Antisemitismus ist eine der schäbigsten Haltungen, die Menschen einnehmen können. Er zeugt von einer tiefsitzenden Menschenverachtung. Und er schafft ein Weltbild, bei dem alles gründlich auf den Kopf gestellt wird – bis in die Sprache hinein. Und das hat nicht einmal das Leipziger Kulturamt gemerkt, als es die Fragen von Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) zur Thematisierung von Wagners Antisemitismus im Festival „Wagner 22“ beantwortet hat.
Die Antworten zeigen zwar, dass den Leipziger Institutionen seit der vehementen Diskussion im „Wagner-Jahr“ 2013 irgendwie klar ist, dass man den manifesten Antisemitismus des Komponisten, der 1813 in Leipzig geboren wurde, nicht einfach unter den Teppich kehren kann. Aber wie thematisiert man das? Oder wird das nur einfach historisch eingeordnet? Was ja Historiker nur zu gern machen. Dann war das halt eine typische Haltung im 19. Jahrhundert. Aber was ändert das dann an der Musik des „Meisters“?
Die deutsche Kunst der „Distanzierung“
Eine Menge. Auch wenn manche Künstler gern so tun, als hätte ihre Misanthropie nichts mit ihrer Kunst zu tun. Als wären das auch in ihrem Kopf getrennte Welten. Eine Selbstbeschönigung, die schon Klaus Mann 1936 mit seinem Roman „Mephisto – Roman einer Karriere“ gründlich infrage stellte.
Ganz so, als hätte er schon geahnt, wie sich einige Künstler, die ihren Ruhm im NS-Reich mehrten, nach dem Krieg geradezu in ihre reine Künstlerschaft flüchten würden, stets in innerer Distanz zum Regime, in dem sie ihre Erfolge feierten.
Über die deutsche Kunst der Distanzierung hat Thomas Fischer gerade wieder im „Spiegel“ eine seiner schönen bärbeißigen Kolumnen geschrieben: „Distanz, wenn ich bitten darf!“
Und tatsächlich durchdringt die Kunst der förmlichen Distanz selbst Institutionen und Kreise, die von sich selbst überzeugt sind, dass sie das Phänomen verstanden haben, erforscht und eingeordnet. So, wie das eben in der Antwort des Kulturamtes auf das erste Fragenpaket von Thomas Kumbernuß klang.
Aber Antisemitismus mit all seinen Verdrehungen ist auch deshalb so zählebig, weil seine Unterstellungen meist ganz harmlos daherkommen. Oft sogar spürbar mit einer Haltung wie „Ich bin ja kein Antisemit, aber …“
„Geist der Zeit“ oder persönliche Verantwortung?
Wobei sich Wagner nie von seinem Judenhass distanziert hat. Seinen boshaften Aufsatz „Das Judenthum in der Musik“ veröffentlichte er 1850 zwar unter dem Pseudonym K. Freigedank. Aber 1869 ließ er dem eine Veröffentlichung unter seinem richtigen Namen folgen. Wohl wissend, dass diese Haltung von einem Großteil seines Publikums goutiert werden würde.
Gleichzeitig war es ein posthumes Nachtreten. Bei der ersten Veröffentlichung lebte zwar Giacomo Meyerbeer noch, den Wagner später noch gesondert anprangerte. Aber der Komponist, über den er besonders heftig herzog – Felix Mendelssohn Bartholdy –, war schon 1847 an einem Herzinfarkt gestorben.
Dass das Leipziger Kulturamt diesen Bruch nicht wirklich verstanden hat und damit eine falsche Interpretation übernahm, wurde in den Antworten an Kumbernuß deutlich.
Der sich jetzt in einem neuen Fragepaket entsprechend deutlich äußert.
„Mit der Anfrage VII-F-07191 ‚Wagner 22 – Kritiklose Huldigung oder Beginn der Aufarbeitung des Wirkens von Leipzigs bekanntesten Antisemiten‘ sollte das antisemitische Wirken Richard Wagners thematisiert sowie der Umgang der Stadt Leipzig einschließlich seiner Eigenbetriebe hinterfragt werden. Es ging hierbei nicht um die spätere Rezeption seines Werkes und/oder seiner Aufführungspraxis. Darum wirken mehrere Antworten unbefriedigend und befremdlich, woraus sich viele Nachfragen ergeben“, schreibt er darin.
Und benennt damit etwas, was in der Diskussion um den Antisemitismus meist unterschlagen wird: Dass man die Rolle des Antisemitismus vor der NS-Zeit nicht einfach mit der NS-Zeit erklären kann. Er steht völlig für sich. Und die Männer, die ihn verbreiteten, stehen auch historisch in der Verantwortung für das, was sie gesagt, geschrieben und gedruckt haben.
