Die Montagsmeldung vom mutmaßlich aus gezielten Schüssen herrührenden Tod der 26-jährigen Anastasija Jalanskaja erschütterte nicht nur ihre Freunde und Verwandten in Kiew. Sie kann als symbolisierend gelten für all die Einzeltodesfälle unter nicht direkt am Kriegsgeschehen Beteiligten. Trifft es zudem Menschen, die gerade in einer besonders menschlichen oder im speziellen Fall tierfreundlichen Aktion unterwegs gewesen sind, werden Emotionen im besonderen Maße wachgerufen. So ergeht es zumindest mir.

Laut einem britischen Nachrichtenportal war Anastasija zu einem stark kriegszerstörten Vorort Kiews unterwegs, um den aus chaotischen Umständen akut unterversorgten Hunden in einer Tierunterkunft Nahrung zu bringen.

Sie und weitere zwei Insassen des Autos wurden Opfer einer gezielten bewaffneten Attacke. In Kriegen heißt so etwas dann oft nicht Mord. Auch wird nicht nach den Namen der Verbrecher gefahndet, sondern die Schützen kollektiv typischerweise einer ideologischen Gruppe zugeordnet. Auch diese Meldung trieb mir wieder Tränen in die Augen.

Emotionen erkalten in Kriegen wie auch während anhaltender großer Katastrophen – ganz allmählich und oft unbemerkt. Todesziffern ersetzen Namen. Nationalitäten treten anstelle von Einzelverantwortlichkeiten wie auch Einzelschicksalen. Werden einzelne Menschen hervorgehoben, kann verschollener Gefühlszugang erneut erzeugt werden.

Es scheint, als eröffnete sich hier ein Mittel gegen die Abstumpfung im Strom der steigenden Todeszahlen eines zu verachtenden Krieges und als gäbe es hierin zudem eine Geschlechterspezifik. Steven Spielberg, so kann vermutet werden, versuchte sie zu nutzen in seinem Erfolgsfilm „Schindlers Liste“, wo ein Mädchen im auffallend roten Mantel stellvertretend für die Masse unschuldiger Opfer hervortritt.

Ich bin nicht sicher, ob ein gleichaltriger Junge mit blauem Overall dieselbe Wirkung erzielt hätte. Bei Kindern mag dies wohl der Fall sein. Vielleicht ist die infantile Welt noch ungestört geschlechtsneutral. Mit steigendem Alter der Betrachteten könnten sich die ausgelösten Reaktionen in unseren Köpfen differenzieren.

Ich bemerke es manchmal und versuche, bewusst dagegen anzukämpfen. Bei Unfallmeldungen ereilt mich zuweilen Verwunderung und eine Art Männerempathie drängt sich nach vorn. Warum muss es heißen: „Unter den Opfern waren xx Frauen und yy Kinder?“

Eine noch lange nicht überwundene Zweitrangigkeit

Der so traurig machende Fall der Tier-engagierten Anastasija in Kiew ist brutal und rührt mich tief. Die Frage ist sicher nicht unberechtigt, ob auch ein junger Mann als Opfer ähnliche Empfindungen zur Folge hätte bzw. journalistische Aufmerksamkeit auf sich zöge. Wir hören aktuell von besiegten Truppenteilen, abgeschossenen Flugzeugen und überwältigten Schützen.

Meist assoziieren wir Männer damit und scheuen uns sogar, von Opfern zu sprechen, obgleich es sehr gewiss eine nicht unerhebliche Anzahl von sehr jungen Männern in Transport- und Militärgeräten betrifft, die keine oder kaum Verweigerungschancen hatten, vielleicht auch, weil sie unter falscher Vorinformation ins Unglück gerieten. Auch bei diesen Meldungen drückte es wieder hinter den Augen.

Was so ehrend für das weibliche Geschlecht wirkt, kann durchaus auch als Nebenwirkung einer noch lange nicht überwundenen Zweitrangigkeit von Frauen im gesellschaftlichen Kontext empfunden werden, zumindest in den Denkweisen. Die besondere Geschlechterhervorhebung in Meldungen zu Massenopfern wie auch die zu vermutende besondere Note in einer Nachricht, wo ein abgeschossenes Flugzeug vorwiegend Soldatinnen enthielte, liegt womöglich in dem in unseren Genen einprogrammierten Beschützerinstinkt gegenüber just Frauen und Kindern.

Zu Recht! Denn selbst wenn Indien weiterhin zu den allergefährlichsten Ländern hinsichtlich der an Frauen verübten Gewalt zählt, können wir uns hierzulande noch lange nicht rühmen. Laut „statista.com“ fallen in Deutschland über 98 % der sexuellen Gewalttaten zum Schaden von Frauen aus. Aber auch im geringer Dramatik oder gar subtil nur treten Balanceverschiebungen zum Vorschein.

Die unwillkommenen Außenseiterinnen

So spielten Bürgerpartien mit Geschlechterdominanz wie die Nordirische Frauenkoalition oft entscheidende Rollen in der Konfliktvermittlung. Sich über die akzeptierte Funktion als sozialer Vermittler auch als vollwertige Partei zu etablieren, misslang hier beispielsweise infolge der ungewohnten Geschlechterrolle in der politischen Männerwelt.

