Es gibt aktuell eine Diskussion über verschiedene Modelle von Bezahlkarten für Geflüchtete, auch für Asylsuchende genannt. Wozu soll das Ganze gut sein und welche Argumente für die verschiedenen Varianten gibt es? Eine Anmerkung im Voraus: Wenn wir über Diskriminierung durch diese Bezahlkarte reden, dann müssen wir auch andere Sachverhalte auf den Prüfstand stellen.
So ist es leider üblich, dass bei einer Fahrscheinkontrolle in den Bussen und Bahnen der LVB lautstark vom Kontrolleur die Forderung gestellt wird: „Ihren Leipzig-Pass bitte!“ Inhaber der „Leipzig-Pass-Mobilcard“ werden mit dieser Aufforderung quasi als arm und bedürftig zwangsgeoutet. Ich lasse das jetzt so stehen und komme später darauf zurück.
Wozu eine Bezahlkarte für Geflüchtete/Asylsuchende?
Der plausibelste Grund für die Einführung ist die Entlastung der Kommunen, die dann nicht mehr Bargeld auszahlen müssen, was mit hohem Aufwand an Personal verbunden ist. Sie können die Beträge automatisiert an Banken überweisen.
Das stimmt allerdings nur bedingt, hört man zum Beispiel von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): „Mit einer Bezahlkarte werden Bargeldauszahlungen an Asylbewerberinnen und -bewerber weitgehend entbehrlich.“
Wenn Bargeldauszahlungen nur „weitgehend entbehrlich“, also in der Höhe eingeschränkt werden, dann gibt es tatsächlich keine Entlastung für die Kommunen. So sagt es auch der Deutsche Städtetag: „Eine Bezahlkarte wird Geldzahlungen nicht völlig ausschließen. Denn es wird immer wieder einzelne Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geben, wie Unfall- oder Krankheitskosten, die nicht über solche Karten abgewickelt werden können. Dafür müssten dann weiter Geldleistungen für den Einzelfall organisiert werden.“
Das Problem liegt schon im Namen „Bezahlkarte“: Geflüchtete/Asylsuchende sollen künftig vom Bargeldverkehr weitgehend ausgeschlossen werden. Das klingt hart, aber die Argumentationen bedeuten genau das.
Argumente für den Ausschluss vom Bargeldverkehr
„Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität“, sagte Hessens Regierungschef Boris Rhein.
Die These „Verwaltungsaufwand der Kommunen senken“ ist oben behandelt. Wahrscheinlich wird dieser sogar wachsen, es wird Einzelfallprüfungen für Bargeldauszahlungen geben, bestenfalls wird ein Teil der Leistungen bar ausgezahlt und der größere Teil auf die Bezahlkarte gebucht. Beides hat keine positiven Auswirkungen für die Kommunen.
Der zweite Teil, dass alles Geld, welches in Herkunftsländer überwiesen, wird die Schlepperkriminalität fördert, ist spekulativ. Oft sparen Geflüchtete bei ihren Ausgaben und überweisen Geld, um ihren Familien das Überleben im Herkunftsland zu ermöglichen.
In welchem Maße Schlepperkriminalität befördert wird oder welchen sogenannten „Pull-Faktor“ das Bargeld darstellt, gibt es mehr Vermutungen als Erkenntnisse.
Modelle für Bezahlkarten
Vierzehn der sechzehn Bundesländer haben sich auf ein Modell geeinigt, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen Bezahlkarten, aber nicht nach dem einheitlichen Mindeststandard.
Der vereinbarte Mindeststandard ist eine guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion – also ohne Kontobindung. Grundsätzlich soll die Karte bundesweit gelten, Länder können sie aber regional und für bestimmte Branchen einschränken. Nicht vorgesehen seien ein Einsatz im Ausland, Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland.
Bargeldauszahlungen sind nicht aufgeführt, das erklärt sich aus dem Begriff „Bezahlkarte“, der diese von vornherein ausschließt.
Bemerkenswert ist der Passus „Länder können sie aber regional und für bestimmte Branchen einschränken“. Dieser bedeutet, dass ein Bundesland die Karte auf den Wohnsitz der Geflüchteten einschränken und ihnen somit jegliche Bewegungsfreiheit nehmen kann.
Bayern will das, abweichend vom Mindeststandard, so lösen: Die „Bayern-Karte“ solle nur in der Nähe der Unterkunft genutzt werden können und für ein stark eingeschränktes Warensortiment gelten. „Es können nur noch Waren in Geschäften des täglichen Gebrauchs gekauft werden“, sagte Söder. Man darf gespannt sein, was in Bayern unter täglicher Gebrauch und Geschäften, die Waren für diesen verkaufen, verstanden wird. Dürfen Geflüchtete für ihre Kinder Spielzeug oder für sich selbst Lehrbücher kaufen?
