Seit einigen Jahren wohne ich in Plagwitz und schaue immer wieder mal beim Wagenplatz Karl Helga vorbei, sei es zu einer Küfa (Küche für alle) oder zu Konzerten und Parties. Ich habe diesen freien und unkommerziellen Ort von Anfang an als einzigartigen Raum erfahren, weil sich hier Leute aus unterschiedlichen Szenen und Milieus und unterschiedlichen Alters begegnen, ohne Konsumzwang und Etikette. Wer will, kommt hier schnell ins Gespräch. Ich verbinde mit den häufig sehr gut besuchten Veranstaltungen eine ausgelassene und positive Stimmung.

All das ist jetzt bedroht. Ein Unternehmen der CG-Gruppe hat das Grundstück vor drei Jahren gekauft. Das habe ich von Bewohner*innen des Wagenplatzes erfahren. Der Unternehmer Christoph Gröner plane, auf dem Gelände eine Logistikhalle zu bauen. Das würde heißen, dass der Wohnraum der Bewohner*innen und die Veranstaltungsräume weichen müssten. Würde der Platz dem Profit von einigen wenigen geopfert, entstünde im Leipziger Westen eine große kulturelle Lücke.

Gleichzeitig würde die Kommerzialisierung des Geländes Teil der Preisspirale, die zu immer teureren Mieten in Plagwitz führt. Nicht immer ist es das lukrativste Geschäft für die Entwickler solcher Grundstücke, auf diesen tatsächlich zu bauen. Immer wieder gibt es Beispiele, bei denen Grundstücke mehrere Male den Besitzer wechseln, mit hohen Gewinnen für die Unternehmen, ohne dass gebaut wird. Ein Grund für Mietsteigerungen, der häufig vernachlässigt wird, sind diese Bodenspekulationen.

Ein konkretes Beispiel: Der Wert des Verladebahnhofes in Leipzig Eutritzsch stieg in knapp 15 Jahren nach mehreren Weiterverkäufen um das 60-fache auf 210 Millionen Euro. Die zu erwartenden Mieten steigen mit jedem Weiterverkauf. Eines der Unternehmen, die von den Verkäufen profitierten, war von Christoph Gröner, eben jenem Immobilienunternehmer, der auch hinter dem Kauf der Karl Helga steht.1

Würde sich diese Verfahrensweise mit letzten Grünflächen, wie der Karl Helga, wiederholen, dann zum Nachteil der Mieter:innen im Viertel. Grundsätzlich gilt, je mehr das Profitinteresse Einzelner die Gestaltung städtischen Lebensraumes dominiert, desto mehr nehmen Elend, Leiden, Vereinzelung, Fremdbestimmung und Krankheit zu2.

Umso wichtiger ist es, uns über Hintergründe zu informieren und gemeinsam gegen lebensfeindliche gesellschaftliche Entwicklungen aktiv zu werden.

Kritik an der Bebauung des Bürgerbahnhofs

In Plagwitz gibt es weitere Beispiele bedrohlicher Entwicklungen. Auf dem benachbarten Gelände des Wagenplatzes will die Immobilieneigentümerin LEWO AG eine der letzten unbebauten Grünflächen bebauen. Neben Wohnungen sollen hier Büros, Ateliers und ein Café entstehen. Gegen die Pläne formierte sich ein breiter Protest der hier ansässigen Bevölkerung. Außerdem ist fraglich, ob sich potentielle Mieter*innen besagter Ateliers die Mieten überhaupt leisten könnten.

Über 900 Stellungnahmen gegen die Bebauung des Bürgerbahnhofs kamen zusammen. Der Wunsch: Grün statt Beton und Freiräume erhalten. Zwei der letzten verbliebenen Grünflächen in Plagwitz tragen als wichtige Freiluftschneise, in der die Luft frei zirkulieren kann, zur Abkühlung der Umgebung bei. Verschwinden solcher Brachflächen, führt dies zu einer erhöhten Wärmebelastung.3

Mit der Bebauung des Geländes der Karl Helga würde mit einer wichtigen Grünfläche auch der größte noch vorhandene Baumbestand verschwinden. Durch die Versiegelung von Grünflächen entstehen Erhitzung und Trockenheit. Vor der zunehmenden Gefahr für Gesundheit und Einschränkungen von Lebensqualität angesichts des Klimawandels warnt die Stadt Leipzig auf ihrer Seite. Und wo sollten die jetzigen Bewohner*innen hin, in einer Stadt, in der Wohnraum knapp und teuer ist?

