Globaler Klimastreik, bestreikte LVB. War da überhaupt noch Platz für einen Robert-Blum-Tag in Leipzig? Die Stadt hatte am Freitag, dem 3. März, ab 10 Uhr eingeladen ins Alte Rathaus, um darauf einzustimmen, dass sie ab 2024 den mit 25.000 Euro dotierten Robert-Blum-Demokratie-Preis verleihen wird. Ein Preis, der in derselben Liga stattfinden soll, wie zum Beispiel der Karlspreis in Aachen. Aber ist Robert Blum (1807-1848) der richtige Namensgeber?

Das war am Freitag doch so ein bisschen die Hintergrundmusik. Denn auch wenn Leipzig 2009 den 200. Geburtstag des Abgeordneten der Nationalversammlung, begnadeten Redners, Netzwerkers und Schriftstellers mit einer großen Ausstellung gewürdigt hat – dass es da doch ein paar kleine Unstimmigkeiten gibt, das wurde deutlich, als Stefan Nölke von MDR Kultur in der Podiumsdiskussion auszuloten versuchte, wie sie alle auf diesen Robert Blum schauen, seine Wirkung und sein Nachleben: Skadi Jennicke (Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig), Prof. Dr. Axel Körner (Historisches Seminar der Universität Leipzig), Gesine Oltmans (Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution) und Dr. Anselm Hartinger (Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig).

Immerhin an historischem Ort, denn als Stadtverordneter kannte auch Robert Blum das damals noch als Amtsgebäude genutzte Rathaus am Markt. Und der Balkon am Rathausturm ist derselbe, von dem aus Blum zu den aufgeregten Bürgern der Stadt Leipzig sprach.

Podiumsdiskussion zum Robert-Blum-Tag 3. März im Festsaal des Alten Rathauses. Foto: Sabine Eicker
Die Podiumsdiskussion zum Robert-Blum-Tag, dem 3. März, im Festsaal des Alten Rathauses. Foto: Sabine Eicker

Zu seiner Rolle als begnadeter Redner ist er ja gekommen, ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein. Bis 1845 war er zwar am Leipziger Theater angestellt – aber als Kassierer. Nicht als Schauspieler.

Die Begabung zur freien Rede

Doch er besaß augenscheinlich die Kraft der Rede und die Fähigkeit – wie nach dem Leipziger Gemetzel von 1845 – auch eine aufgeregte Menschenmenge zum Zuhören zu bewegen und geballte Emotionen in friedliche, produktive Bahnen zu kanalisieren. Und genau das schälte sich dann auch im Gespräch der Podiumsteilnehmer/-innen heraus, dass das wohl das Wichtigste war und ist, was heute noch an der Person Blum interessiert. Denn diese Fähigkeit ist letztlich die Grundlage jeder Demokratie – die Begabung, selbst dann, wenn die Parteien sich streiten und die Standpunkte schier unvereinbar sind, dennoch den Weg zum Gespräch und zum Kompromiss zu suchen.

Das ist unser Problem heute wieder, wo Populisten und Scharfmacher nicht nur in Deutschland versuchen, die Debatte zu zerstören und zu radikalisieren, genau dann mit der Kraft der Worte die aufgeregten Menschen doch wieder zum Gespräch zu bewegen. Anders kann man keine Regierungskoalitionen bilden, kann man nicht einmal mehr zu tragfähigen Beschlüssen kommen.

Sie wurden zwar nicht erwähnt an diesem Tag, die heutigen a-sozialen Medien, die damit Geld machen, dass sie das Schlimmste und Boshafteste in den Nutzern der digitalen Endgeräte aufwühlen. Aber genau das gehört hierher. Wo niemand zuhört und alle schreien, gibt es kein respektvolles Gespräch.

Demokratie lebt vom Respekt voreinander

Das Wort Respekt fiel dann trotzdem. Und mit Hartinger und Körner saßen ja zwei im Podium, die sich auch etwas intensiver mit Robert Blum und der Revolution von 1848/1849 beschäftigt haben. Die man nicht verklären dürfe, wie Körner betonte. Denn auch in der Frankfurter Paulskirche wurde schon sichtbar, dass sich auch Männer, die sich als Demokraten, Republikaner, Liberale und Nationalgesinnte verstanden, derart zerstreiten konnten, dass ein Kompromiss nicht möglich war. Und insbesondere die moderaten Demokraten, zu denen Blum gehörte, erlitten Niederlage um Niederlage.

Und lange, so sieht es aus, war gerade ihr bester Redner, Blum, bemüht, trotzdem Fäden zu knüpfen und die zerstrittenen Parteien zu Kompromissen zu bewegen. Im Grunde ist das Paulskirchen-Parlament ein Beispiel dafür, wie schwer es von Anfang an war, Demokratie zu erlernen und demokratische Abläufe zu finden, bei denen am Ende tatsächlich gemeinsame Beschlüsse stehen.

Was dann auch die Debatte eröffnet, warum Blum im November 1848 ausgerechnet im Wiener Aufstand landete, mit Waffe in der Hand angetroffen und dann von einem militärischen Standgericht zum Tode verurteilt wurde. Noch vor seine Erschießung schrieb er dann den berührenden Abschiedsbrief an seine Frau Jenny, der nach seinem Tod Furore machte und Teil des Blum-Kultes wurde. Denn Blums Erschießung markiert ja im Grunde symbolhaft das Ende der Revolution.

Und damit das vorläufige Ende des großen Traums von einem demokratischen Deutschland.