Er hat damit auch schon die Möglichkeit der „Einschränkung auf Branchen“ voll ausgereizt.
Soweit zum bundesweiten „Konsens“, es gibt aber Ausnahmen.
Hannover setzt auf die „SocialCard“, eine Visa-Karte auf Debit-Basis, entwickelt von der Publk GmbH. Ein wichtiger Aspekt bei dieser Karte: Sie unterscheidet sich äußerlich nicht von anderen Visa-Karten, Benutzer werden – im Gegensatz zur Bezahlkarte – nicht sofort als Geflüchtete identifiziert und stigmatisiert.
Was aus dem Projekt wird, bleibt abzuwarten, das Land Niedersachsen hat sich schließlich dem oben genannten Modell angeschlossen.
Stigmatisierung durch Bezahlkarte?
Im Gegensatz zur Artikelüberschrift trifft der Begriff „Stigmatisierung“ es wahrscheinlich besser als „Diskriminierung“. Die Begriffe sind nicht Synonyme, aber sie haben etwas miteinander zu tun. Was ist Stigmatisierung? Eine etwas längere Definition ist hier angebracht.
„Von Stigmatisierung spricht man, wenn eine Person oder eine Personengruppe aufgrund eines bestimmten Merkmals, einer Eigenschaft oder eines Zustandes in negativer Weise von anderen abgegrenzt oder unterschieden wird. Darüber hinaus wird das Merkmal häufig verallgemeinert (‚Die sind doch alle …‘ )
Das betreffende Merkmal entspricht meistens nicht dem, was in der jeweiligen Gesellschaft als „Normalität“ gilt. Ein Stigma umfasst also alle negativen Meinungen, Vorurteile und Diskriminierungen (also Benachteiligungen oder Herabwürdigungen von Personen oder Personengruppen aufgrund dieser Meinungen und Vorurteile) gegenüber denjenigen, die von dieser gesellschaftlich vorgegebenen ‚Normalität‘ abweichen. Dies kann dazu führen, dass die Person oder die Personengruppe vor allem über dieses Merkmal wahrgenommen wird, während andere Merkmale in den Hintergrund rücken.“
In diesem Sinne ist der Einsatz einer erkennbaren „Bezahlkarte“ beim Einkauf genau so stigmatisierend wie die eingangs beschriebene Frage nach dem Leipzig-Pass im ÖPNV. Menschen werden als Geflüchtete/Asylsuchende oder als arm und bedürftig erkannt und oft von ihrer Umgebung in ein Schema eingeordnet.
Wie sieht das in Leipzig aus?
Im Stadtrat Leipzig fordert die CDU-Fraktion mit einem Antrag die „Schnelle Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende“, mit der Begründung: „Der Beschluss der Bund-Länderkonferenz gibt den Kommunen endlich die Möglichkeit, eine unbürokratische und sichere Auszahlung für Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz durchzusetzen.“
Das Thema „unbürokratisch“, also wahrscheinlich „Verwaltungsaufwand der Kommunen senken“, wurde oben behandelt.
Die Fraktion Die Linke hält mit einem Änderungsantrag dagegen. Sie fordert:
1. Die Stadt Leipzig wirkt gegenüber der Bundes- und Landesregierung und in den Gremien des Deutschen Städte- und Gemeindetages sowie des Sächsischen Städte- und Gemeindetages darauf hin, dass Kommunen freiwillig am möglichen Modell einer Bezahlkarte für Geflüchtete teilnehmen können, dies also auch unterlassen können.
2. Die Stadt Leipzig prüft den Verzicht auf die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete und setzt die Bemühungen fort, dass alle Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein Konto nutzen können oder eine sogenannte „SocialCard“ nach Vorbild von Hannover erhalten.
Der Punkt 1 ist hier besonders wichtig, am Beispiel Hannover wurde oben beschrieben, dass ohne eine solche Regelung nur die vom Land getragene Lösung „Bezahlkarte“ kommunal umgesetzt werden kann.
Ob der Änderungsantrag im Stadtrat eine Mehrheit findet, ist offen, ob eine rechtliche Möglichkeit nach Punkt 1 gefunden wird, ist fraglich.
Fazit: Die Einführung einer „Bezahlkarte“ ist stigmatisierend für Geflüchtete/Asylsuchende, ob sie den Verwaltungsaufwand senkt, ist zumindest fraglich. Eine örtliche Einschränkung, nach dem bayerischen Modell „in der Nähe der Unterkunft“ ist wahrscheinlich sogar für Händler skeptisch zu sehen.
Wenn eine „Bannmeile“ um Unterkünfte gezogen wird, werden außerhalb dieser Händler merken, dass auch die Bewohner von Asylbewerber-Unterkünften Kunden sind.
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