Seit Februar hängt am Hauptbahnhof Leipzig eine neue Hausordnung. Sie soll das Leben der Obdachlosen dort noch weiter einschränken, meint Chris. Er hat viele Jahre am Hauptbahnhof gelebt; wohnt jetzt mit seiner Lebensgefährtin in einer Wohnung in Grünau.
„Man darf jetzt nicht einmal mehr Flaschen aus den Mülleimern sammeln“, so Chris. Der neue Hausordnungspunkt 1.13 fügt dem verbotenen „Betteln und Belästigen von Personen“ ein „und Durchsuchen von Abfallbehältern“ hinzu.
Erneut zweijährige Hausverbote
Außerdem wurde einige Wochen nach Inkrafttreten der Novelle eine Handvoll Obdachloser des Hauptbahnhofes, ihres Aufenthalts- und teilweise Wohnortes, verwiesen. Das Hausverbot soll für zwei Jahre gelten. Die anwesenden Securitys und Bundespolizei nannten als Grund den übermäßigen Alkoholkonsum auf dem Gelände.
„Sich die Mühe zu machen und unserer Bitte nachzugehen, doch mal die Videoaufnahmen zu sichten und nachzuschauen, wie viel Alkohol wirklich getrunken wurde oder ob sich jemand danebenbenommen hat: Das macht natürlich keiner“, erzählt Chris, der ebenfalls anwesend war. „Ich kenne die Leute dort und die trinken vielleicht ein paar Bier, aber schießen sich nicht komplett ab und belästigen Menschen.“
Gespräche im Sozialamt und ein Toilettenbeauftragter
Während am Hauptbahnhof Hausverbote ausgesprochen wurden, fand im Sozialamt ein Gespräch zur allgemeinen Situation der Leipziger Obdachlosen statt. Mit dabei: Tom Hübner vom Sozialamt, die Suchtbeauftragte Sylke Lein und einige Ehrenamtliche, darunter die Timmi to Help-Vorsitzende Saskia Fuchs.
Sie erzählt, dass es auch im Gespräch mit der Stadt unter anderem um die Situation am Hauptbahnhof ging.
Ein großer Diskussionspunkt: die Toilettensituation. Schon lange kämpfen Streetworker*innen und weitere Obdachlosenhilfen um kostenlose oder günstige öffentliche WCs – beispielsweise am Platz um das LVB-Mobilitätszentrum. Hier verhindere wohl das Grünflächenamt einiges.
Außerdem kritisierten die Ehrenamtlichen, dass die Toilettencontainer und Duschen an der Erstaufnahme-Station für geflüchtete Menschen aus der Ukraine am Bahnhof nun einfach wieder entfernt wurden, anstatt sie für weitere Bedürftige dort zu belassen.
Die Container hätten jedoch einen privaten Besitzer, so Tom Hübner vom Sozialamt, der diese wieder abbauen ließ. Die Stadt habe derweil jedoch einen „Toilettenbeauftragten“ bestellt, der sich um den Ausbau der öffentlichen WCs in der Stadt kümmert.
Obdachlose helfen Obdachlosen
Auch die Wohnplatznot war laut Fuchs ein großes Thema. Dabei ging es unter anderem um den stark gestiegenen Bedarf an Notunterkünften. Vor rund fünf Jahren gab es in diesen rund 40 Nutzer*innen pro Nacht, jetzt sind es 120.
Und auch die Unterkünfte für wohnungslose Frauen haben einen verdoppelten Mehrbedarf. Eine gute Nachricht soll es im Gespräch jedoch gegeben haben: Wohnungslose mit Hund können nun in der Erikastraße eine Bleibe finden.
Um die Probleme der Wohnungslosen besser vermitteln zu können, auf Verbesserungen und Möglichkeiten aufmerksam zu machen und bedürftigen Menschen unter die Arme zu greifen, wird derweil außerdem ein Peer-to-Peer-Projekt auf die Beine gestellt. Ehemalige Obdachlose sollen dabei in verschiedenen Bereichen – Arbeitsamt, Aufklärungsarbeit, Streetwork, Suchtklinik – jetzigen Obdachlosen helfen.
Nadine von Timmi to Help ist eine der neuen Helfer*innen. „Es mangelt ja eigentlich nicht an Beratungsstellen. Die Leute wissen nur oft nichts davon, schaffen es nicht, sich allein zu kümmern oder haben einfach Scham“, erzählt Nadine aus eigener Erfahrung. „Da kann es helfen, wenn einem jemand zur Hand geht, der das Gleiche durch hat.“
„Obdachlosigkeit in Leipzig“ erschien erstmals im am 30. April 2023 fertiggestellten ePaper LZ 112 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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