Dafรผr muss sich das System Verwaltung an die Lebenswelt und die Bedรผrfnisse der Bรผrger*innen anpassen. Wir empfehlen: Geht zu den Menschen. Eine hastig getippte SMS, ein "kurzes" Telefonat oder eine panische Sprachnachricht vom Jugendlichen. Fast jeder Sozialarbeitende kennt diese Situation, wenn es darum geht, dem Ratsuchenden Klarheit zu verschaffen: Es gab Post vom Amt!
Viele Seiten verklausulierte Formulierungen und meistens wenig Inhalt. Egal, ob Eingliederungsvereinbarung, Bescheinigung zur Kostenรผbernahme oder Briefe von der Justiz. Regelmรครig sind Menschen allein durch die Kommunikation mit Behรถrden und รmtern รผberfordert. Und je mehr Stellen dabei eine Rolle spielen, umso schneller geht die รbersicht verloren โ gleich dem Comic โAsterix erobert Romโ; โdas Haus, das Verrรผckte machtโ.
Mit einem Antragsformular werden Asterix und Obelix kreuz und quer durch die Verwaltungszentrale der Rรถmer geschickt, um den Passierschein A 38 zu erhalten, ohne sich gegen die Schikanen und widersinnigen Weisungen wehren zu kรถnnen. Die Szene spitzt sich derart zu, dass die beiden nur knapp dem Irrsinn entgehen. Natรผrlich ist nicht jeder Behรถrdengang derart chaotisch, Verwaltungshandeln kann jedoch sehr weltfremd auf junge Menschen wirken, die noch keine Erfahrung damit gemacht haben.
Dass ein Spannungsverhรคltnis zwischen Verwaltungseffizienz und Bรผrgernรคhe existiert, hat auch schon das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil erkannt. In diesem beschreibt das Gericht Bรผrgernรคhe als verbindlichen Grundsatz fรผr Verwaltung. Im bรผrokratischen Alltagshandeln ist von dieser Entscheidung jedoch nur wenig zu spรผren.
Zusammengefasst beschreibt das oberste Ziel von Verwaltung die Umsetzung und Durchsetzung von Gesetzen, Normen und Vorschriften, die das demokratische System erhalten und stรผtzen. Somit definiert sich Verwaltung als ein Teil der Exekutive. Jedoch ist Verwaltungshandeln in den wenigsten Fรคllen demokratisch. Allein ein Blick auf die Entscheidungsprinzipien bรผrokratischer Strukturen lรคsst den Schluss zu, dass mittels Weisungen gearbeitet wird und nicht via Mehrheitsprinzip, wie es fรผr demokratische Strukturen selbstverstรคndlich sein sollte.
Fรผr den einzelnen Menschen bedeutet das in erster Linie, dass es nur unter grรถรten Anstrengungen mรถglich ist, grundlegende Arbeitsprozesse in Behรถrden zu verstehen oder gar mitzugestalten. Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno spricht in diesem Zusammenhang von der โverwalteten Weltโ. Damit bezeichnet er die losgelรถste Herrschaft von administrativen Prinzipien, in der sich die Macht von Institutionen dermaรen verselbststรคndigt, dass sich der Mensch nur noch als verwaltet bzw. als Teil der Verwaltung begreift. Adorno spricht hierbei von einem starren Korsett, das keinen Platz mehr fรผr Spontanitรคt zulรคsst.
Um diesen Spannungen entgegenzuwirken, braucht es Lรถsungen, die im Optimalfall mit den Menschen gefunden werden, welche vom Verwaltungshandeln betroffen sind. Das schlieรt die Mitarbeitenden in den Behรถrden mit ein. Als gutes Beispiel geht das Bundesland Rheinland-Pfalz voran, das ein Beteiligungsverfahren zur Schaffung eines Transparenzgesetzes angeregt hat, indem interessierte Bรผrger*innen in die Aushandlungsprozesse einbezogen wurden. Maรgebend fรผr dieses Gesetz war es, Leitlinien der Verwaltung offen und transparent zu gestalten, um das Verhรคltnis zwischen Verwaltung und Bรผrger*innen positiv zu verรคndern. Dieses Beteiligungsverfahren geschah vor allem mittels Informationsveranstaltungen und Online-Elementen.