Was würde aus der sozialen Gemeinschaft, dem nicht gewinnorientiert organisierten Freiraum für Stadtteilkultur- und Begegnung, als wichtiger Beitrag zum Wohlergehen so vieler? Außer der genannten negativen Klimafolgen für alle, sind die Bewohner*innen noch der Gefahr ausgesetzt, ihr Zuhause zu verlieren. Folgen von Verdrängung können schwere körperliche und psychische Erkrankungen, aufgrund von Belastung, Stress, Obdachlosigkeit sein.

Stadtpolitische Entwicklung und soziale Marktwirtschaft können wir an folgenden grundlegenden Fragen prüfen: Was sind unsere zentralen Bedürfnisse und wie lassen sie sich erfüllen, ohne dass andere geschädigt werden (Ethik)? Wie lässt sich eine produktive Bedürfniserfüllung organisieren (Politik)? Und wie lässt sich das Nötige unter den Teilnehmer*innen verteilen (Wirtschaft)? Und letztlich, wie kann ich so leben, dass sich die Lebensbedingungen für nachfolgende Generationen nicht verschlechtern (Ökologie)?4

Wer ist der Eigentümer des Areals vom Wagenplatzes „Karl Helga“

Die CG Group AG und ihre Töchter gehören seit 2020 zu den größten Immobilienfirmen Deutschlands. 5

An der Tochterfirma und dem Flaggschiff für Projektentwicklung und Dienstleistungen, der CG Elementum AG, welche 2020 das Areal des Wagenplatzes „Karl Helga“ erstanden hat, besitzt die Groener Group laut eigenen Angaben mindestens 51 % der Aktienanteile. 6

Einerseits besitzt Herr Gröner, der schon in den 90ern Altbauten in Leipzig aufkaufte, als Hobby einen Fuhrpark von 41 Porsches, andererseits preist er die Orientierung seines Unternehmens hinsichtlich Nachhaltigkeit, Energie sparen, Umweltschutz und sozialer Verantwortung. 7

Auch wenn Herr Gröner Politik und Staat (als kontraproduktiv für Wachstum) zuweilen scharf kritisiert, scheint er diesen Staat dann doch auch gerne zu nutzen. Für Profit werden die Spielräume, die Staat und Politik lassen, ausgereizt. Leipzig könnte aus den Fehlern anderer Städte wie Berlin lernen. Dort sieht man wohin es führt, wenn Wohnungsmarkt und „nachhaltige Stadtentwicklung“, profitgetriebenen Marktmechanismen (Spekulation und Investor*innen) zugunsten einiger weniger auf Kosten aller anderen überlassen wird.

Ein weißes Hemd kann man Christoph Gröner und seinen Firmen wirklich nicht attestieren, u. a gab es Strafanzeigen wegen Steuerhinterziehungen und Insolvenzverschleppung (2018). Die Verfahren wurden unter der Auflage der Zahlung eines sechsstelligen Betrages eingestellt. 8

Ich wünsche mir für Leipzig einen echten Strukturwandel und eine Politik, die die Wirtschaft in sozialgerechte und klimafreundliche Schranken weist, für unser aller Wohl statt unser Leben und seine Grundlagen von turbokapitalistischen Zuständen zerstören zu lassen.

Leipziger Immobiliengespräch

Ein Ort, an dem Vertreter*innen der Baubranche, Stadtverwaltung und Politik über wohnungspolitische Strategien diskutieren, ist das „Leipziger Immobiliengespräch“, organisiert von der Kommunikationsagentur IMMOCOM 9.

Ein Schwerpunkt ist neben Marketing für Bauprojekte, inklusive „Akzeptanzmanagement“, auch die Einflussnahme auf Initiativen im Quartier sowie die Veranstaltung von Tagungen, um Verbindungen zwischen Investor*innen und Politik herzustellen. Eine dieser Zusammenkünfte findet am Montag, den 6. März 2023 um 19:00 Uhr im Hotel H4 in Leipzig Paunsdorf statt.

