Mit ihren insgesamt drei Teams sind die kommunalen Streetworker*innen des Sachgebiets Straßensozialarbeit im Zentrum, dem Norden und Osten der Stadt unterwegs. Vor allem am Hauptbahnhof und rund um die Eisenbahnstraße sind dabei auch ihre präventiven Angebote zum Thema Sucht und Drogengebrauch gefragt.

Gemeinsam mit Sylke Lein, der Suchtbeauftragten der Stadt Leipzig, erläutern sie für die Leipziger Zeitung (LZ) ihre Arbeit, welche Drogen und Probleme ihnen bei den jungen Leuten am häufigsten begegnen und wie sie eine mögliche Cannabis-Legalisierung beurteilen.

Welche Hilfs- und Unterstützungsangebote für drogengebrauchende Menschen haben Sie generell im Angebot? Und welche dieser Angebote werden von Ihren Adressat*innen am häufigsten nachgefragt bzw. in Anspruch genommen?

Das Sachgebiet (SG) Straßensozialarbeit arbeitet auf Grundlage der §§ 11, 13 SGB VIII. Damit ist es ein Angebot der Jugendhilfe im Arbeitsfeld Mobiler Jugendarbeit/Streetwork (MJA/SW). Zielgruppe sind junge Menschen, vorrangig im Alter von 15 bis 25 Jahren. MJA/SW ist ein niederschwelliges und flexibles Kontakt- und Unterstützungsangebot. Junge Menschen werden in ihren Lebenswelten aufgesucht, beraten, begleitet, unterstützt und bei Bedarf an weiterführende Dienste und Einrichtungen vermittelt.

Es gibt keinen spezifischen Fokus auf drogengebrauchende junge Menschen. In diesem Themenkomplex geschieht die Beratung häufig im Zusammenspiel mit weiterführenden Hilfeangeboten wie Suchtberatungs- und -behandlungsstellen, Entgiftung, stationäre und ambulante Therapie. Hier sind insbesondere die Jugenddrogenberatung K(L)ICK bei der Diakonie und Teen Spirit Island am Helios Park-Klinikum zu nennen. Darüber hinaus wird im Rahmen der Gesundheitsprophylaxe Beratung zu Safer Use und eine sterile Vergabe sowie Entsorgung von Konsumutensilien angeboten.

In welchen Stadtgebieten liegt der Schwerpunkt für Ihre diesbezüglichen Angebote?

Das Sachgebiet Straßensozialarbeit hält Angebote in drei der sechs Planungsräume vor, nach denen die Angebote der Leipziger Jugendhilfe ausgerichtet sind, siehe Integrierte Kinder- und Jugendhilfeplanung. Schwerpunkte für präventive Angebote ergeben sich um den Hauptbahnhof wie auch im Schwerpunktraum Innerer Osten.

Welche Drogen/ Suchtmitteln spielen bei Ihren Adressat*innen die größte Rolle? Welche spezifischen Unterschiede gibt es dabei in Bezug auf beispielsweise Alter, Geschlecht, Herkunft o.ä.?

Statistisch werden die einzelnen Substanzen nicht erfasst. Nach unseren Beobachtungen spielen Alkohol und Cannabis in den Gruppen zwischen 16 und 21 Jahren die größte Rolle. Anscheinend als Auswirkung der Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie hat sich ein spürbarer Rückgang beim Einstieg in den Tabakkonsum leider umgekehrt. Bei jungen Menschen, die über längere Zeiträume in sogenannten Einzelhilfen betreut werden und die tendenziell etwas älter sind (ab 18 bis 25), spielt daneben auch der Konsum weiterer illegalisierter Substanzen eine Rolle spielen, vorwiegend Crystal Meth (Meth-Amphetamin), Benzodiazepine sowie Heroin.

Erfahrungsgemäß gibt es in den erreichten Gruppen einen nennenswerten Überhang an männlichen Jugendlichen. Darüber hinaus können wir bezüglich Herkunft und Geschlecht keine Unterschiede feststellen.

Haben Sie in den letzten (etwa) 5 Jahren generelle tendenzielle Veränderungen im Konsumverhalten junger Menschen wahrnehmen können? Und wenn ja, wie sehen diese Veränderungen aus?

Cover Leipziger Zeitung Nr. 112, VÖ 30.04.2023. Foto: LZ

Im genannten Zeitraum haben wir keine wesentlichen Veränderungen festgestellt. Dabei muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie seit Frühjahr 2020 zeitweise erheblich waren. Es gab kurzzeitig allgemeine Kontaktverbote und Betretungsverbote auch für Jugendhilfeeinrichtungen, Beschränkungen durch Masken und Abstandsgebote sowie Neuregelungen, die nicht allen vermittelt werden konnten. Teilweise sind feste Kontakte komplett abgerissen und noch nicht wiederhergestellt.

Themen wie Alkopops oder Bingedrinking, Legal Highs oder Lachgas, die vor Jahren in aller Munde waren und illustrieren, dass es eine aktive gesellschaftliche Entscheidung ist, Substanzen als illegal einzustufen, scheinen keine größere Rolle zu spielen. Dafür haben sich unangekündigte Partys oder häufig wechselnde Trefforte stärker etabliert – vielleicht als eine Nachwirkung von Corona.

