Das Transsexuellengesetz (TSG) macht es Menschen in Deutschland seit 1980 möglich, offiziell ihren Personenstand und Namen ändern zu können – und sich somit ihrer inneren Identität auch äußerlich zu nähern. Die Verbesserung des mittlerweile veralteten Gesetzes findet schrittweise statt und war erst im vergangenen November 2020 Thema im Innenausschuss des Bundestages. Hierbei wurde erneut die Fremdbestimmung kritisiert. Denn erst nach einer „erfolgreichen“ Begutachtung durch Psycholog/-innen und Psychiater/-innen dürfen Personen ihren Geschlechtseintrag ändern.
Doch auch abseits des Transsexuellengesetzes treffen LSBTTIQ* (siehe Infokasten unten) auf scheinbar unüberwindbare Barrieren und Diskriminierung. In welchen Bereichen werden die Belange von LSBTTIQ* bisher kaum oder gar nicht beachtet? Was kann dagegen getan werden? Die Leipziger Zeitung (LZ) sprach zur Klärung dieser Fragen mit verschiedenen Akteur/-innen und Expert/-innen im Freistaat: Martin Wunderlich von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen, dem Team des Vereins Sidekick Leipzig und Mareen Klenke, der ersten Ansprechperson für LSBTTIQ* bei der Staatsanwaltschaft Leipzig.
Mangelnde Gesundheitsversorgung und hohe Arbeitslosigkeit
„Unsere Gesellschaft ist bis heute durch die Annahme geprägt, es existierten nur Männer und Frauen und diese seien klar voneinander zu unterscheiden“, erklärt die LAG Queeres Netzwerk Sachsen die bis heute stark verankerte Cis-Normativität. „Aufgrund dieser Norm sind alle anderen Geschlechtlichkeiten kaum sichtbar und strukturell diskriminiert. Trans* und Inter* erleben nahezu in allen gesellschaftlichen Bereichen überdurchschnittliche Benachteiligungen und Menschenrechtsverletzungen.“
So werden unter anderem im Gesundheitssystem uneinheitliche und wenig moderne Behandlungsstandards angewandt. Es fange beim Misgendern im Warteraum einer Praxis an, so Martin Wunderlich, Referent bei der LAG: „Das Grundproblem ist aber, dass auch hier vieles zweigeschlechtlich dominiert ist. Es gibt Gesundheit für Männer und für Frauen und danach kommt erst mal lange Zeit nichts. Das endet nicht selten darin, dass medizinische Behandlungen gar nicht zur Verfügung stehen.“
Es brauche mehr Aufklärung und Sensibilisierung im Gesundheitsbereich. Dafür steht das Queere Netzwerk Sachsen mit der Staatsregierung in Kontakt, um Aufmerksamkeit für die Thematik zu erzeugen. Vereine wie Trans-Inter-Aktiv Mitteldeutschland (TIAM) unterstützen Betroffene, einige engagierte Mediziner/-innen tragen die Problematik in die Öffentlichkeit und an Kolleg/-innen heran.
Dennoch: „Gemessen an den Herausforderungen stehen all diese Bemühungen jedoch erst am Anfang.“
Und auch am Arbeitsplatz kann von einem offenen Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt nicht die Rede sein. Drei Viertel der lesbischen und schwulen sowie 83 Prozent der Trans*Personen erfahren Diskriminierung auf der Arbeit. Deshalb verschweigt rund ein Drittel der Befragten seine Identität vor Mitarbeiter/-innen und Vorgesetzten.
„Bei alledem sollte auch das Thema Arbeitslosigkeit nicht vergessen werden. Vor allem Trans*Menschen sind aufgrund von Vorurteilen überdurchschnittlich oft von Arbeits- und Erwerbslosigkeit betroffen“, so Wunderlich. Mit einem offenen Arbeitsklima, das zum Beispiel durch Workshops von queeren Vereinen gefördert werden kann, könnte dem entgegengewirkt werden.
Die LAG Queeres Netzwerk Sachsen arbeitet mit Politik und Verwaltung zusammen, um auf Grundlage des sächsischen Landesaktionsplanes Vielfalt die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Diversität voranzutreiben. Die Hälfte der Maßnahmen könne als angegangen betrachtet werden.
„Leider blieb der Plan bisher aber hinter seinen Möglichkeiten zurück“, beurteilt Wunderlich die Umsetzung. Geringe Verbindlichkeit, unklare Zeitschienen und kein eigenes Budget für den Landesaktionsplan seien die größten Schwachstellen.
Gewalt und Rechtsunsicherheiten
Zur Umsetzung des Landesaktionsplanes für Vielfalt wurde im Februar dieses Jahres die Ansprechstelle für LSBTTIQ* bei der Staatsanwaltschaft Leipzig eingeführt. Nicht nur am Arbeitsplatz oder im Krankenhaus haben Menschen, die nicht cis-heterosexuell sind, Probleme. Auch auf der Straße werden LSBTTIQ* oft Opfer von Hasskriminalität.
Staatsanwältin Mareen Klenke ist nun Ansprechperson für solche Fälle: sie nimmt Strafanzeigen auf, beantwortet Fragen zum Strafverfahren und vermittelt zwischen Betroffenen und Ermittlungsbeamt/-innen sowie Opferschutzbeauftragten bei der Polizei.