Aber war er nach Wien gegangen, weil er nur noch in der Radikalisierung der Revolution einen Ausweg sah? Oder ging er, weil er am Ende eben doch verzweifelte, weil alle seine Bemühungen um Gespräch und Konsens gescheitert waren? Oder weil er ahnte, dass dieses in feudale Kleinstaaten zerrissene Deutschland noch gar nicht reif war für eine große, einigende Republik?

Das weiß niemand. Und man ist ganz schnell dabei, diesen Mann und sein Leben zu interpretieren.

Wofür steht dieser Blum heute?

Was nichts Neues wäre. Das ist ihm schon gleich nach seinem Tod passiert, als ein regelrechter Blum-Kult in Deutschland ausbrach. Und das war auch später immer wieder der Fall, als ihn mal diese, mal jene Partei als ihren Vordenker vereinnahmen wollte und das in Feiertagsreden auch tat.

Was umso leichter war, weil sich mit Blum gleich mehrere deutsche Emanzipationsbewegungen verbinden, die alle im 19. und 20. Jahrhundert zu ihrer Form finden mussten – die religiöse Emanzipation, die der Frauen, der Arbeiter, die der Demokraten sowieso. Ganz zu schweigen von seinem Kampf für gleiche und unentgeltliche Bildung für alle, der heute wieder einmal ein Rollback erlebt, weil es auch in heutigen Demokratien Leute gibt, die Ungleichheit und Diskriminierung als politisches Programm betreiben.

Ein Punkt, der in der Podiumsdiskussion auch anklang: Demokratie ist eben kein Schönwettergeschäft. Es sitzen in der Regel auch Leute mit im Plenarsaal, die eigensüchtige und ganz und gar nicht friedensstiftende Ziele verfolgen. Bis hin zu den Nationalisten, die nach der gescheiterten Revolution von 1848/1849 Oberwasser bekamen, wie Axel Körner feststellte. Leute, die dann eben auch gern mit Waffen klirren und Minderheiten unterdrücken.

Und die Friedliche Revolution von 1989?

In der Friedlichen Revolution von 1989 spielte Robert Blum zwar keine Rolle, wie Gesine Oltmans anmerkte. Aber das beherzte Wort tat es eben dort auch. Es war auch eine Revolution der Worte. In der sich ein Robert Blum wahrscheinlich sogar wohlgefühlt hätte, denn was er im März 1848 in einem Manifest formulierte, deckt sich in großen Teilen mit den Forderungen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR.

Und auch da wurde immer wichtiger, dass es der Begabung zum Reden bedarf, wenn Demokratie gelingen soll. Weshalb der Robert-Blum-Demokratiepreis eben vor allem auf Frauen und Männer zielt, die für die Demokratie beherzt das Wort ergreifen, wie Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke betonte.

Oder, mit den Worten aus dem Stadtratsbeschluss vom April 2022: „Die Stiftung des Preises soll ein starkes Zeichen für Demokratie, Friedfertigkeit, ökumenisches und kulturell vielfältiges Engagement aussenden und hierbei ganz bewusst die verantwortungsbewusste öffentliche Rede in den Fokus stellen. Der Preis soll eine Brücke schlagen von wichtigen Erfahrungen der Vergangenheit, wie der Märzrevolution 1848 bis zur heutigen Zeit und die Friedliche Revolution von 1989 einschließen. Zugleich nimmt der Preis Bezug auf die große Tradition von Leipziger Künstlerinnen und Künstlern, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen und zu engagieren.“

Der Beschluss zum Robert-Blum-Demokratiepreis vom April 2022.

Blums Bild im Schloss Bellevue

Das ist dann schon ganz schön groß gedacht. Aber dass die Erfahrungen der Revolution von 1848 und die Rolle Robert Blums auch heute noch wichtig sind, zeigt ja die Benennung eines Raums von Schloss Bellevue nach Robert Blum, eines Vorraums zu den Amtsräumen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich für diesen Raum auch eins der beiden Blum-Porträts aus Leipzig als Leihgabe wünschte.

Steinmeier ist auch Schirmherr des Robert-Blum-Demokratiepreises. Der Preis bekommt jetzt erst einmal ein hochkarätiges Kuratorium, das dann wieder eine Jury berufen soll, welche wiederum die Preisträgervorschläge erstellt.

Man kann gespannt sein, ob es dann tatsächlich vor allem mutige Frauen und Männer sein werden, die öffentlich das Wort für die Demokratie ergriffen haben, oder ob auch Künstler und Künstlerinnen in die engere Wahl kommen, die sich beherzt – auch mit ihrer Kunst – in die politische Debatte geworfen haben.

Dass auch Robert Blum weder als Politiker noch als Redner geboren wurde und im Gegenteil sogar einen sehr schweren Weg aus ärmsten Verhältnissen bis hin zu seiner weithin wahrgenommenen Rolle in der Revolution zurücklegen musste, das hatte noch vor der Podiumsdiskussion die Historikerin Susanne Schötz ausführlich erzählt. Mit Schwerpunkt auf Blums Leipziger Zeit, in der er eine ungemeine Aktivität – auch bei Vereinsgründungen und der Publikation wichtiger Zeitungen – an den Tag legte. Auch das eine Form, in einer Zeit zu Wort zu kommen, in der die Polizei die Macht hatte, unliebsame Blätter einfach zu verbieten.

Ab 2024 soll der Robert-Blum-Demokratiepreis alle zwei Jahre verliehen werden. Und dann dürfte der Robert-Blum-Tag durchaus einige nationale und internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn auch das machte die Podiumsrunde deutlich, dass die Revolution von 1848 genauso in einem europäischen Resonanzraum stattfand wie die Revolution von 1989.

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