Aktuell haben wir gehäuft Kontakte zu jungen Volljährigen deutlich über 18 Jahren, die ausgereifte Drogenkarrieren mitbringen. Wir führen dies auf die wiederbelebte Vernetzung mit einem Übernachtungshaus für wohnungslose Drogenabhängige zurück, nicht auf einen akuten Anstieg des Phänomens.

Was sind aus Ihren Erfahrungen heraus die schwerwiegendsten/ drängendsten Probleme, die Ihnen im Zusammenhang mit konsumierenden jungen Menschen immer wieder begegnen? (Die Ihre Arbeit beispielsweise strukturell erschweren oder auch die Drogengebraucher*innen großem Stress aussetzen oder sie gefährden.)

Die häufigsten Problemlagen sind neben fehlender Schul- und Berufsausbildung vorrangig Armut und Wohnungslosigkeit, wobei diese Problemlagen teilweise ineinander übergehen. Seitens des Deutschen Jugendinstitutes wird der Begriff „entkoppelte Jugendliche“ verwendet, der die Problemlagen (nicht ausschließlich im Kontext von Drogenkonsum und -missbrauch) gut beschreibt. Drogengebrauchende (junge) Menschen sind häufig einer gesellschaftlichen Abwertung ausgesetzt. Dabei stellen Abhängigkeitserkrankungen klare medizinische Diagnosen gemäß der internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 bzw. neu ICD-11 dar.

Die Stadtratsfraktionen der Linken, Grünen und der Freibeuter wagen aktuell einen erneuten Vorstoß zur Einrichtung eines Drogenkonsumraums in Leipzig. Wie bewerten Sie diese Initiative? Und was wären die wichtigsten Anforderungen, die Sie aus fachlicher Sicht an einen solchen Konsumraum hätten, damit er seinen Zweck bestmöglich erfüllen kann?

Der Antrag ist aktuell ins Verfahren gebracht. Dazu wird ein Verwaltungsstandpunkt erarbeitet. Als Teil der Verwaltung werden wir den Vorgängen im Stadtrat nicht vorgreifen.

Gebrauchte Spritze zwischen Glasscherben. Foto: SG Straßensozialarbeit
Gebrauchte Spritze zwischen Glasscherben. Foto: SG Straßensozialarbeit

Das Thema Cannabis-Legalisierung wird gesellschaftlich kontrovers diskutiert. Als ein Gegenargument wird gern der Jugendschutz ins Feld geführt. Welche Chancen und Risiken für Ihre Adressat*innen sehen Sie in einer solchen Legalisierung?

Die Stadt Leipzig setzt sich für die Entkriminalisierung von Cannabiskonsum ein. Der Stadtrat hat den Oberbürgermeister im vergangenen Jahr beauftragt, die Bundesregierung aufzufordern, die rechtlichen Rahmenbedingungen zur kontrollierten legalen Abgabe von Cannabis zu schaffen und auf der Ebene der der kommunalen Spitzenverbände die zukünftige Entwicklung und Bestrebungen zur Entkriminalisierung des Cannabiskonsums zu unterstützen.

Dies wurde z. B. über die Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Städtetages realisiert, der zum Vorhaben der Bundesregierung zu einer kontrollierten Cannabisabgabe ein eigenes Arbeitspapier entwickelt hat. (Hintergrund dabei war die Kabinettsvorlage des BMG aus dem Oktober 2022). Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des gestärkten Kinder- und Jugendschutzes wurden z. B. bereits im Beschluss des Deutschen Städtetages Positionierung zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken: Deutscher Städtetag (staedtetag.de) oder in der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz unterbreitet.

Der Kinder- und Jugendschutz kann schlecht als Gegenargument zur Entkriminalisierung von Cannabis ins Feld geführt werden. Durch die kontrollierte Abgabe von Cannabis hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den Gesundheitsschutz zu verbessern und den Kinder- und Jugendschutz zu stärken, der auf dem jetzt vorhandenen Schwarzmarkt überhaupt nicht wirksam werden kann.

Mit einer konsequenten Neuregelung müsste die Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis bis zu einer festgelegten Menge auch für minderjährige Konsumentinnen und Konsumenten gelten, also eine Änderung im Jugendschutzgesetz analog zu Tabak oder höherprozentigem Alkohol. Damit bliebe die Abgabe (auch ein Verkauf) an Minderjährige selbstverständlich strafbar.

Die Sicherung von Maßnahmen des Kinder- und Jugendschutzes bleibt aber ein zentrales Element. Für den Schutz von Kindern und Jugendlichen müssen umfassende Präventionsangebote bereitgestellt werden, die auch ausreichend durch Bund und Länder gegenfinanziert sind.

Die Stadt Leipzig wird den Prozess weiter aktiv in den Fachgremien begleiten.

Weitere Informationen zum SG Straßensozialarbeit:
www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/aemter-und-behoerdengaenge/behoerden-und-dienstleistungen/dienststelle/strassensozialarbeit-5134

„Sicheres Konsumieren illegaler Drogen: Bekommt Leipzig einen Drogenkonsumraum?“ erschien erstmals zum thematischeSchwerpunkt „Sucht“ im am 30. April 2023 ersten ePaper LZ 112 der LEIPZIGER ZEITUNGDer Schwerpunkt wird das Thema in allen denkbaren Facetten behandeln: Alkohol, Drogen, aber auch eher Unbekanntes wie Pornosucht. Und während die Debatte über die Legalisierung von Cannabis läuft, schauen wir zurück auf die Geschichte der Drogen quer durch die Zeitalter.

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