Hierbei ist gut zu erkennen, dass sich Verwaltung durchaus auf Menschen zubewegen kann. Niedrigschwelligkeit ist jedoch oberstes Gebot. Zudem ist es elementar, dass Verwaltung erkennbar fรผr das Gemeinwohl einsteht. Dazu gehรถrt es auch, positive Entwicklungen und Entscheidungen der Verwaltung an die รffentlichkeit weiterzugeben. Mithin bedarf es einer geeigneten รffentlichkeitsarbeit, die รผber Ratsbeschlรผsse und Ortsblรคtter hinausgeht.
Mittels entsprechender Kommunikation in einfacher beziehungsweise verstรคndlicher Sprache, Abbau von Barrieren durch bspw. Online-Tools, Dezentralisierung von Einrichtungen, um kurze Wege zu ermรถglichen oder mehr Transparenz und Entscheidungsteilhabe in Verwaltungsprozessen wรคren schon die ersten Schritte hin zum Menschen getan. Doch fรผr solche Vorhaben mรผssen auch entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Denn eine Verwaltung, die unterbesetzt ist und รผber keine geeignete Ausstattung verfรผgt, wird in starre und undemokratische Routinen verfallen.
Quellen:
Deutsches Asterix Archiv (2019): Haus das Verrรผckte macht. URL: https://www.comedix.de/lexikon/db/haus_das_verrueckte_macht.php [24.10.2019].
Grohs, Stephan (2012): Die verwaltungswissenschaftliche Perspektive auf Demokratie. In: Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Soziologie: eine interdisziplinรคre Einfรผhrung; Kurseinheit 1-3 / Breitmeier, Helmut (Hrsg.). โ Hagen: Fernuniversitรคt Hagen, S. 91-114.
Solltau, Hannes (2018): Bรผrokratie muss kein Schimpfwort sein. Der Tagesspiegel. URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/verwaltung-buerokratie-muss-kein-schimpfwort-sein/23011090.html [24.10.2019].
Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (2019): Transparenzgesetz Reihnland-Pfalz. URL: https://transparenzgesetz.rlp.de/transparenzrlp/de/home.html [24.10.2019].
Infos zur Thesen-Aktion: Anlรคsslich seines 25-jรคhrigen Bestehens hat der Mobile Jugendarbeit Leipzig e.V. einen Kalender mit 25 Thesen aus der Praxis zusammengestellt. Diese beziehen sich auf aktuelle Gegebenheiten und Entwicklungen in Gesellschaft und Jugendarbeit, auf die die Streetworker des Vereins in ihrer tรคglichen Arbeit stoรen. Die Thesen sollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen โ und im Idealfall den Anstoร fรผr einen Verรคnderungsprozess geben.
Mehr Infos zur Mobilen Jugendarbeit Leipzig e.V.:
www.kuebelonline.de
These #11: Die Investition in frรผhzeitige Unterstรผtzungsangebote verhindert soziale Benachteiligung.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr fรผr alle Leser frei verfรผgbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label โFreikรคuferโ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem โLeserclubโ (also durch eine Paywall geschรผtzt) kรถnnen wir diese leider nicht allen online zugรคnglich machen.
Trotz aller Bemรผhungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstรคrkt haben sich im Rahmen der โFreikรคuferโ-Kampagne der L-IZ.de nicht genรผgend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehรถrigen, Vereinen, Behรถrden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstรผtzen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekรคren Situation unserer Arbeit zu unterstรผtzen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine โPaywallโ, bemรผhen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch fรผr diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten kรถnnen und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood รผber Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafรผr und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jรคhrlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfรผgbare Texte zu prรคsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 500 Abonnenten.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher