Schaut man auf die Namen derer, die sich am 21. Mai 2022 für die AfD auf dem mit maximal 100 Gästen schwach besuchten „Großen Frühlings- und Familienfest“ in Grimma tummelten, darf man von einem verpatzten Wahlkampfhöhepunkt der AfD unter Beteiligung des Vorzeigerechtsaußen der Partei sprechen. Publikum jedenfalls kam kaum auf den Grimmaer Marktplatz, darunter jedoch pressefeindliche AfD-Fans, der für Seniorenohren zu laute Gegenprotest und eine LZ-Reporterin, die gern ungestört Björn Höckes Rede gefilmt hätte.
Aufgefahren hatte die AfD eigentlich reichlich, sogar „mit Hüpfburg und Bratwurst von regionalen Erzeugern“ lockten im Vorfeld der Bundestagsabgeordnete Edgar Naujok, AfD, Björn Höcke (MdL Thüringen) und Jörg Dornau, Landtagsabgeordneter der AfD in Sachsen und Landratskandidat im Landkreis Leipzig. Doch es kamen weniger als noch 2021 zum blauen Fest, die 250 Besucher von einst wurden dieses Mal deutlich unterboten.
Und von guter Stimmung konnte auch angesichts des lautstarken Gegenprotestes und einer sich ins Zeug legenden Band vonseiten des Bündnisses aus „Leipzig nimmt Platz“, „Grimma zeigt Kante“ und dem Grimmaer OB-Kandidaten Tobias Burdukat keine Rede sein.
Hier half den wenigen AfD-Gästen der Staat in Gestalt der Ordnungsbehörden, welche kurzerhand der Band den weiteren (zuvor genehmigten) Auftritt untersagten, nachdem zuvor AfD-Fans selbst Hand angelegt und das Stromaggregat unter den geduldigen Augen der Polizei kurzzeitig abgeschaltet hatten.
Das übrigens ist die nachträglich erlassene Auflage in #Grimma, die zum Verbot der Livedarbietung von Musik führte.
Ach #Sachsen, deine Brandmauer gegen Rechts ist ein roter Teppich.#grm2105 pic.twitter.com/k5YEyHr5Lu— Jürgen Kasek (@JKasek) May 21, 2022
Etwas tut sich also in der AfD und ihrem rechtsradikalen Umfeld, es geht bergab und die Aggressionen unter den schrumpfenden Anhängern von Björn Höcke nehmen zu. War es noch in den vergangenen Jahren weitgehend möglich, von den regelmäßigen Besuchen Höckes in der sächsischen Kreisstadt auch an der AfD-Bühne störungsfrei zu berichten, scheiterte das in Teilen am heutigen 21. Mai an den aggressiven Besucher/-innen der Versammlung.
Hofberichte von rechts und Aggressionen gegen unabhängige Medien
Während der rechte Leipziger YouTuber „Weichreite“ nach einem eilfertigen „viel Erfolg Herr Höcke“ im Livestream kumpelige Video-Interviews unter anderem mit dem Bornaer OB-Kandidaten Michael Krause (AfD) über die Lautstärke des Gegenprotestes und ihn selbst („Du Micha bist doch auch Bürgermeisterkandidat“) führte und fleißig an der Bühne filmte, gerieten einige der Höcke-Fans gegenüber der ebenfalls filmenden LZ-Reporterin derart außer Rand und Band, dass insgesamt drei Strafanzeigen gegen sie folgten.
Unter den Augen der anfänglich passiven Polizei, welche den zunehmenden Behinderungen, verbalen Attacken und Bedrängungen der Presse erst einmal zusah, riss der Geduldsfaden einer älteren Dame im letzten Drittel der Höcke-Ansprache derart gründlich, dass sie nach vorherigen verbalen Attacken gegen Presse allgemein ins filmende Handy unserer Kollegin griff (im Video alles ab Minute 5:33).
