Zu unserem am 5. November veröffentlichten Beitrag „Donnerstag, der 5. November 2020: Der Staat zeigt seine Zähne“ stellte „Michael“ die nicht ganz beiläufige Frage: „Wir sind seit Montag im Lockdown 2. Über Nacht haben wir, wie ich hörte über 21.000 Neuinfizierte, so viel wie noch nie, dies ist ja täglich so, so viele wie noch nie… Wären wir seit Montag nicht im Lockdown hätten wir da heute 40.000 Neuinfizierte? Hängt das zusammen? Und wie ist das überhaupt mit der gefühlten oder wirklichen Gefährlichkeit von COVID-19?

Zuerst zu „Michaels“ Frage. Die man auch so formulieren kann:

1. Müsste die Verhängung des zweiten Lockdowns („Lockdown Light“) nicht sofort die Infektionszahlen senken?

Die Antwort lautet: Nein. Das hängt z. B. mit dem Inkubationszeitraum zusammen. Das ist der Zeitraum zwischen der Ansteckung mit dem Virus und dem Auftreten der ersten Symptome. Dieser Zeitraum beträgt nach den bisherigen Erfahrungen der Mediziner mit COVID-19 zwischen fünf bis sechs Tagen.

Nachlesbar auch auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts (RKI), das dazu schreibt: „Die Inkubationszeit gibt die Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung an. Die mittlere Inkubationszeit (Median) wird in den meisten Studien mit 5–6 Tagen angegeben. In verschiedenen Studien wurde berechnet, zu welchem Zeitpunkt 95 % der Infizierten Symptome entwickelt hatten, dabei lag das 95. Perzentil der Inkubationszeit bei 10–14 Tagen (50–56).“

Das heißt: Die am 5. November gemeldeten Neuerkrankungen spiegeln im Wesentlichen die Ansteckungszahlen vom 31. Oktober. Welche Wirkung der „Lockdown Light“ hat, erfahren wir also eher am Samstag oder Sonntag, vielleicht auch erst am Montag, 9. November, da am Wochenende oft noch nicht alle Zahlen gemeldet sind.

Und es gibt noch einen Unsicherheitsfaktor. Der steckt in unserer dritten Frage.

Vorher noch diese Frage:

2. Warum stecken sich so viele Leute trotzdem an, auch wenn die positiv Getesteten in Quarantäne sind und man vermeidet, mit Erkrankten in Berührung zu kommen?

Das Problem ist gerade hier die Inkubationszeit. Denn wenn die Infizierten noch nicht merken, dass sie das Virus in sich tragen, benehmen sie sich in der Regel ganz normal und ahnen noch nicht einmal, dass sie selbst inzwischen das Virus weitergeben.

Mit den Worten des RKI: „Darüber hinaus steckt sich ein relevanter Anteil von Personen bei infektiösen Personen innerhalb von 1–2 Tagen vor deren Symptombeginn an (42, 45). Wie groß dieser Anteil ist, kann nicht genau beziffert werden, da in vielen der Studien der ,Symptombeginn‘ nicht oder nicht gut definiert wurde. Schließlich gibt es vermutlich auch Ansteckungen durch Personen, die zwar infiziert und infektiös waren, aber gar nicht erkrankten (asymptomatische Übertragung). Diese Ansteckungen spielen vermutlich jedoch eine untergeordnete Rolle.“

3. Werden überhaupt alle Infizierten gefunden?

Auch hier lautet die Antwort: Nein. Denn testen lassen sich ja vor allem die Menschen, die bei sich Symptome verspüren oder mit positiv Getesteten in Kontakt waren. Aber nicht alle Infizierten verspüren Symptome.

Das RKI: „Eine große Bedeutung haben die Übertragungen von infektiösen Personen, wenn sie bereits Krankheitszeichen (Symptome) entwickelt haben (42, 43). Dabei können diese Symptome relativ subtil sein, wie z. B. Kopf- und Halsschmerzen. Eine solche Phase mit leichteren Symptomen kann einer späteren Phase mit „typischeren“ Symptomen, wie z. B. Fieber oder Husten, um ein oder zwei Tage vorausgehen (44). ,Typischere‘ Symptome können aber auch ausbleiben.“

Weshalb manche, die infiziert sind, oft gar keine Symptome aufweisen und sich auch nicht testen lassen. Wie hoch dieser Anteil ist, weiß niemand. Das bekäme man nur heraus, wenn man es wie in China machen würde und bei jedem positiven Einzelfall sofort die komplette Wohnbevölkerung testen würde und ganze Städte ohne Diskussion in einen richtigen Lockdown schicken würde.

