Mit Angst manipuliert man Menschen. Das ist nicht ganz das Thema der seit dem 18. Oktober im Zeitgeschichtlichen Forum gezeigten Wechselausstellung „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“ Die ist eher ein Versuch, dem Phänomen „German Angst“ auf den Grund zu gehen, die eigentlich keine Angst ist, sondern eher die Politik gewordene Unwilligkeit, sich für irgendetwas in dieser Welt verantwortlich zu fühlen. Ein Wohlstandsphänomen, das medial immer wieder neu aufzuschäumen geht.
Und so ist es dann in der Ausstellung auch zu sehen, für die das Zeitgeschichtliche Forum dann auch so wirbt:
Wovor haben Sie Angst?
Vor Spinnen vielleicht? Oder haben Sie Höhenangst? Neben diesen individuellen Ängsten, die viele auf die eine oder andere Art kennen, gibt es Ängste, die viele betreffen, manchmal sogar die Gesellschaft als Ganzes. Es sind Ängste, die uns nicht als Einzelnen bedrohen und die wir auch nicht alleine überwinden können. Diesem Phänomen geht die Wechselausstellung „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“ nach.
Die Ausstellung beschäftigt sich unter anderem mit der Angst vor dem „Ausspähen“ der Privatsphäre. In der DDR überwacht die Staatssicherheit die Bevölkerung flächendeckend. In der Bundesrepublik machen sich mit der Volkszählung 1983 und den Plänen für eine computergestützte Erfassung persönlicher Daten, Ängste vor einem „Überwachungsstaat“ breit. Die Ausstellung zeigt, wie sich als Folge das Recht auf informationelle Selbstbestimmung etabliert und wie die Angst vor Datensammlung oder durch das Internet erneut befeuert wird.
Der Wald stirbt: Anfang der 1980er Jahre versetzt diese Vorstellung die Öffentlichkeit in Panik. Die Ausstellung beleuchtet die verschiedenen Rettungsmaßnahmen und fragt nach deren langfristigem Wirken. In der DDR hingegen gibt es das Waldsterben offiziell nicht. Wer das Gegenteil behauptet, muss mit Repressionen rechnen. Eine zweite „Welle der Angst“ löst die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 aus. Die über Deutschland hinwegziehende Nuklearwolke verursacht in Teilen der Bevölkerung Angst vor einer Kontaminierung von Menschen, Böden und Lebensmitteln, die durch eine chaotische Informationspolitik der Behörden noch verstärkt wird.
Die Ausstellung konzentriert sich auf die vier Themen Zuwanderung, Atomkrieg, Umweltzerstörung und Datenschutz. Sie erzählt mit über 300 Exponaten von den kollektiven Ängsten der Deutschen in West und Ost und beleuchtet die Entstehung sowie Verbreitung im jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontext.
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Es geht also munter durcheinander. Aber dahinter steckt immer die Frage: Wie funktionieren unsere Medien? Und zwar nicht nur unsere Boulevardmedien, die das Schüren falscher Ängste längst zur Perfektion getrieben haben. Wer Menschen in Angst versetzt, nimmt ihnen den klaren Blick auf die Wirklichkeit, versetzt sie geradezu in Schockzustand. Gerade dann, wenn das, was Angst machen soll, scheinbar so groß und übermächtig ist, dass sich das verschreckte Karnickel nicht mehr zu wehren weiß.
Angst macht dumm
Gerade dann, wenn sie ungreifbar scheint. Nichts erzählt davon plastischer als die über Jahrhunderte geschürten irrationalen Ängste vor den Juden. Diese Bilder entstehen nicht „einfach so“, weil Völker von Krisen geschüttelt werden. Diese Ängste werden von Kanzeln herab gepredigt, als Gerücht gestreut, in geheimnisvoll raunenden Schriften kolportiert. Sie sollen blind machen für die wirklichen Ursachen einer Krise, Ablenken vom Versagen der wirklich Verantwortlichen.
