In Sachsen werden Überwachungssysteme mit Gesichtserkennung zur Strafverfolgung eingesetzt. Seit 2019 stehen in Görlitz entsprechende Anlagen. 2023 rühmte sich das Sächsische Innenministerium mit dem erfolgreichen Einsatz und weitete die Technik auch auf Zittau aus. Nach einem Bericht des Journalisten Matthias Monroy im „Neuen Deutschland (nd)“ wurde die Software zur biometrischen Rasterfahndung auch in zwei Verfahrenskomplexen in Berlin angewendet. Der Jurist Tobias Singelnstein stellt die Rechtmäßigkeit des Einsatzes in Berlin infrage.
Währenddessen werden nach der Festnahme der (ehemaligen) RAF-Terroristin Daniela Klette Ende Februar Rufe nach mehr Einsatz von Gesichtserkennungssoftware und Künstlicher Intelligenz laut. Denn möglicherweise hatte eine Suche mittels Gesichtserkennungssoftware durch ein Recherchekollektiv dem LKA Niedersachsen den entscheidenden Tipp gegeben.
„Jetzt zeigt sich, wie gut Polizeiarbeit funktionieren würde, wenn sie mit technischer Unterstützung, KI und Gesichtserkennung unterstützt wird“, so Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Auch vonseiten der CDU wurden Stimmen laut, die eine Ausweitung der Technik durch die Polizei fordert.
Als rechtliche Grundlage für den Einsatz der Überwachungstechnik nannte die Staatsanwaltschaft Berlin den Paragraf 98a „Rasterfahndung“ der Strafprozessordnung. Er erlaubt den maschinellen Abgleich personenbezogener Daten „von Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen“ im Fall einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“. T
obias Singelnstein, Professor für Strafrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, kritisierte gegenüber dem „nd“, dass davon eine flächendeckende Videoüberwachung nicht abgedeckt sein könne.
Einsatz von Gesichtserkennung in Sachsen
Die Polizei Görlitz setzt seit 2019 das „Personen-Identifikations-System (PerIS)“ zur Erkennung von Gesichtern und Nummernschildern ein. Fünf Kamerasäulen überwachten laut Sächsischem Innenministerium 2021 den Verkehr an der Grenze zu Polen. 2023 war das Projekt schon auf zehn Säulen und zwei mobile Geräte ausgeweitet worden. Das Ministerium sprach von einem „Erfolgsmodell“ und weitete die Technik auch auf Zittau aus.
„Die Polizei kann zukünftig auch hier Straftäter bei Tag und Nacht sowie bei jedem Wetter hochauflösend aufzeichnen und identifizieren“, so Sachsens Landesinnenminister Armin Schuster. „Ein vergleichbar leistungsstarkes System ist mir zumindest im europäischen Raum bis dato nicht bekannt, die bisherigen Ermittlungserfolge sprechen für sich.“
Die Polizei Sachsen hat gegenüber der Zeitung „Analyse&Kritik“ geäußert, dass es sich vor allem um eine Maßnahme der Abschreckung im Sinne einer „Strafverfolgungsvorsorge“ handele. Gegenüber der Leipziger Zeitung (LZ) antwortete die Sächsische Polizei nicht auf eine Anfrage, ob diese Aussage bestätigt werden könne.
Das System „PerIS“ wird zum nachträglichen, manuellen Abgleich der aufgenommenen Bilder mit den Personen und Fahrzeugen genutzt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Eigentumskriminalität, so beispielsweise der Aufklärung von Fahrraddiebstahl.
Wie viel diese Technik eingesetzt und in Amtshilfe verliehen wird, konnte das Sächsische Innenministerium auf Anfrage der Leipziger Zeitung (LZ) nicht beantworten, da die Anwendung von Ermittlungsinstrumenten nicht statistisch erfasst werde. Zu konkreten Einsätzen, auch zu der Amtshilfe in Berlin, wollte das Innenministerium keine Auskunft geben.
EU-Regelung zu KI und Gesichtserkennung
Laut dem Bundeskriminalamt basiert moderne Gesichtserkennung „in den meisten Fällen auf Methoden des maschinellen Lernens, einer Unterdisziplin der KI.“ Bereits jetzt sind in „Inpol“, der größten deutschen Polizeidatenbank, zu 5.054.189 Personen 7.230.520 Lichtbilder gespeichert. Löschfristen richten sich „nach dem führenden Datensatz, zu dem die Bilder gehören“.
Bisher ist ein Echtzeit-Abgleich der gewonnenen Daten per KI, wie GdP-Vorsitzender Kopelke es sich wünscht, weder bundesweit noch in einzelnen Bundesländern erlaubt. Die Software „PimEyes“, die möglicherweise zur Stellung von Daniela Klette beigetragen haben könnte, wäre dann wahrscheinlich verboten. Eingesetzt hatte sie ein Recherchekollektiv im Auftrag des „Legion: Most Wanted“-Podcast um den Journalisten Khesrau Behroz. Behroz kritisierte die Rufe nach einer Ausweitung von KI- und Gesichtserkennungssystemen später selbst mit Verweis auf die daraus resultierende Einschränkung von Grundrechten.
Mit dem Tool PimEyes, mit dem Daniela Klettes Capoeira Verein aufgespürt wurde, durchsuchte das Recherchekollektiv „Bellingcat“ das Internet nach Bildern auf der Grundlage von Fahndungsfotos von Daniela Klette. Damit spürte er sie bei ihrem ehemaligen Capoeira-Verein auf, ein Detail, das den Behörden-Fahndern selbst entgangen war. Für die Polizei ist die Suche nach Gesichtern im Internet, anders als für den Verfassungsschutz, verboten.
Die EU will durch einen AI-Act künftig die Nutzung von KI regulieren. Die Systeme sollen, wo will es das Parlament, „sicher, transparent, nachvollziehbar, nicht diskriminierend und umweltfreundlich“ sein, sowie von Menschen überwacht werden. Die geplante Verordnung sieht jedoch Ausnahmen für „besonders schwere Fälle“ vor.
Modellprojekt mit KI am Bahnhof Berlin-Südkreuz
Am Bahnhof Berlin-Südkreuz hatten Bahn, Innenministerium und Polizei KI-gestützte Überwachungstechnik bereits in einem Modellprojekt seit 2017 getestet. Der Abschlussbericht der ersten Testphase bis 2018 versuchte hinter allerlei Floskeln zu vertuschen, dass die Technik zu ungenau und unausgereift ist. Datenschützer*innen kritisierten auch damals, dass die Rechtsgrundlage fehlte und die Systeme sowohl ethisch als auch technisch nicht einsatzfähig waren. Das System hatte eine hohe Falscherkennungsrate.
Polizei und Innenministerium bewerteten das Projekt trotz allen Bedenken positiv und plädierten für eine Ausweitung: „Nach erfolgreichem Abschluss des Tests ist nun zu entscheiden, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die Technik künftig zum Einsatz kommen soll. (…) Der Bundesinnenminister spricht sich dafür aus, im Falle einer Einführung zunächst eine klarstellende Rechtsgrundlage im Bundespolizeigesetz zu schaffen, aus der die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für den Einsatz von Systemen zur Gesichtserkennung und sonstiger intelligenter Videoüberwachung klar hervorgehen.“
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