Eine rabiate Methode, die so nur in Diktaturen möglich ist. Freilich auch eine wirklich wirksame, denn so werden sehr schnell alle wirklich Infizierten gefunden und man kann die Ansteckungskette tatsächlich schnell unterbrechen. Die „Tagesschau“ berichtete am 2. November darüber.

4. Warum werden nicht alle Infizierten gefunden?

Das RKI spricht hier von „Untererfassung“: „Die veröffentlichten Fallzahlen basieren auf den im Meldesystem gemäß Infektionsschutzgesetz erfassten COVID-19-Fällen. Veröffentlicht werden gemäß Falldefinition des RKI nur laborbestätigte COVID-19-Fälle unabhängig davon, ob klinische Symptome vorliegen. Die Vollzähligkeit der Erfassung hängt von verschiedenen Faktoren ab, einerseits von der medizinischen Versorgung, also u. a. davon, wie viele Personen einen Arzt aufsuchen und wie viele Laboruntersuchungen durchgeführt werden.

Bei COVID-19 treten viele asymptomatische und milde Verläufe auf, sodass davon auszugehen ist, dass nicht alle Infizierten eine/n Arzt/Ärztin aufsuchen und auch nicht für alle ein Labortest veranlasst wird. Andererseits spielt die Fallfindung durch die Gesundheitsämter im Rahmen von Ausbruchsuntersuchungen und der Kontaktpersonennachverfolgung eine wichtige Rolle.“

Weshalb die gemeldeten Fallzahlen (so wie die 21.000 Infizierten vom Freitag, 6. November) nur genau jene Patienten abbilden, die sich tatsächlich auf COVID-19 haben testen lassen und in der Regel auch Symptome aufwiesen.

Dass wohl nur etwa ein Viertel der Infizierten gefunden wird, belegt zum Beispiel die Münchner Antikörper-Studie, über die der „Spiegel“ am 5. November berichtete.

5. An welchen Symptomen erkennt man, dass man wahrscheinlich mit dem Coronavirus infiziert ist?

Auch hier hat man am RKI gesammelt, was die Ärzte inzwischen an Erfahrungen gemacht haben. „Zu den im deutschen Meldesystem am häufigsten erfassten Symptomen zählen Husten, Fieber, Schnupfen, sowie Geruchs- und Geschmacksverlust (s. Tab. 2). Der Krankheitsverlauf variiert in Symptomatik und Schwere, es können symptomlose Infektionen bis hin zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod auftreten.

Das heißt für die meisten Menschen, dass grippeähnliche Symptome durchaus ein Zeichen dafür sind, dass sie infiziert sein könnten. Der Kontakt zum Hausarzt und ein Test sind da auf jeden Fall angeraten. Denn jetzt in der Grippesaison kann es auch die gewöhnliche Grippe sein.

Die häufigsten Symptome sind Husten (42 %), Fieber (33 %), Schnupfen (23 %) und die Störung des Geruchs- und/oder Geschmackssinns (17 %).

Mehr dazu auf der Homepage des RKI.

6. Was macht das Gesundheitsamt, wenn jemand positiv getestet wurde?

Die Gesundheitsämter sind für die Kontaktnachverfolgung zuständig. Sie ermitteln, wenn ein Positivbefund bekannt wurde, mit wem der Patient in den letzten Tagen in näherem Kontakt war. Die ermittelten Kontaktpersonen werden in der Regel ebenfalls getestet und in Quarantäne geschickt, damit sie das Virus nicht weitertragen.

Deswegen geben die Gesundheitsämter nicht nur die täglichen Zahlen der neu nachgewiesenen Infektionen an, sondern auch die der Personen in Quarantäne.

In Leipzig zum Beispiel am 6. November: 442 positiv Getestete und 1.007 Kontaktpersonen in häuslicher Quarantäne.

7. Für wen ist COVID-19 wirklich gefährlich?

Es stimmt: Die meisten jungen und gesunden Menschen weisen bei einer Corona-Infektion nur leichte grippeähnliche Symptome auf. Aber nicht alle. Bekannt sollte inzwischen sein, dass gerade Menschen mit Vorerkrankungen oft auch schwer an COVID-19 erkranken.

Das RKI betont: „Schwere Verläufe können auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung (99, 169) und bei jüngeren Patienten auftreten. Aber nachweislich steigt die Kurve der schweren Erkrankungen mit dem Alter an – ein stetig steigendes Risiko für einen schweren Verlauf sieht das Robert-Koch-Institut ab etwa 50–60 Jahren. „85 % der in Deutschland an COVID-19 Verstorbenen waren 70 Jahre alt oder älter.“

Aber schwer betroffen sind eben auch jüngere Menschen, oft solche mit Herz-Kreislauf-Problemen, mit krankhaftem Übergewicht, mit vorheriger Krebserkrankung oder geschwächtem Immunsystem.

