptome geteilt wird. Daraus wird der Score in eine prozentuale Wahrscheinlichkeit umgewandelt. Am Ende gibt es die Top 50 der Ergebnisse.

Es gibt ja Symptome, die nicht kausal mit der konkreten Erkrankung zusammenhängen, aber vielleicht bei einer anderen auftreten. Kann der Algorithmus solche korrelierenden Symptome erkennen?

Ich würde sagen ja, da ist aber noch Feintuning erforderlich.

Sie haben ja bestimmt schon mit Ärztinnen und Ärzten, also potenziellen Anwendenden gesprochen. Was sagen die?

Ich habe natürlich mit auf seltenen Krankheiten spezialisierten Personen, die in Zentren für seltene Erkrankungen arbeiten, gesprochen. Die fanden das alle super und haben auch gesagt, das ist etwas, was sie auch benutzen wollen und was sie sehr wichtig finden. Auch, dass sie mich sehr gerne dabei unterstützen und mir auch Feedback geben wollen.

Es ist das Ergebnis Ihrer Bachelorarbeit, so ein System, so eine Datenbank, ist ja kein einmaliges Projekt, sondern muss permanent bearbeitet und aktualisiert werden. Machen Sie das alleine?

Ja, das mache ich in meiner Freizeit.

Haben Sie schon mal daran gedacht, damit ein Start-up zu gründen?

Ja, das überlege ich sehr oft, aber ich weiß noch nicht so wirklich, wo ich anfangen soll, um ehrlich zu sein. Also an wen ich mich da wenden könnte.

In Leipzig gibt es auf jeden Fall einige Menschen und Institutionen, die Ihnen helfen können. Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und bedanke mich für das Gespräch.

Anmerkung: Für die Bachelorarbeit, in deren Rahmen die Webseite entwickelt wurde, erhielt Pia Lehmann den Nachwuchspreis der DMEA 2024 in zwei Kategorien, in der Kategorie Bachelor Arbeit Platz 2 und sie gewann den Audience Award.

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