Die Wehrpflicht für junge Menschen wieder einzuführen, ist nicht nur ungerecht, sondern unverantwortlich, stellte Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin, am 28. Juni in einer Kolumne in der „Zeit“ fest. In der es nicht nur um den Vorstoß von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ging, die Wehrpflicht wieder einführen.
„Was manche begrüßen, ist für junge Menschen jedoch ein Schock“, schrieb Fratzscher in seiner Kolumne. „Und eine weitere Ungerechtigkeit. Denn die junge Generation wird bereits durch das jüngste Rentenpaket II belastet, auch Vorschläge wie ein verpflichtendes soziales Jahr oder eben die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde die junge Generation und künftige Generationen für die Fehler der Babyboomer aufkommen lassen.
Das wäre falsch. Die Babyboomer sollten ihre Fehler selbst korrigieren und sie nicht auf künftige Generation abschieben. Denn in den vergangenen 200 Jahren hat keine andere Generation so viele Krisen und Risiken hinterlassen.“
Er geht dabei auf die verfehlte Außenpolitik nach 1990 ein, als es möglich gewesen wäre, ein internationales System zu etablieren, in dem auch Autokratien Verantwortung für die Lösung der ökologischen Probleme übernehmen.
Aber das Problem steckt in den Köpfen vieler (nicht aller) Babyboomer, die zwar gern zugestehen, dass sie den Kindern und Enkeln eine schlechtere Welt hinterlassen, aber an ihrem Lebensstil nichts ändern wollen.
„Zudem haben die verantwortlichen Babyboomer in Wirtschaft und Politik die ökologischen und digitalen Transformationen verschlafen. Diese seien zu teuer und würden kurzfristig den wirtschaftlichen Wohlstand reduzieren, lautete lange Zeit das Argument“, kritisiert Fratzscher die politische Mentalität, die gerade die vergangenen drei Jahrzehnte geprägt hat.
„Nun soll die junge Generation sicherstellen, dass Abhängigkeiten reduziert werden und der Rückstand bei Klima- und Umweltschutz aufgeholt wird, beispielsweise durch massive Subventionen energieintensiver und industrieller Unternehmen.“
Knoten im Kopf: Demografie und Migration
Und sie haben noch ein Problem geschaffen: „Bei all den globalen wirtschaftlichen Erfolgen haben die Babyboomer weniger Kinder bekommen und wollen trotzdem weiterhin an einem konservativen Familienmodell in Deutschland festhalten. Frauen sollten gefälligst arbeiten, sich aber gleichzeitig doch bitte um die Kinder kümmern.
Investitionen in eine gute Infrastruktur und Qualität bei Kitas und Schulen waren und sind keine Priorität. Und viel mehr Migration, um die demografische Lücke zu schließen, will man auch nicht, vor allem nicht von Menschen, die eine andere Religion haben und nicht exzellent ausgebildet sind.“
Das Problem ist auch die Blindheit der Älteren für die Privilegien, die sich gerade jene verschafft haben, die am meisten von der Arbeit der Gesellschaft profitieren.
Denn das macht man über Steuern und Steuersenkungen, welch letztere dem Staat genau das Geld entziehen, das benötigt würde, um die nötigen Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Wofür ja irgendwie kein Geld da ist, weil eine mehr als kontraproduktive „Schuldenbremse“ wichtiger ist als der Erhalt der Infrastrukturen.
„Damit bloß niemand auf die Idee kommt, unsere Gesellschaft könnte ja die notwendigen Investitionen in Bildung, Verteidigung, Infrastruktur, Klimaschutz oder Soziales durch höhere Steuern für Spitzenverdienerinnen und -verdiener – sprich: gut verdienende und vermögende Babyboomer – finanzieren, werden Steuererhöhungen von Regierungsparteien kategorisch abgelehnt und wurde die Schuldenbremse so im Grundgesetz verankert, dass sie kaum sinnvoll reformierbar ist“, benennt Fratzscher die dümmste aller politischen Lösungen der verantwortlichen Generation.
„Oder anders ausgedrückt: Die Babyboomer weigern sich vehement und erfolgreich, für ihre Fehler und Versäumnisse zu zahlen und dafür, dass sie selbst über ihre Verhältnisse leben. Dies sollen nun die kommenden Generationen ausbügeln.“
Eine funktionierende europäische Verteidigung wäre genauso Teil dieser notwendigen Investitionen, da die kriegslüsternen Diktatoren ja ganz offensichtlich nicht einfach aussterben.
Eine egoistische Generation – oder doch nur reicher Pöbel?
Im Grunde wirft Fratzscher den (reichen) Babyboomern Egoismus und Versagen in allen politisch wirklich wichtigen Belangen vor. Denn die Vorstellungen von Wohlstand und Steuervermeidung pflegt eben nicht die ganze Generation, sondern jener Teil von ihr, den Björn Vedder „Reicher Pöbel“ nennt.
Fratzschers Resümee: „Vor allem aber sollten die Babyboomer mehr Verantwortung für ihre Entscheidungen der Vergangenheit übernehmen. Dies bedeutet deutlich mehr Investitionen, sowohl in Verteidigung als auch für Klimaschutz, Bildung und eine gute Infrastruktur zu tätigen, finanziert durch höhere Steuern für gut verdienende Babyboomer und auch durch einen Verzicht auf eine stärkere Belastung der jungen und künftigen Generationen. So würden die Babyboomer ihren Teil des Generationenvertrags wieder ein wenig besser erfüllen.“
Und die Frage bleibt, ob es tatsächlich DIE Babyboomer sind, welche die Veränderungen blockieren. Oder nicht eher die Leute, die vom fossilen Stillstand immer noch profitieren, wie Christian Stöcker in „Männer, die die Welt verbrennen“ feststellt. Leute, die keine Skrupel haben, zu lügen, Gesetze zu brechen, Politiker zu kaufen und eben tatsächlich „die Welt zu verbrennen“, weil sie davon profitieren?
Dann geht der Riss nämlich auch quer durch die Babyboomer-Generation und die Frage steht eher: Sollten sich die Generationen nicht zusammentun und dieser Selbstbedienung der Reichen am gesellschaftlichen Reichtum (und unserer Zukunft) ein Ende bereiten?
Eine verzwickte Frage in Zeiten, wo das Wüten über die jungen Leute so allgegenwärtig ist.
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Wie Herr Fratzscher denkt, das ist nun verständlich. Seine Gedanken haben großen Platz in diesem Artikel gefunden.
Bei der Debatte um die Schuldenbremse wird ja die “Generationengerechtigkeit” seltsamerweise von beiden Streitparteien als Argument benutzt. Ich finde das seltsam.
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A behauptet, dass wir jetzt keine übermäßigen (?) Schulden aufnehmen sollten, damit die zukünftige Generation diese nicht aufgebürdet bekommt und damit nicht über Gebühr belastet würde.
B behauptet, dass wir jetzt in Größenordnungen (?) Schulden aufnehmen sollten, damit die zukünftige Generation nicht mit dem immensen Investitionsstau über Gebühr belastet würde.
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Verstehe ich nicht. Ist die Unterstellung tatsächlich, dass die FDP etwas gegen Kinder hat? Oder was soll das EIGENTLICHE Interesse dieser Partei mit der Schuldenbremse sein, wenn man ihr das mit den zukünftigen Generationen nicht glaubt?
Was sagt denn die “künftige Generation” dazu? Mag sie lieber Schulden (mit all deren negativen, lähmenden Effekten), oder langsame Züge und Schulen ohne Digitaltafeln?