Das heißt: Wir schützen, wenn wir die Hygieneregeln einhalten, vor allem jene Personengruppen, die ein erhöhtes Risiko haben, an COVID-19 schwer zu erkranken und zu sterben. Das hat etwas mit Solidarität zu tun. Und (in zweiter Linie) auch damit, eine Überlastung unserer Krankenhäuser zu verhindern, die sich ja um die schwer Erkrankten kümmern müssen.

8. Was bedeutet Inzidenz?

Täglich werden ja auch die Inzidenzwerte für einzelne Regionen bekannt gegeben, mit denen begründet wird, dass schärfere Maßnahmen ergriffen werden oder wieder aufgehoben werden. Die Zahl gibt an, wie viele Einwohner sich in den letzten sieben Tagen im Durchschnitt neu infiziert haben – gerechnet auf 100.000 Einwohner.

Der wichtigste Inzidenzwert ist 50 – d. h. 50 Neuerkrankungen pro Tag auf 100.000 Einwohner gerechnet. Ab diesem Wert müssen verschärfte Maßnahmen verordnet werden, damit sich die Infektion nicht weiter ausbreitet. Seit einer Woche liegt auch Leipzig über diesem Wert. Am Freitag, 6. November, lag der Wert in Leipzig bei 56. In den beiden angrenzenden Landkreisen lag er bei 98 (Landkreis Leipzig) und 111,8 (Nordsachsen). Ab einem Wert von 100 gilt eine Region als Risikogebiet.

9. Was bedeutet die Reproduktionsrate R?

Ein Reproduktionswert von 1,0 bedeutet, dass – statistisch betrachtet – ein positiv Getesteter immer nur einen weiteren Menschen ansteckt. Steigt der Wert über 1, steckt ein positiv Getesteter mehr als nur einen weiteren Menschen an. Und da diese dann auch weitere Menschen anstecken können, breitet sich eine Epidemie immer schneller aus.

Das versuchen die Gesundheitsämter zu vermeiden, indem sie so schnell wie möglich versuchen, alle Menschen im Umfeld eines positiv Getesteten zu ermitteln und die Infektionskette zu unterbrechen. Denn wenn sie das nicht mehr schaffen, breitet sich die Epidemie unkontrolliert aus.

Wenn man den Wert unter 1 bekommt, hat man wieder einigermaßen die Kontrolle und „flacht die Kurve“ der Infektionen ab, wie das so schön heißt.

10. Reichen die Intensivbetten?

Wenn wieder mehr Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind, erkranken zwangsläufig auch wieder mehr Menschen schwer an COVID-19 und müssen ins Krankenhaus. Es wird also wie im Frühjahr wieder wichtig zu wissen, ob die verfügbaren Betten in Leipzig z. B. reichen.

Die „Zeit“ führt hier eine sehr übersichtliche Statistik. Danach waren am Freitag, 6. November, von 391 Intensivbetten in Leipzig immerhin 309 mit Patienten belegt, die keine COVID-19-Patienten waren. Das geht ja in der Corona-Debatte meist unter, dass die Krankenhäuser auch weiterhin schwer erkrankte Menschen mit anderen Krankheiten behandeln.

14 Betten waren mit COVID-19-Patienten belegt. 18 Prozent der Betten waren frei, standen also theoretisch für die Behandlung von weiteren 69 COVID-19-Patienten zur Verfügung.

Wobei nicht alle COVID-19-Patienten auf die Intensivstation müssen. So meldete Leipzig für den 5. November auch 34 COVID-19-Patienten in Leipziger Krankenhäusern (aus Stadt Leipzig und Umland) auf der normalen Krankenstation.

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Es gibt 2 Kommentare

Wie süß, MICH belehren, was Inkubationszeit heißt. (ich habe ja auch nicht gesagt, dass die Zahlen dann sofort runtergehen müssten…)

Immer noch viel, viel Konjunktiv, Zeit im Sommer wurde schlecht genutzt, Gesundheitsämter wurden unzureichend aufgestockt und die Lage beim Pflegepersonal hat sich auch nicht wirklich gebessert, wenn der Mensch eine „Fallpauschale“ ist, wird das auch nichts, ich lebe nun schon im dritten Jahr mit allen Corona Symptomen außer Fieber, passt scho und kommt woanders her, wünsche ein ruhiges Wochenende in LE, Gruß Thomas

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