Als öffentliche Veranstaltung deklariert, allerdings kostet das Eintrittsticket für nicht geladene Gäste 200 Euro.

Ich befürchte, dass dort wieder der Tauschwert und die Frage, wie sich mit Wohnen Geld machen lässt, im Vordergrund stehen wird, während der Gebrauchswert, die Bedürfnisse von Stadtbewohner*innen und ihre Beteiligungsmöglichkeit, zweitrangig bleiben werden.

1  https://www.zdf.de/dokumentation/die-spur/wohnen-immobiliengrundstueckspreise-bauland-spekulation-100.html

2http://www.spkpfh.de/KKW_VI_Krankheit_und_Kapital.htm#23_Identitaet_von_Krankheit_und_Kapital, http://www.spkpfh.de/KKW_11_mal_Krankheit.htm

3  https://bahnhof-plagwitz.de/hintergruende

Stadtklima am Bahnhof Plagwitz – Bürgerinitiative Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten (bahnhof-plagwitz.de)

4 Andreas Weber Warum Kompromisse schließen? Dudenverlag, Berlin, 2020, S. 116

5 https://cg-gruppe.de/

6 https://www.vermoegenmagazin.de/christoph-groener-vermoegen/

podcast: https://www.immobilien-aktuell-magazin.de/topics/christoph-groener-group-cg-elementum-projektentwicklung/

7 https://www.bz-berlin.de/berlin/berliner-bau-millionaer-brachte-41-porsches-nach-leipzig

8 https://de.wikipedia.org/wiki/CG_Gruppe

9 https://www.immocom.com/

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Es gibt 4 Kommentare

Grundsätzlich stelle ich mit die Frage, warum man in all den Jahren das Gelände nicht erworben hat?

Ich meine, es gab doch genug Beispiele von anderen Wagenplätzen, dass die “Vertreibung” jederzeit möglich ist, so lange man nicht Eigentümer des Geländes ist.

Und bis vor einem Jahr waren die Finanzierungszinsen ja auch noch erträglich.

Erst kommen die Kreativen und machen eine Stadt cool und international als “place to be” bekannt, anschliessend kommt das Geld und die Karawane der Kreativen zieht weiter. Schau dir London, New York und Berlin in den 80 & 90´ern an und vergleiche das mit heute.

Ja, im Prinzip schon – aber ich dachte ein Rollheimerplatz ist zwar zuerst ein Platz, aber Rollheime sind doch mobil, dem Platz haftet das Monile damit doch schon im Namen an?
Was spricht also dagegen, daß so ein mobiles Heim dann auch mal mobil wird?
Oder ist es doch eher ein Trailerpark…und mit einer Wochenendsiedlung zu vergleichen…gibt es da eine rechtliche Definition, die das Wohnen auf so einem ursprünglich für Gewerbe vorgesehenen Gelände schützt?

Was den Camping am Störmi angeht, ja gewiss total ätzende Vorstellung, aber wo ist denn da Natur an der Tagebaukante – dieser mickrige Schilfgürtel dort an der Lagune? Und welche Menschen finden dort Ruhe, ist dort ein Friedhof? Irgendwie steht das für mich in keiner Relation zum Umfeld, sich darüber zu beklagen. Vor ein paar Jahren fanden dort noch Offroadevents mit 8-rädrigen Allradmonstern statt.
Das ist doch Kirchturmdenken.

Eine Entwicklung, die sich überall wiederholt und unsere Zivilgesellschaft ausgrenzt, überrollt. Der OB Jung wäre gut beraten, die Immobilienhaie nicht machen zu lassen, was die “freie MArktwirtschaft” hergibt. Aber die Stadt Leipzig selbst beteiligt sich an solchen Entwicklungen….am Störmthaler See hat die SEB der Stadt 40 ha gekauft (für n Appel und n Ei) und wird dort nen Campingplatz bauen. Dafür wird NAtur devastiert….man ist in guten Gesprächen mit der unteren NAturschutzbehörde…heißt zu deutsch: 1 Schilfgürtel, der unter BNatSchG steht darf weg. 123 geschützte Arten werden verdrängt. Menschen, die dort Ruhe finden müssen dann den Trubel von 250 Stellplätzen erdulden. So geht Politik in Leipzig und Sachsen

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