Aktuell überbieten sich konservative deutsche Politiker mit Vorschlägen, wie man asylsuchende Menschen am besten wieder exportieren kann oder ihnen einfach mal das Geld kürzt, damit ihnen der Aufenthalt im ach so gemütlichen Deutschland verleidet wird. Und immer wieder mittendrin: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Im Mai schon, als die Debatte zum ersten Mal aufflammte. Jetzt wieder.
Im ZDF-Morgenmagazin hat er gerade wieder nachgelegt. Das ist auch Wasser auf die Mühle der AfD, die mit ihrer Haltung zur Migration die bürgerlichen Parteien munter vor sich hertreibt. Und politische Lösungen einfordert, die hinten und vorn keinen Sinn ergeben, sondern tatsächlich nur die herrschenden Probleme weiter verschärfen. Ein falsches Weltbild führt nun einmal nicht zu guten Problemlösungen.
Darauf machte am 31. Oktober schon Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“ aufmerksam: „Der Vorschlag, Geflüchteten Leistungen zu kürzen, um die Zuwanderung zu reduzieren, ist einer der schlechtesten und schädlichsten, die seit langer Zeit gemacht wurden.“
Der Tunnelblick der Konservativen
Dabei reagierte er auf den Vorstoß zweier Bundesminister: „Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann haben am Sonntag eine Kürzung der Leistungen für Geflüchtete gefordert, um die Zuwanderung zu reduzieren – so wie auch andere Politiker/-innen in den letzten Wochen. Aber ist das wirklich eine gute Idee? Wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine Kürzung der Leistungen nur sehr wenige Menschen, wenn überhaupt, davon abhalten würde, nach Deutschland zu kommen.
Gleichzeitig wäre der Schaden für die Integration von Geflüchteten und damit für Wirtschaft und Gesellschaft enorm. Eine solche Kürzung ist daher einer der schlechtesten und schädlichsten Vorschläge, die seit langer Zeit gemacht wurden“, so Fratzscher.
Der dann einfach mal nachschaute, auf welche Argumente sich diese Diskussion eigentlich stützt: „Der größte Teil der wissenschaftlichen Literatur stellt meist keinen Effekt von Veränderungen sozialer Leistungen auf die irreguläre Zuwanderung fest. Es gibt jedoch wichtige Ausnahmen, und zu diesen gehört eine Studie von drei Ökonom/-innen der US-amerikanischen Princeton University aus dem Jahr 2019.
Die Verfechter/-innen der Kürzung sozialer Leistungen haben in den letzten Tagen auf diese Studie verwiesen, die eine recht radikale Kürzung von Leistungen um 50 Prozent im Juni 2002 in Dänemark untersucht. Damals kam eine konservative Regierung an die Macht, die sich kurzerhand entschloss, die Leistungen für Migrant/-innen stark zu kürzen.
Die genannte Studie ergibt, dass diese Kürzung die Zuwanderung um 3,7 Prozent oder 5000 Menschen reduziert hatte.“
Dies wäre dann das Resultat, „an das sich manche Befürworter/-innen in Deutschland klammern, um zu belegen, dass Kürzungen durchaus effektiv sind. Einige haben diese Studie kritisiert, da sie wichtige Push-Faktoren – etwa die Fluchtursachen in den Heimatländern – und andere Faktoren ignoriert.“
Die tatsächlichen Folgen der Kürzungen
Heißt im Klartext: Die Studie ist unwissenschaftlicher Quark, weil sie das Gesamtbild völlig vernachlässigt. Auch die Auswirkungen der Kürzungen auf die Menschen, die schon als Asylsuchende im Land sind, so Fratzscher: „Der wirklich fatale und schwerwiegende Fehler derer, die laut nach der Kürzung sozialer Leistungen für Geflüchtete rufen, ist jedoch, dass sie alle anderen Auswirkungen einer solchen Politik ignorieren.
