Seit dem 1. November hat Grimma keine Geburtshilfe mehr. Für die schwangeren Menschen und Eltern heißt das, einen weiteren Weg in anderen Krankenhäuser auf sich zu nehmen. Die gekündigten Hebammen wollen sich nicht unterkriegen lassen.
Mitte Oktober kam die Information: Ab November geht es für die freiberuflichen Hebammen der Grimmaer Geburtshilfe nicht weiter. Eigentlich waren die Verträge erst zum 31. März kommenden Jahres gekündigt worden. Doch aufgrund „schwierigen finanziellen Lage“ der Muldentalkliniken seien „Kosteneinsparungen dringend erforderlich“ gewesen, so eine Sprecherin der Klinik.
Gegen die Schließung hatte es eine Petition mit fast 50.000 Unterschriften gegeben. Bei einer Demonstration am 19. September protestierten 1.000 Menschen für ein Weiterbestehen der Geburtshilfe in Grimma. Auch die Sächsische Sozialministerin Petra Köpping war da. Doch aufhalten konnte der Protest die Schließung nicht.
Eine der gekündigten Hebammen ist Julia Berthold. Sie findet es traurig, dass die gute Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen im Krankenhaus und alles, was sich das Hebammenteam aufgebaut hat, nun zu Ende sein soll. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs fühle es sich noch so an, so sagt sie, als ob sie nächste Woche wieder im Krankenhaus in Grimma stehen würde.
„Es war schade, dass die Gespräche, die wir der Klinik angeboten haben, nicht stattgefunden haben“, so Julia Berthold. „Wir waren verhandlungsbereit. Wir hatten uns im Vorhinein überlegt, was uns wichtig ist und unter welchen Bedingungen wir arbeiten können und inwieweit wir der Klinik entgegenkommen können. Dazu kam es aber nicht. Es war nicht gewünscht, weil der übergeordnete Plan schon feststand.“
Und weiter: „Grimma hatte in den letzten Jahren einen unglaublichen Zuzug. Junge Familien, die noch mehrere Kinder kriegen werden. Die wissen jetzt nicht so richtig wohin mit sich und ihren schwangeren Bäuchen.“
Krankenhausschließungen in ganz Deutschland
Die Muldentalkliniken sind seit Jahren in einer schwierigen finanziellen Lage. Wie viele andere Krankenhäuser in ländlichen Gebieten können sie dem finanziellen Druck nicht standhalten. Auf dem Land, wo wenige Menschen leben, können Krankenhäuser oft nicht die notwendigen Zahlen von Behandlungen erfüllen, die es braucht, damit ein Krankenhaus sich rechnet. 2 411 Krankenhäuser gab es 1991 in Deutschland.
Laut Statistischem Bundesamt 2022 waren es nur noch 1.893. Währenddessen ist die Verweildauer der Patient*innen von 14 Tagen auf sieben gesunken. Expert*innen empfehlen in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung sogar, jedes zweite Krankenhaus zu schließen, um so dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken. Man müsse die Kapazitäten bündeln.
Hinzu kommt, dass viele Bereiche der Grundversorgung durch das Fallkostenpauschalen-System schlecht bezahlt werden. Gerade in den Bereichen Pädiatrie, Gynäkologie und Geburtshilfe spüren die Beschäftigten nun die Auswirkungen.
„Das, was maßgeblich wichtig für die Gesellschaft ist, also Frauen, die geschützt ihre Kinder gebären können, Kinder, die gesund aufwachsen können, ist der Politik tatsächlich nichts wert“, so Julia Berthold.
Von Grimmas Bürgermeister gewollt und auch laut Berthold soll die Geburtshilfe irgendwann nach Grimma zurückziehen, wann genau ist unklar. Die Muldentalklinik äußerte gegenüber der Leipziger Zeitung (LZ): „Für die künftige Aufstellung der Muldentalkliniken arbeiten wir derzeit an einem Sanierungskonzept, das die medizinische Versorgung gewährleistet, die Kliniken auf ein wirtschaftlich stabiles Fundament stellt, den Beschäftigten eine Perspektive bietet und der anstehenden Krankenhausreform auf Bundesebene Rechnung trägt. Die Arbeit an dem Sanierungskonzept ist ergebnisoffen – deshalb sind Aussagen über die Planungen zur Geburtshilfe der Muldentalkliniken zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich.“
In den letzten Jahren wurden schon die Geburtshilfen in Leisnig und Oschatz geschlossen. Die im Grundgesetz über die in Artikel 2 verankerten „freie Entfaltung (der) Persönlichkeit“ verankerte freie Wahl des Geburtsortes, sei damit nicht mehr gegeben, so Julia Berthold. Es sei laut Gesetzgeber angemessen, 40 Minuten Fahrtweg zur nächsten Klinik zurücklegen zu müssen.
Wenn jedoch Schnee, Stau oder andere Probleme dazukämen, so Berthold, sei das keineswegs gegeben. Die langen Fahrtzeiten bis zur nächsten Klinik seien für Frauen in den Wehen, gerade wenn es zu Komplikationen komme oder auch für kranke Kinder unzumutbar. Immer mehr Geburten würden in Rettungswegen stattfinden: Eine zusätzliche Aufgabe für die sowieso überlastete Notaufnahme.
Kündigung mit Hindernissen und wie es weitergeht
„Die Kündigung der Verträge war bereits von der vorherigen Geschäftsführung beschlossen worden und wurden wegen der schwierigen Finanzlage der Kliniken um drei Monate auf den 31. März 2024 vorgezogen“, so die Sprecherin der Muldentalkliniken gegenüber der LZ. Die Schließung der Geburtshilfe sei jedoch schon „von Anfang an für diesen Herbst vorgesehen“ gewesen.
Julia Berthold berichtet es anders. Es sei schwierig gewesen, klare Aussagen von der Klinikleitung zu erhalten. Die Ansage, dass zum 1. November geschlossen werde, kam dann Mitte Oktober. Nun erhalten die Hebammen laut Julia Berthold den Sicherstellungszuschlag, um laufende Kosten wie Versicherung und Sozialbeiträge zahlen zu können.
Als Team möchten die zwölf Hebammen gern zusammenbleiben. Deshalb schauen sie sich nach neuen Möglichkeiten um, so Berthold:
„Wir erweitern unseren Dunstkreis. Wir führen Gespräche. Wir schauen, was Optionen in und um Leipzig sind. Wenn mich jemand fragt, sage ich immer: Wir bündeln unsere Energien neu. Wir schauen, dass wir zukunftssicher neu Fuß fassen können. Am liebsten natürlich irgendwo im Landkreis, um den Frauen eine solide Stütze sein zu können.“
„Schließung der Geburtshilfe in Grimma: Wie geht es für Eltern und Hebammen weiter?“ erschien erstmals im am 24.11.2023 fertiggestellten ePaper LZ 119 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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