Und sie sollen verhindern, dass wirklich nach der Verantwortung gefragt wird, dass Menschen auf den Gedanken kommen, Verhältnisse könne man auch ändern. Angstmache ist die mächtigste Waffe der Mächtigen. Und derer, die mit allen Mitteln an die Macht wollen. Denn sie verwandelt Menschen in eine ängstlich raunende Menge. Denn deren Angst macht sie verführbar, gefügig und feige. Wer Angst hat, hinterfragt nicht, was ihm erzählt wird. Der hat keinen kühlen, abgeklärten Blick mehr auf das, was vor sich geht. Der fragt auch nicht mehr. Angst lässt keine Fragen zu.
Deswegen ist die Ausstellung eher eine, die Fragen aufwirft – nach der Wirkungsweise von Medien, nach der Angstmache als politisches Instrument. Und nach der Frage: Wie gehen Medien dann damit um? Eine nicht ganz unwichtige Frage. Denn hinter den Themen (Zuwanderung, Atomkrieg, Umweltzerstörung und Datenschutz) stecken ja reale Vorgänge. Die Welt verändert sich – und nicht immer zum Guten.
Das Jetzt ist nie ein Zustand für die Ewigkeit
Veränderungen fordern jede Gesellschaft heraus, Antworten und Lösungen zu finden. Kluge Lösungen, die man auch erklären können muss. Doch wie gestaltet man Zukunft? Und zwar transparent, für alle nachvollziehbar? Etwas, was auch deutsche Politiker kaum noch tun. Sie lassen ihre politischen Entscheidungsfindungen hinter Nebel- und Wortwolken verschwinden. Und sie schüren selbst Ängste – Verlustängste, die in der Aufzählung völlig fehlen.
Denn wenn Menschen Politik als etwas erfahren, was ohne sie passiert, was für sie nicht greif- und beeinflussbar wird, entsteht logischerweise das Gefühl der Ohnmacht. Und Ohnmacht vor scheinbar übermächtigen Entwicklungen, die das eigene kleine Hab und Gut hinwegzuspülen drohen, verwandelt sich in Angst. In permanente Verlustangst. In die Angst, wehrlos zu sein und selbst nichts tun zu können, die Dinge zu ändern.
Eine Angst, mit der die deutschen Konservativen schon immer Politik gemacht haben. Denn wer sich um sein Einkommen, seinen Job, vor dem Jobcenter fürchtet, der wird zum Kaninchen. Der wehrt sich nicht gegen Zumutungen. Und ist nur zu bereit, den jeweils angebotenen neuen Übeltäter als Verursacher seiner Not zu akzeptieren. Der kommt auch nicht aus seiner Höhle. Im Gegenteil: Er schließt sich ein, denn draußen lauert die Gefahr. Ordnung und Sicherheit werden zu übermächtigen Themen. Das ist sie ganz elementar: die „German Angst“.
Die so angefixt ist vom Fürchten des Furchtbaren, dass sie regelrecht süchtig danach ist, es sich jeden Tag aufs Neue zu bestätigen.
Aber der Zweifel bleibt, ob die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum tatsächlich den Kern trifft. Denn auch wenn Medien scheinbar mit dicken Schlagzeilen Panik verbreiten, bedeutet das nicht, dass das tatsächlich auch die wirklichen Ängste der Bürger sind. Manchmal erzählen drastische Geschichten wie die vom Waldsterben davon, dass ein Thema endlich mit drastischen Bildern auch die Wahrnehmung der Presse erreicht hat. Und endlich auch gehandelt wird. Drastische Warnungen können tatsächlich gesellschaftliches Handeln auslösen.
Aber war die Angst vorm Waldsterben wirklich eine echte Angst?
In ihren Vermächtnisstudien fragt die „Zeit“ regelmäßig, welche Themen den Befragten Angst machen.
