Rund um den Jahreswechsel gab es zwei sehr gegensätzliche Bilder aus Sachsen: zum einen das massive Polizeiaufgebot in Leipzig Connewitz, wo es ruhig blieb, und zum anderen die verbotene Demonstration in Zwönitz, an der sich „Identitäre“ und organisierte Neonazis beteiligten. Wieder einmal stand die sächsische Polizei in der Kritik, falsche Prioritäten zu setzen. In der Leipziger Innenstadt erhielt diese Kritik am Montag, dem 3. Januar, neues Futter.
„Dann machen wir es halt selbst“, ruft ein Antifaschist auf dem Weg in die Innenstadt, um eine verbotene Demonstration von „Querdenkern“ aufzuhalten. Eigentlich wäre das die Aufgabe der Polizei, doch diese ist gerade damit beschäftigt, den Impfstatus anderer Antifaschist/-innen zu kontrollieren, die sich auf dem Augustusplatz aufhalten.
Es ist bereits das zweite Mal innerhalb weniger Minuten, dass diese Gruppe kontrolliert wird.Etwa 100 „Querdenker“ sind an diesem Montagabend im Leipziger Zentrum erschienen. Zu der verbotenen Demonstration, die als „Spaziergang“ bezeichnet wird, haben erneut die „Freien Sachsen“ aufgerufen, auch die „Bewegung Leipzig“ beteiligte sich an der Mobilisierung via Telegram. Ein „Zeichen“ gegen Lockdown und Impfpflicht sollen diese Aktionen sein, die landesweit zeitgleich wohl in dreistelliger Anzahl stattfinden.
Schlägereien in der Innenstadt
Nach einigen Runden auf dem Augustusplatz laufen die „Querdenker“ in die Leipziger Innenstadt. Schon nach wenigen hundert Metern bilden Antifaschist/-innen eine Kette, die die „Querdenker“ zu einem Umweg zwingt. Auf dem Nikolaikirchhof folgt die nächste Antifa-Blockade. Weil viele „Querdenker“ sich davon nicht aufhalten lassen wollen, kommt es zu Handgreiflichkeiten, Schubsereien und vereinzelt regelrechten Schlägereien.
Die wenigen Polizist/-innen, die den „Spaziergang“ begleiten, wirken überfordert. Sie stellen sich gelegentlich zwischen „Querdenker“ und Antifaschist/-innen, aber nur selten selbst in den Weg der „Spaziergänger“. Aus Sicht der Blockierer/-innen setzen sie damit die falschen Prioritäten. Das entsprechende Unverständnis äußert sich wiederholt verbal in unfreundlichen Worten.
Auch nachdem die „Querdenker“ auf den Augustusplatz zurückkehrt sind, gelingt es der Polizei nicht, den Aufzug zu stoppen. Einige Polizist/-innen stellen sich mit ihren Fahrrädern in den Weg, woraufhin die „Querdenker“ einfach umkehren und Richtung Johannisplatz laufen.
Manche sind mit der Polizei zufrieden
An der Ampel auf dem Augustusplatz verliert ein Polizist die Geduld und ruft einem „Querdenker“ zu: „Jetzt gibt‘ die Owi!“ Gemeint ist eine Anzeige wegen einer begangenen Ordnungswidrigkeit. Insgesamt fühlen sich die „Querdenker“ aber sicher.
Bei Auseinandersetzungen mit Antifaschist/-innen rufen sie sogar die Polizei zu Hilfe, obwohl sie selbst gerade an einer verbotenen Demonstration teilnehmen. Später bedanken sie sich für die Unterstützung.
Dass es sich bei diesen „Spaziergängen“ tatsächlich um verbotene Demonstrationen handelt, hat das Ordnungsamt der Stadt Leipzig vor wenigen Tagen klargestellt. Es gehe erkennbar darum, gemeinsam eine politische Meinung zu vertreten. Dass die Teilnehmenden sich selbst nicht als Demonstration betrachten und auf Banner oder Parolen verzichten, sei dabei nicht relevant.
Minderjährige in Polizeimaßnahme
Etwa 250 Meter vom Augustusplatz entfernt bestätigt die Polizei derweil erneut den Eindruck, sich mehr um den Protest als um die Corona-Verharmloser/-innen zu kümmern. Eine minderjährige, jugendliche Person landet in einer Identitätsfeststellung. Sie war offenbar Teil einer Gruppe, die den „Querdenkern“ folgte, und soll damit laut Polizei selbst gegen die Versammlungsauflagen in der Corona-Schutzverordnung verstoßen haben. Sie muss mit einem Bußgeld von 250 Euro und einer Bearbeitungsgebühr rechnen.
Nach dem Ende der Polizeimaßnahme wird die Person von Freund/-innen getröstet. Nicht die Polizei, sondern ein paar Minderjährige stellen sich an diesem Abend der verbotenen Demonstration in den Weg. In Momenten wie diesen erkennt man, dass das kein Spaß ist, sondern eine psychische Belastung – zusätzlich zur Gesundheitsgefährdung.
Video: LZ
Der letzte Akt folgt auf dem Augustusplatz. Dort stehen noch einige Antifaschist/-innen, während ein Großteil der „Querdenker“ bereits die Heimreise angetreten hat. Hier kümmert sich die Polizei zunächst darum, den rechten Youtuber „Weichreite“ zu schützen. Anschließend weist sie Antifaschist/-innen darauf hin, Teil verbotener Ansammlungen von mehr als zehn Personen zu sein. Ob daraus Anzeigen folgen, ist unklar.
Polizei vs. Presse
Derweil fordert ein Polizist den anwesenden Journalisten der Leipziger Zeitung (LZ) dazu auf, sich zu entfernen. „Sie sind fertig“, heißt es zur Begründung. Außerdem würde der Journalist „provozieren“. Wer genau und wodurch „provoziert“ wurde, ist auf Nachfrage nicht zu erfahren.
Im Laufe des Abends wird noch klar, an wie vielen Orten die Polizei wegen ähnlicher Versammlungen im Einsatz war. Allein in Leipzig waren es vier; hinzu kommen mindestens 17 in den beiden Landkreisen, die sich in Zuständigkeit der Polizeidirektion Leipzig befinden. Widerstand aus der Zivilgesellschaft – erschwert durch den Einsatz der Polizei – dürfte es wohl nur in der Leipziger Innenstadt gegeben haben.
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