Auch AfD-Mitglied Michael Krause fühlte sich berufen, die LZ-Reporterin aktiv an der Arbeit zu hindern und Versammlungsanmelder Jörg Dornau versuchte anschließend gleich mal, das Recht selbst in die Hand zu nehmen, indem er die Herausgabe des (selbstverständlich vorhandenen) offiziellen Presseausweises verlangte. Nun spricht es wohl eher gegen das AfD-Landtagsmitglied, nicht zu wissen, dass dies nur die Polizei darf, doch diese sortierte sich noch immer ein wenig.
Die nicht ganz neue Logik der Beamten auch in Grimma: am liebsten die Presse aus dem Geschehen entfernen, damit Ruhe einkehrt und sie „geschützt“ sei. Am Ende dann auch das Eingeständnis, dass es selbstverständlich das Recht der Presse sei, die öffentliche Rede Björn Höckes zu filmen.
Dass dieses Hin und Her zulasten der freien Berichterstattung geht, ist da nur ein Problem. Dass die Polizei mit jedem Zögern, pro Pressefreiheit einzutreten, Straftätern und jenen, die es gern werden wollen, den Raum überlässt und solches Verhalten noch befördern könnte, fällt über kurz oder lang auf mehr als „nur“ ein paar Journalist/-innen und auch auf die Beamt/-innen selbst zurück.
Kein Einzelfall
Ein Vorgehen, welches eine andere Polizei-Einsatzeinheit erst vor wenigen Tagen am 7. Mai 2022 anlässlich des Derbys zwischen Lokomotive Leipzig und der BSG Chemie an den Tag legte.
Beim sogenannten „Fanmarsch“ von Lok Leipzig in Anwesenheit mehrerer einschlägig bekannter Neonazis konnte einer von diesen in aller Seelenruhe noch vor dem ersten Foto der Hinteransicht des Fanmarsches Bedrohungen aussprechen, im Beisein von einer Polizeigruppe Portraitbilder von LZ-Journalisten fertigen und sich dazu vorher noch in aller Ruhe maskieren.
Zumindest in Grimma folgte heute auf den Wunsch, Strafanzeigen aufgeben zu wollen, nicht wieder der Hinweis, dass man nicht „die Presse-Security“ sei, sondern eine geordnete Aufnahme der Vorgänge. Während ein jüngerer AfD-Anhänger nach seiner erfolgreichen Beleidigung das Weite suchte, werden wohl zwei Besucher noch einmal an das „Frühlingsfest“ erinnert werden, wenn die Strafanzeigen eintrudeln.
Nachtrag der Redaktion: Der Protest gegen Björn Höcke und die AfD-Versammlung wurde maßgeblich von einem Grimmaer Bündnis namens „Grimma zeigt Kante“ organisiert. Wir bitten die Auslassung zu entschuldigen.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Es gibt 2 Kommentare
Danke für den Hinweis. Im Eifer des “Gefechtes” … wir haben es nachgetragen.
Danke für den Artikel zu den rechtswidrigen Praktiken und den Einschüchterungsversuchen der Presse Seitens der AFD.
Der Artikel gibt jedoch überhaupt nicht das Protestgeschehen wieder. Nicht Leipzig nimmt Platz hat den Gegenprotest organisiert und auch nicht alleine Tobias Burdukat, sondern das überparteiliche Bündnis “Grimma zeigt Kante” in dem sich verschiedene zivilgesellschaftliche Akteur*innen, Parteien und Einzelpersonen organisiert haben und Teil dessen auch ich bin. Die paternalistische Ansicht, dass die Linke aus Leipzig aufs Land kommt und dort ‘aufräumt’ verschweigt das Engagement der Bürger*innen vor Ort, deren Sichtbarkeit sowieso immer von der Berichterstattung über rechte Akteur*innen überschattet wird.
Als Journalist*in hat man auch den Auftrag, solche Aktionen sichtbar zu machen in und nicht nur vorhandene Narrative weiter zu stärken.