Ob es reale Ängste sind, erfasst die Befragung übrigens nicht. Und die Themensetzungen zeigen eher, wie stark mediale Fokussierung dafür sorgt, dass Themen von den Menschen überhaupt als mögliche Bedrohung wahrgenommen werden. Angstwahrnehmung hat psychologische Ursachen. Sie hängt aufs Engste mit dem eigenen Selbstbild zusammen und dem Gefühl, das eigene Leben im Griff zu haben. Logische Folge: Konservativ eingestellte Menschen haben mehr Ängste, fühlen sich in ihrem Kern stärker bedroht. Natürlich zuallererst von anderen Menschen, die sich nicht so benehmen wie sie selbst.
„Die Angst vor negativen Folgen von Zuwanderung stieg in diesem Zeitraum um vier Prozentpunkte. 34 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Angst vor ,Überfremdung durch zu viele zuziehende Ausländer‘ hätten“, schrieb Patrick Weber in seinem Beitrag in der „Zeit“. „Die statistische Analyse zeigt, dass diese beiden Ängste eng verbunden sind mit anderen von uns untersuchten Themen. So haben Befragte, die Angst vor Zuwanderung haben, auch mehr Angst vor Krieg, Terroranschlägen in Deutschland, Angst vor Islamisierung, Kriminalität und Gewalttätigkeit. Es ist der Komplex von Ängsten, den der amerikanische Medienpsychologe George Gerbner unter dem Begriff der ,gemeinen Welt‘ zusammenfasste. Die Welt wird unter diesen Ängsten als bedrohlich empfunden, man selbst erfährt sich als machtlos, als Opfer der Umstände.“
Es sind genau diese Ängste, die von den reaktionären Parteien geschürt werden. Sie bieten den in ihrem Selbstbild verunsicherten Menschen die Angst als (altbekanntes) Erklärungsmuster an. Motto: „Du liegst vollkommen richtig mit deiner Angst. Du MUSST vor all dem Angst haben.“ Sie schüren die Verunsicherung, die Sorge, das Besorgtsein – den besorgten Bürger. Der gar nicht mehr herauskommt aus seinem Zustand der fortwährenden Besorgtheit.
Aber er sorgt sich eben nicht um den Zustand der Welt – und packt auch nicht mit an, die Dinge besser zu machen. Er sorgt sich nur um sich selbst, sein eigenes kleines Stück Welt. Schotten zu, Fenster zu. Nur ja die Schrecken der Welt nicht hereinlassen.
Angst überwinden
Obwohl schon das kleinste Kind lernt, dass man seine Angst nur dann überwindet, wenn man sich den eigenen Ängsten auch stellt, herauszukriegen versucht, was einem da so eine Angst macht. Nur wer sich den Ängsten stellt, entwickelt Mut und Selbstvertrauen.
Na gut, das ist dann keine konservative Politik. Stimmt schon. Konservative Politik braucht augenscheinlich Ängste und Gespenster. Sie helfen dabei, den Zustand des bedrohten Jetzt etwas länger zu erhalten und Menschen einzureden, es gäbe nur dieses von allen Seiten bedrohte Jetzt und Hier, das die meisten Leute dann sogar noch als Heimat empfinden, weil sie panische Angst davor haben, mutterseelenallein in einer Welt zu landen, in der sie sich selbst definieren müssen und nicht mehr nur Teil eines vagen Konstrukts aus stillschweigenden Normen und Einverständnissen sind.
Hinter der Angst vor den (Zu-)Wandernden lauert ja bekanntlich die Angst, dass man selbst aufbrechen muss und nicht weiß, was einmal daraus wird.
Gott bewahre! Ja nicht! Hilfe!
Und wie es so ist: Der nächste besorgte Populist ist nicht weit, der dann mit schmalziger Rede beruhigt: „Fürchte dich! Du hast allen Grund, dich zu fürchten. Denn ICH bin bei dir.“
Die Ausstellung „Angst. Eine deutsche Gefühlslage“ ist im Zeitgeschichtlichen Forum vom 18. Oktober 2019 bis zum 10. Mai 2020 zu sehen.
Warum an die Zukunft denken? Wie falsche Geschichten in unserem Kopf uns zu Opfern unserer eigenen Ängste machen
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