Der geschätzte Kollege Georg Dietz von Der Zeit schrieb neulich, dass den etablierten Parteien so akute Gefahr an den Wahlurnen drohe, weil sie selbst nicht mehr davon überzeugt seien, dass ihre Politik überhaupt noch etwas bewirken könne. Er diagnostiziert ihnen sowohl ein Visionsvakuum wie ein Performanceproblem.

Brutal verkürzt behauptet er, dass die Volksparteien in einem reinen Verwaltungsmodus des aktuellen Sachstandes feststeckten, der keine Antworten auf die verschiedenen langfristigen Herausforderungen habe, mit denen Deutschland, Europa und die Welt sich gerade konfrontiert sehen.

Außerdem hätten sie große Schwierigkeiten, ihre Politik dem Wähler zu erklären. Foto-OP und bis zum Erbrechen durchgeprüfte Soundbites also, statt der öffentlich ausgeführten Konfrontation mit den Problemen der Welt.

Tatsächlich pflegt Scholz die Politik der „ruhigen Hand“, während seine Kabinettsriege den Eindruck einer zerstrittenen Lehrerriege auf Klassenfahrt in die große Welt erweckt. Die Heilung der Welt, so der Eindruck beim Wahlvolk, überlasse man in den Parteizentralen lieber der Wirtschaft und dem freien Markt, statt sich auf die eigene Macht zu besinnen und klar zu Entscheidungen zu stehen.

Ergebnis dieser Herangehensweise, so Georg Dietz, sei eine absurde Entpolitisierung der Politik. Gleichzeitig wertet er die Erfolge der Populisten überall auf der Welt als Ausdruck einer von den Volksparteien nicht mehr erfüllten Sehnsucht im Wahlvolk nach sichtbarer und spürbarer Politik.

Wie nun aus diesem Dilemma entkommen?

Herr Dietz sieht die Lösung in einer Abwendung der Volksparteien von ihrer bisherigen Machtstruktur. Statt die Herausforderungsverwaltung im Land im Grunde so anzugehen wie verschiedene Fördervereine, die sich vor allem um die Erwartungshaltungsverwahrung ihrer Mitglieder und diversen Klientele kümmere, müsse sich Politik öffnen und Wege finden, aufs Wahlvolk zuzugehen, um dessen Ansprüche zu hören und zu verarbeiten.

Tatsächlich sind dafür ja bereits zarte Ansätze zu sehen. Unser sächsischer MP veranstaltet Bürgergespräche, die SPD hat vor der letzten Wahl immerhin das breite Parteivereinsvolk über eine neue Führungsriege abstimmen lassen und damit die Konservativen gezwungen, dieses Prinzip mehr oder weniger zu kopieren. (Die FDP Freiheitspartei hinkt in der Beziehung weiter übrigens heftig nach)

ePaper, Cover Ausgabe 127.

Aber diese Ansätze, so hat man den Eindruck, sind noch zu zaghaft und zu sehr getrieben von aktuellen Ereignissen und Umfragen. Vor der in anderen Ländern wie Frankreich oder Spanien, sehr erfolgreich durchgeprobten Form der Bürgerräte scheint die Politikmanagerkaste in Deutschland noch zurückzuschrecken, obwohl gerade die genau das Elixier sind gegen jene Politikerverdrossenheit, die Georg Dietz und andere kluge Köpfe der Berliner Republik bescheinigen.

Im Koalitionsvertrag wurde deren Einsetzung immerhin versprochen. Bislang existieren in Deutschland allerdings nur ganze sieben bundesweit tätige Bürgerräte, von denen nur 2 – in WORTEN Zwei! – von Bundesministerien organisiert wurden. Und es besteht auch nirgendwo eine rechtlich verlässliche Versicherung, dass deren Beratungsergebnisse später auch in konkretes Regierungshandeln umgesetzt werden.

Das ist bisschen mau. Das ist sogar verdammt mau.

Die Populisten fordern derweil trotzig eine erweiterte Anwendung von Volksbegehren und fahren stimmenmäßig verdammt gut damit.

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