Die Behörden müssen für Kriminalität gegen LSBTTIQ* sensibilisiert werden, so Klenke. „Straftaten gegen Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität haben als Unterfall der sogenannten politischen Kriminalität dasselbe Gewicht wie rassistisch oder antisemitisch motivierte Straftaten.“
Das müsse genauso beachtet werden wie der respektvolle Umgang mit queeren Personen innerhalb der Verfahren. Denn das fehlende Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden und das teils mangelnde Verständnis der Sachbearbeiter/-innen äußern sich in einem gravierenden Problem: „Nach den Ergebnissen einer jüngst vom Berliner Justizsenator in Auftrag gegebenen Untersuchung wird jedoch nur etwa jede 20. der zum Nachteil von LSBTTIQ* begangenen Straftaten angezeigt“, erklärt Mareen Klenke.
Doch nicht nur fehlende Ansprechpartner/-innen bei den Staatsanwaltschaften und das Transsexuellengesetz bereiten LSBTTIQ* im juristischen Bereich Kopfzerbrechen. So gibt es bisher weder im Familien- und Sozialrecht, noch im internationalen Reiserecht oder in Bezug auf die Wehrpflicht Geschlechtseinträge abseits von „männlich“ und „weiblich“. Das führt für viele Inter* und Trans*Personen zu massiven Rechtsunsicherheiten.
Beispielsweise können gebärende Transmänner und zeugende Transfrauen nur mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht in die Geburtsurkunde des Kindes eingetragen werden. Auch homosexuelle Pärchen stehen vor Herausforderungen. Wird ein Kind in eine lesbische Ehe hineingeboren, so ist nur die gebärende Mutter als solche anerkannt. Die Partnerin muss eine zeitintensive Stiefkindadoption auf sich nehmen.
In heterosexuellen Ehen hingegen ist der Ehemann, unabhängig von seiner biologischen Elternschaft, automatisch rechtlicher Vater. Auch hier setzt sich die LAG Queeres Netzwerk Sachsen für umfassende Reformierungen ein.
Die binäre Welt des Sports
Der Verein Sidekick Leipzig wurde 2016 gegründet und zählt mittlerweile knapp 350 Mitglieder – ausschließlich FLINT-Personen. FLINT bedeutet Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen. Mit diesem integrierenden Konzept bildet der Verein, der neben Thaiboxen auch Yoga und Fitnesstraining anbietet, eine Ausnahme in der Sportwelt.
„Viele Sportgruppen sind binär nach Männern und Frauen aufgeteilt. Transfrauen werden teilweise bei den Frauen nicht akzeptiert und Transmänner nicht in den Männerteams. Nicht-binäre und intersexuelle Menschen sollen sich zwischen den jeweiligen Teams entscheiden, können dies aber nicht“, so das Sidekick-Team.
Aber auch der Umgang in den Vereinen lässt oft zu wünschen übrig: „Trans- oder Inter-Personen bekommen oft Fragen gestellt, die sprichwörtlich ,unter die Gürtellinie gehen‘ und die Cis-Personen aus Respekt nicht gestellt werden würden, beispielsweise zu den biologischen Geschlechtsteilen.“
Außerdem gebe es oft Unklarheiten darüber, in welcher Umkleide sie willkommen und sicher sind. Beim Sidekick soll sich jede/-r willkommen fühlen, ohne Leistungsdruck: „Uns sind eine entspannte Atmosphäre und der Spaß an der Bewegung wichtig. Alle können nach ihren eigenen sportlichen Fähigkeiten mitmachen und wir unterstützen sie bei ihren Zielen. Gleichzeitig ermöglichen wir es interessierten Thaiboxer/-innen, an freundschaftlichen Kämpfen teilzunehmen.“
Im Rahmen des Leipziger Themenjahres 2021 „Stadt der sozialen Bewegungen“ veranstaltet der Sidekick mehrere Workshops für Vereine, die sich queer-freundlicher aufstellen wollen. Dabei werden zunächst Begriffe geschlechtlicher Vielfalt vermittelt, Herausforderungen offengelegt und später dann Ideen für offenere Sportstrukturen erklärt. „Das Ziel des Workshops ist, gemeinsam einen sicheren Umgang mit diesem Thema für den Vereinskontext zu erarbeiten“, so das Sidekick-Team.
Der erste digitale Workshop am 20. März sei bei den teilnehmenden Vereinen sehr gut angekommen. Verschiedene Mitglieder aus den Bereichen Kampfsport, Fitness, Radsport, Quidditch und Fußball haben Inspiration für eine bessere Genderinklusion gesammelt. Die Termine für die nächsten Workshops werden auf der Seite des Leipziger Themenjahres veröffentlicht.
Infokasten:
– LSBTTIQ* steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell, queer. Das Sternchen inkludiert alle Menschen, die sich keiner dieser Identitäten zugehörig fühlen.
– Transsexuell bezeichnen sich Menschen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht mit dem Geschlecht übereinstimmen, mit dem sie sich identifizieren.
– Transgender steht für Menschen, die ihre Identität nicht eindeutig als Mann oder Frau sondern dazwischen verorten.
– Intersexuelle Menschen sind keinem der beiden bei uns anerkannten Geschlechter eindeutig zuzuordnen. Körperlich sind sie von der Medizin aus gesehen also weder eindeutig weiblich noch männlich.
– Binär bezeichnet die klar abgegrenzte Einteilung in männlich und weiblich.
– Cis-Heteronormativität ist die gesellschaftliche Vorstellung, dass heterosexuelle Menschen, bei denen die Identität mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht übereinstimmt, die Norm bilden.
„Ein Querschnittsthema für alle – wo geschlechtliche Vielfalt zu wenig beachtet wird“ erschien erstmals am 26. März 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
Unsere Nummer 89 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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