Wer hat Mendelssohn zum „Antipoden“ von Wagner gemacht?
„In den Antworten auf die Frage 2 der Anfrage VII-F-07191, die sich nach Veranstaltungen im Rahmen des Fesitvals ‚Wagner 22‘ erkundigt, die den Antisemitismus Richard Wagners thematisieren, heißt es in Absatz 2 (‚Die Oper Leipzig…‘): ‚Schwerpunkte bilden die politische Instrumentalisierung Richard Wagners im Nationalsozialismus und die exemplarische Aufarbeitung der in diesem Zuge erfolgten antisemitisch motivierten Verbrechen sowie die ideologisch gefärbte Aufführungsgeschichte in der DDR.‘ Auf welche Frage bezieht sich diese Antwort und was hat sie mit dem Antisemitismus von Richard Wagner zu tun?“, fragt Kumbernuß. Einigermaßen frustriert, wie man sieht.
Und auch mit der Auskunft zum 1933 von den Leipziger Nazis aus dem Amt gedrängten Opernintendanten Gustav Brecher hat er seine Bauchschmerzen.
„Im Absatz 3 heißt es zu Beginn ‚Die kompletten Wagner-Festtage stehen in der Traditionslinie des jüdisch stämmigen Dirigenten Gustav Brecher. Brecher war einer der zentralen Erneuerer des Musiktheaters in der Weimarer Republik und hob unter anderem Brecht/Weills ‚Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‘ aus der Taufe. Ein zentrales Moment der Erneuerung war die Wagner-Pflege.
Sollte sich diese Antwort auf den Antisemitismus von Richard Wagner beziehen, könnte so der Eindruck einer Relativierung entstehen nach dem Motto ‚Wenn ein jüdisch stämmiger Dirigent Wagner aufführt, wird der Künstler und sein Weltbild schon tragbar sein …‘ Ist dem Kulturamt die Interpretation dieser Antwort bewusst? Sollte sich die Antwort nicht aus Wagners Antisemitismus beziehen, worauf bezieht sie sich dann?“, fragt Kumbernuß nun in seiner erneuten Anfrage.
Und es wird nicht besser, wie er feststellt: „In Absatz 4 (‚Das Institut für Musikwissenschaft …‘) ist von ‚…Richard Wagner und seinem jüdischen Antipoden Felix Mendelssohn-Bartholdy …‘ die Rede. Hierbei entsteht der Eindruck einer Auseinandersetzung zwischen zwei Künstlern, von ‚Leitfiguren der Leipziger Musikgeschichte‘. Dieses greift zu kurz, da so der Eindruck entsteht, Wagners Antisemitismus beruht auf einer Auseinandersetzung zwischen ihm und Felix Mendelssohn-Bartholdy.“
Eine Auseinandersetzung, die es so überhaupt nicht gab. Wagner hat Mendelssohn posthum angegriffen. Das ist ein gewaltiger Unterschied und hat mit einer „Auseinandersetzung“ oder dem Streit zweier „Antipoden“ überhaupt nichts zu tun.
Diese „Auseinandersetzung“ ist ein Konstrukt, mit dem Wagners Verunglimpfung als künstlerische Debatte verharmlost wird.
Wo bleibt die kritische Auseinandersetzung?
Aber da Generationen von Musik- und Kunstwissenschaftlern und Redakteuren und Kritikern es genauso weitererzählt haben, steckt es – wie man sieht – selbst in den Köpfen von Leuten, die Wagners Boshaftigkeit durchaus kritisch sehen.
Und so hat Kumbernuß durchaus Gründe, wenn er fragt: „Das Festival ‚Wagner 22‘ hat internationale Strahlkraft. Ist der Stadt Leipzig da ein reibungsloser Ablauf im Glanze Wagners wichtiger als eine intensive kritische Auseinandersetzung?“
Und auch der folgende Satz stößt ihm sauer auf: „‚Bei Persönlichkeiten wie Luther oder Bach ist im Gegensatz zu Wagner der Antisemitismus sogar unmittelbar im Werk greifbar.‘ Hier wird Antisemitismus mit Antijudaismus vermengt, was sowohl inhaltlich als auch geschichtlich falsch ist. Ist dies dem Kulturamt bewusst?“
Man ahnt schon, dass es da wohl doch ans Eingemachte geht und auch die Verharmlosung der Wagnerschen Äußerungen thematisiert werden muss. Verharmlosungen, die eine Menge mit dem tonangebenden Bürgertum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu tun haben, seinem Dünkel, seinem Nationalismus und seiner Selbstgerechtigkeit, die eben auch in so mancher „wissenschaftlichen“ Schrift steckt, die seinerzeit entstand.
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