Seit Wochen ist im Blick auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine merkwürdige Debattenlage entstanden. Politisch und medial wird fast ausschließlich darüber diskutiert, welche Waffensysteme die NATO-Staaten, allen voran Deutschland, als Nächstes an die Ukraine liefern sollen/müssen.
Ist die eine Waffenlieferung freigegeben, kommt die nächste Forderung – begleitet von einer ziemlich absurden Rhetorik: Der Kanzler gerate „unter Druck“, wenn Frau Strack-Zimmermann oder Herr Hofreiter wieder die Lieferung von Waffen der nächsten Gewichtsklasse fordern und entsprechenden „Druck aufbauen“; der Kanzler müsse „Führung übernehmen“ und seine „zögerliche Haltung“ aufgeben.
Inzwischen sind wir beim Panzer Leopard 2 gelandet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert wird. Kein Wunder, dass im Zuge des Wechsels im Verteidigungsministerium ständig davon geredet wird „Wir befinden uns im Krieg“?
Dass Forderungen nach Waffen von der Ukraine an die NATO-Staaten gestellt werden, ist nachvollziehbar und absolut legitim. Die Ukraine wurde von Russland überfallen und wird seit dem 24. Februar 2022 durch horrende Kriegsverbrechen drangsaliert. Mehr noch: Russland zerstört mit zunehmender Intensität die Infrastruktur der Ukraine und durch die Bombardements der Städte die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen.
Das Bittere daran ist: Russland kommt trotz aller Rückschläge offensichtlich seinem Kriegsziel näher, die Ukraine als souveränen Staat auszulöschen. Das aber soll, ja muss unter allen Umständen verhindert werden. Viele meinen, dass ginge nur durch Waffenlieferungen.
Damit stehen wir vor einem riesigen Dilemma: Bis jetzt hat die massive militärische Aufrüstung der Ukraine nicht dazu geführt, Russland von der Fortführung seines verbrecherischen Angriffskriegs abzuhalten. Die Frage ist: Werden zukünftige Waffenlieferungen an diesem Dilemma etwas ändern?
Diese Frage muss genauso gestellt und diskutiert werden wie die nach wie vor offenen Fragen: Welches Ziel verfolgen diejenigen, die Waffen liefern? Was steht eigentlich am Ende dieses Weges? Und: Welche Strategien werden verfolgt, welche Initiativen gestartet, um den Krieg, und das heißt: um das Morden, Vergewaltigen, Foltern, Zerstören so schnell wie möglich zu beenden?
Ich bin nicht so vermessen, zu behaupten, ich könnte einen Weg aufzeigen. Aber eines wird mir immer deutlicher: Die politische Engführung, nach erfolgter Waffenlieferung die nächste zu fordern, weil Russland in der Zwischenzeit wieder drei Schritte in seinem Zerstörungswahn vorangekommen ist, können wir uns nicht länger leisten.
Wir benötigen dringend Perspektiven, um aus der jetzigen gefährlichen Sackgasse herauszukommen. Wir benötigen Verhandlungen – Verhandlungen, die nicht bedeuten, die Ukraine fallenzulassen, sondern ihre Souveränität zu erhalten und zu einer europäischen Friedensordnung zurückzukehren.
Solange solche Überlegungen mit einem Federstrich vom Diskussionstisch gewischt werden, wie es derzeit leider üblich ist, solange werden wir uns weiter in der Unerbittlichkeit des Krieges verfangen – ohne dass damit der Ukraine wirklich geholfen wird.
Wie gesagt: Russland darf seine Ziele nicht erreichen. Niemals! Aber ob der Weg dahin nur über Waffenlieferungen führt – das erscheint mir zunehmend zweifelhaft und gefährlich. Es ist höchste Zeit, dass wir die Debattenlage öffnen und aus den Engführungen ausbrechen.
Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de
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