Das gesellschaftliche Klima wird immer rauer und die Bedrohungslage für einzelne Menschen gefährlicher: Ein Laden an der Eisenbahnstraße, der seine Kundschaft auf die Einhaltung gängiger COVID-19-Schutzmaßnahmen hinweist, wurde bereits zum zweiten Mal Ziel einer hinterhältigen Attacke mit antisemitischem Bezug. Der Betroffene hat bereits eine konkrete Reaktion angekündigt.
Böse Überraschung für den Verkäufer Andreas N. (der Klarname ist der Redaktion bekannt) am Montagmorgen, den 10. Mai 2021: Das Schaufenster seines Arbeitsplatzes, eines Geschäfts in der Leipziger Eisenbahnstraße, wurde mit den Worten „Schlafschaf“, einem aufgemalten Davidstern und einem großen „Q“ für „Q Anon“ beschmiert.Während der erste Begriff aus der verschwörungsideologischen Szene stammt und im Licht einer vermeintlichen Überlegenheit diffamierend auf die Masse an Menschen verweist, welche die finsteren Pläne einer herrschenden Elite noch immer nicht durchschaut habe, erinnert der Davidstern an die staatliche und gesellschaftliche Stigmatisierung der Juden unter dem NS-Regime.
Diese mussten ab 1941 sichtbar einen gelben Stern an ihrer Kleidung tragen. Der machte sie sofort als jüdische Bürger erkennbar – ein weiterer Baustein auf dem Weg zu Deportationen und millionenfachem Mord im sogenannten Dritten Reich.
Das „Q“ steht weniger für „Querdenken“, als vielmehr für die aus den USA nach Europa importierte Verschwörungserzählung „Q-Anon“, nach welcher laut Wikipedia (Einstieg) die „unsubstantuierte Behauptung“, eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen“, zentraler Mythos sei. US-Präsident Donald J. Trump bekämpfe diese Elite und einen vorgeblichen „Deep State“.
Mit dieser modernen Version der Ritualmordlegende werden antisemitische Bilder angeblicher, jüdischer Opferkulte deutlich, wie sie bereits im Mittelalter grassierten und in Form von offener Judenfeindlichkeit bis heute auch in Leipzig spürbar sind.
Verkäufer möchte auf Demo am Montagabend sprechen
Offenbar hat sich der Laden mit seinem Insistieren auf Schutzmaßnahmen Feinde im Milieu der COVID-19-Leugner gemacht. Diese bestreiten oder verharmlosen die gegenwärtige Pandemie, kritisieren die Gegenmaßnahmen der Politik und nutzen COVID-19 als Vehikel ihrer Verachtung des Staates.
Im „Querdenker“-Potpourri aus Esoterik, Wissenschaftsfeindlichkeit und Reichsbürger-Phantasien bis hin zu handfestem Neonazismus finden sich teilweise unverhohlene Aufrufe zum Systemwechsel – eine Rhetorik, die mit legitimer Hinterfragung staatlichen Handelns nichts mehr zu tun hat. Dies konnte nicht zuletzt am vergangenen Wochenende wieder beobachtet werden.
Zudem reiht sich der heutige Vorfall in eine langsam sichtbar werdende Reihe ein, schon Mitte April 2021 hatte es einen ähnlichen Angriff auf das Geschäft gegeben. Der Inhaber hat inzwischen Strafanzeige gestellt. Laut erster Auskunft der Leipziger Polizei gegenüber der LZ lässt sich die Tatzeit zwischen Freitag und Montagmorgen eingrenzen. Die Ermittlungen laufen.
Der Angestellte Andreas N. hat derweil verlautbart, persönlich bei der für heute Abend angemeldeten Demonstration der „Bürgerbewegung Leipzig 2021“ sprechen zu wollen. Am offenen Mikro möchte er über das Geschehen reden – um zu zeigen, was er von einer solch perfiden Attacke hält und welcher Beitrag von einem Milieu ausgeht, das derlei Angriffe erst gesellschaftlich salonfähig macht.
Es könnte also ab 19 Uhr spannend am Naturkundemuseum an der Lortzingstraße werden, wo sich die mittlerweile immer radikaler werdende Versammlung angekündigt hat.
Gegenüber der LZ äußerte sich Andreas N. vorab: „Die Heuchelei der sogenannten Querdenker zeigt sich darin, dass es Ihnen nicht darum geht, die Geschäfte zu unterstützen, sondern die Geschäfte, die sich an die aktuell geltenden und richtigen Regeln halten, zu diffamieren.”
Die Demonstration der „Bürgerbewegung Leipzig“ findet um 19 Uhr vor dem Naturkundemuseum statt. Zum Gegenprotest hat das Aktionsbündnis „Leipzig nimmt Platz“ ab 18.30 auf dem Richard-Wagner-Platz aufgerufen.
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