Monica McWilliams, eine der Gründerinnen der zur Schaffung des Inneririschen Friedens vermittelnden Koalition antwortet auf die Frage der Akzeptanz zu politischen Fragestellungen: „Wir fühlten uns oft als Außenseiter, die Insider geworden waren, aber als solche unwillkommen blieben.“

Hier sehen wir uns einem übersehenen oder missverstandenen Paradoxon gegenüber. Für das Elementare, das Erhaltende stehen in schwersten Zeiten sehr häufig gerade Frauen ein.

Nachdem die USA im Männermangel des Zweiten Weltkrieges in spektakulärer Weise Frauen in sämtliche Wirtschaftszweige geholt hatte, wurde es nach Kriegsende von unzähligen heimkehrenden Männern als selbstverständlich angesehen, dass die vielfach ausgezeichnet in das Berufsleben integrierten Frauen ihre Arbeitsplätze zugunsten der Heimkehrer wieder hergaben.

Dass Frauen trotz hoher Qualifizierungen für das Soziale und Gemeinschaftliche eintreten, wird sogar unreflektiert vorausgesetzt. Wie oft wird auch heute und unter uns eine der Frauen im Unternehmen für einen rasch zu brauenden Kaffee zur Bewirtung eines kurzfristigen Geschäftsbesuchs herbeigerufen. Wenn Matthias dies tut, dürfte die Frage: „Was, du bist heute Küchendienst?“ noch immer sehr viel wahrscheinlicher sein, als wenn selbiges von Christine erledigt wird.

Männerangelegenheiten

Werden große politische Fragestellungen der Nation besprochen, ist es mancherorts auffällig eine Männerangelegenheit. So ist von den 21 Ministern der Russischen Föderation beispielsweise eine einzige nur weiblichen Geschlechts. Bezeichnenderweise verantwortet sie den Bereich Kultur.

Es darf die Frage gerade aus aktuellem Anlass neu gestellt werden, wem auf Individualbasis Nationalismus wirklich nützt. Im Kontrast dazu ist es auch berechtigt zu zweifeln, ob nicht nationalistische Zielsetzungen wichtiger seien als die Bemühungen um Schutz und besondere Berücksichtigung der sozial Schwächeren sowie unserer Naturressourcen, wobei bei Letzterem sogar die unbedingte Existenz von Staatengrenzen in Zweifel gezogen werden könnte.

Im Deutschen Bundestag sind eher nationalistische wie sozial-ökologische Orientierungen einigermaßen getrennt repräsentiert in Form von Parteien, die sich wiederum aus natürlichen Menschen rekrutieren. Auch hier fällt eine Geschlechterspezifik auf.

Während Parteien der ökologischen und linkssozialen Sparte derzeit einen Frauenanteil von knapp 60 % bzw., weit oberhalb 50 % aufweisen, liegt selbiger bei der 2013 gegründeten, nationalistisch orientierten Wahlalternative unter 15 %, was natürlich Rückschlüsse auf die Gemeinwohlausrichtung der Geschlechter zumindest im Groben zulässt.

Dass zudem gerade die letzterwähnte Interessenvertretung in ihrer einstigen Wahlwerbung eine auf dem Rücken auf einer Wiese liegende Frau untertitelt mit „Neue Deutsche machen wir selber“ spricht bei über 85 % Männeranteil für sich.

Eine Frauenwoche wäre angemessen

In der statistischen Masse sind sämtliche Aussagen über Frauen- oder Männertypisches wie auch über Ungerechtigkeiten korrekt, aber Einzelfälle bleiben im Dunkel. Dennoch lohnt es gewiss, weiterhin zum Kampfe gegen Ungleichheit einen besonderen Tag allen Frauen zu widmen.

Der Schwere der Unbalance im Weltdurchschnitt wegen wäre sicher auch eine Frauenwoche angemessen oder ganz einfach jeder einzelne Tag des Jahres. Bei einem Blick auf die Verbesserungsrate zugunsten respektvoll würdig behandelter Frauen weltweit bietet auch der 25. November als internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen einen dringend nötigen, aber in seiner Wirkung begrenzt bleibenden Besinnungspunkt im Kalender.

Bei Detailbetrachtung dürfte bei allem die Generalisierung der Geschlechterspezifik in genannten Aspekten trotz statistischer Rechtfertigung unangemessen bleiben. Es gibt durchaus einzelne Frauen mit sehr starker und Männer mit sehr schwacher Gesellschaftsposition, sei es durch abweichende Gesinnungen, sexuelle Veranlagungen, Aufwuchsvoraussetzungen oder sonstige Gründe des Abweichens vom statistischen Mittel.

Vielleicht gelangen wir künftig zu noch sensibleren Erinnerungstagen zur Mahnung gegen jede Diskriminierung Schwächerer, obgleich damit auch der Anspruch an die Feindifferenzierungsfähigkeiten bei uns allen ansteigt.

Ich selbst habe das Glück, in einem Kollegenkreis zu arbeiten und in einem Land zu leben, wo auf Frauen und Männer gleichermaßen aufgeschaut wird. Dennoch bedarf es weiterer Angleichungen und des anhaltenden Kampfes gegen Ungleichbehandlung, wobei die Mann-Frau-Klassifizierung trotz der sich auflösenden Bipolarwelt vorerst eine praktikable bleibt.

Erst wenn es keinen Frauentag mehr gibt und sich auch niemand mehr an dessen Bedeutung erinnert, dürfte das Gerechtigkeitsziel allerdings als erreicht gelten.

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