Krass! Das dachte ich, als ich mit 13 oder 14 Jahren zum ersten Mal „Das Totenschiff“ von B. Traven las. Da gab es doch, nach dem Ersten Weltkrieg, massenhaft Menschen ohne Staatsbürgerschaft, sogenannte Staatenlose. Der Hauptcharakter, ein US-Seemann, kommt zufällig nach dem Verlust seiner Papiere in diese Situation, in der die anderen aus verschiedenen Gründen gefangen sind. Das Buch habe ich damals, um 1970 herum, geradezu verschlungen und es erschien mir, als Jugendlichem in der DDR, völlig absurd.
Über 50 Jahre später, im Jahre 2024, kocht das Thema durch den Fall Robert A. wieder in der Öffentlichkeit hoch. Es gibt allein in Deutschland laut Mediendienst Integration etwa 125.000 Menschen (Stand August 2023) mit ungeklärter Staatsangehörigkeit, davon rund 29.500 „anerkannte Staatenlose“.
Der Fall Robert A. steht hier nur exemplarisch. Die genauen Vorgänge der letzten 30 Jahre können wir nicht aufklären, nicht einmal, ob er den Status „anerkannter Staatenloser“ hat, ist bekannt. Es ist aber bekannt, dass er ohne Staatsangehörigkeit in den Niederlanden geboren wurde und als Säugling nach Deutschland kam.
Er hat die Schule besucht, einen Beruf gelernt und durch die Sonderstellung als „staatenlos“ oder „ungeklärte Staatsbürgerschaft“ wurde er gemäß „Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen“ im Großen und Ganzen einem „Ausländer“ gleichgestellt.
Die Geburt in den Niederlanden erwies sich wahrscheinlich als Hindernis für eine Einbürgerung, da die Kriterien für den besonderen Anspruch von Kindern Staatenloser nur für in Deutschland geborene Kinder gelten.
Staatenlose sind in Deutschland selbstverständlich nicht rechtlos, sie sind aber quasi entmündigt. Wie wäre es sonst erklärbar, dass ein Mensch mit abgeschlossener Berufsausbildung nach Jahren von der Ausländerbehörde, die praktisch als Vormund agiert, weder eine Arbeitserlaubnis, noch die Erlaubnis zum Umzug in ein anderes Bundesland erhält?
Wenn der Staatenlose dann (es ist unerheblich warum erst jetzt) seiner Mitwirkungspflicht nachkommt und seine Geburtsurkunde aus dem Geburtsland beschafft und dem Amt vorlegt, dann liegt es scheinbar im Ermessen des Amtes, was mit ihm weiter passiert.
Im Falle des Robert A. entschied das Amt: „Wir schieben ihn ab!“ Nicht etwa in das Geburtsland, sondern in das seiner Eltern, dessen Staatsangehörigkeit er ja nicht hat. Muss ihn dieses Land überhaupt aufnehmen?
Könnte es vielleicht passieren, dass er auch dort keine staatsbürgerlichen Rechte hat?
So wie Merhan Karimi Nasseri, der 18 Jahre (!) im Transitbereich auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle lebte.
Gibt es eigentlich noch die „Totenschiffe“ für rechtlose Menschen? Der Fall Robert A. macht uns wieder auf das Problem „Staatenlosigkeit“ aufmerksam. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kurz, also bis zum nächsten solchen Fall. Oder gehen wir das Problem endlich mal an?
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