So gibt es zahlreiche Studien, unter anderem auch eine von drei Forschern aus London und Kopenhagen, die die Auswirkungen der gleichen Reform in Dänemark 2002 auf die bereits im Land lebenden Geflüchteten und deren Integration analysieren. Diese Studie findet einen katastrophal negativen Effekt der Kürzung sozialer Leistungen für Beschäftigung, Armut, Kriminalität und Bildungschancen der Geflüchteten.“
Oha: Wer die Leistungen kürzt, bekommt ausgerechnet all die in der Diskussion um Migration immer wieder genannten Negativ-Gründe, die Migrations-Debatten befeuern: Die Leute finden schlechter in Arbeit, die Kinder haben schlechtere Bildungschancen – und die Kriminalität nimmt zu.
Und es gab sofort negative Wirkungen für das soziale Gleichgewicht, wie Fratzscher feststellt: „Die Kürzung der Sozialleistungen erhöhte das Armutsproblem unter vielen geflüchteten Familien in Dänemark erheblich, da deren Nettoeinkommen um durchschnittlich 40 Prozent zurückgingen. Dies verschlechterte nicht nur die soziale Teilhabe und Gesundheit, sondern erhöhte auch die Armutskriminalität.
Die Studie zeigt, dass dies nicht mit der Ethnizität oder Religion der Menschen zusammenhing, sondern mit deren Armut. Also nicht Herkunft, Hautfarbe oder Religion verursachen Kriminalität, sondern Armut und fehlende Teilhabe.“
Können konservative Politiker nicht rechnen?
Es ist schon ein bemerkenswerter Effekt, wenn sich die konservativen Kürzungs-Forderer immer nur auf den minimalen „Erfolgs“-Effekt einer einzigen Studie berufen und damit einen minimalen Rückgang der Migration, die verheerenden Effekte für den sozialen Frieden aber einfach ausblenden. Als wären sie schlicht nicht in der Lage, das ganze Ausmaß der Folgen zu erfassen.
Darf man das Scheuklappen-Denken nennen?
Natürlich.
Oder mit Fratzschers Worten: „Das Fazit der wissenschaftlichen Studien ist daher: Die Kürzung sozialer Leistungen für Geflüchtete ist die schlechteste Politik, die ein Staat umsetzen kann, weil sie nicht nur wenig effektiv als Abschreckung für potenzielle Migrant/-innen ist, sondern die Integration der Menschen im Land deutlich verschlechtert.
In anderen Worten: Ist es die höchstens geringfügige Abnahme der Zuwanderung wert, die Integrationschancen für 3,1 Millionen Schutzsuchende in Deutschland zu verschlechtern und vor allem die Zukunftschancen vieler Kinder weiter zu verschlechtern? Sind wir gewillt, auch für Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes einen so erheblichen Schaden in Kauf zu nehmen? Dies sind rhetorische Fragen, die auch die stärksten Gegner der Zuwanderung unmöglich bejahen können.“
Falsche Menschenbilder
Fratzscher forderte eine Versachlichung der Debatte. Wobei es eigentlich eher darum ginge, dass die konservativen Meinungsführer aufhören, immer wieder denselben Sermon von sich zu geben und anfangen, die in Deutschland und Sachsen lebenden Menschen als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft zu begreifen. Und auch so zu behandeln: mit Respekt.
Ganz zu schweigen von dem völlig vernachlässigbarem Effekt all der vorgetragenen Forderungen, die an der Not der flüchtenden Menschen nichts, aber auch gar nichts ändern. Marcel Fratzscher: „Die Kürzung von Leistungen, verstärkte Abschiebungen und Grenzkontrollen werden selbst mit den größten Anstrengungen die Zahl der Geflüchteten nach Deutschland nur geringfügig reduzieren – die Kosten für die über drei Millionen Geflüchteten in Deutschland wären jedoch dramatisch.“
Wenn sich Politiker für etwas einsetzen sollten, dann wären das „Qualifikation, Ausbildung, größere Teilhabe für Frauen, bessere Betreuung für Kinder, klare Zukunftsperspektiven – und nicht durch populistische Parolen versuchen, auf Stimmenfang zu gehen.“
Keine Kommentare bisher
“konservative Politiker” denken nicht in sozialen Kategorien, sondern höchstens an ihren eigenen Gewinn. Denken ist auch nicht unbedingt die Stärke konservativer Menschen.