Etwas Wichtiges benennt Theo Sommer am 30. Juli in seiner „Zeit“-Kolumne „Der politische Diskurs ist abgewürgt“. Denn was passiert, wenn es einer radikalen Minderheit gelingt, binnen weniger Jahre den politischen Diskurs in den Medien zu dominieren und alle anderen Parteien dazu zwingt (oder bringt), nur noch über ihre Themen und Meinungen zu reden? Genau das: Ein tatsächliches Verschwinden der politischen Debatte, ohne die der Demokratie die Luft ausgeht. Was sogar gewollt ist.
Es geht nicht nur um Framing, auch wenn nach dem Erscheinen von Elisabeth Wehlings Buch „Politisches Framing“ so langsam auch ein paar politische Kommentatoren begriffen, wie das funktioniert und nach dem „Framing-Skandal“ bei der ARD alle möglichen Leute entsetzt taten. Framing ist nur ein Instrument, um mit emotional „eingerahmten“ Botschaften in die Köpfe der Menschen zu kommen.
Ein anderes ist natürlich „Marktdurchdringung“. Das wird von fast allen Parteien regelrecht ausgeblendet, dass wir seit Jahrzehnten in einer Mediendemokratie leben und dass Parteien und Politiker sich in Marken verwandeln, ob sie das wollen oder nicht. Sie stehen in all den Talkshows, Zeitungskommentaren, politischen Nachrichtensendungen, auf Facebook, Twitter und selbst bei Google permanent im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Nutzer, Zuschauer und Wähler.
Und schon Cicero wusste es: Man erreicht das Volk nur mit starken und eindeutigen Bildern, mit Emotionen, die die Leute sofort aufregen, begeistern oder in Zorn verwandeln. (Wiederholter Lesetipp: Robert Harris’ Cicero-Trilogie.)
Nicht anders hat Donald Trump seine Wahl gewonnen
Er hat – medial geschult, wie er ist – begriffen, dass es vor allem um Penetration geht. Dass man sich selbst als Marke verkaufen muss. Darüber hat ja Naomi Klein in „No is not enough“ ja nur sehr plausibel geschrieben. Er hat begriffen, dass es für ihn selbst und seine Siegeschancen völlig egal ist, was er postet, twittert oder in die Kameras wütet – allein schon die permanente Präsenz und die Kürze und Griffigkeit seiner Wortmeldungen reichen völlig aus, dass nicht nur alle seine Follower sich permanent mit dem beschäftigen (müssen), was er sagt und tut, sondern auch alle Medien.
Das war schon im Präsidentschaftswahlkampf statistisch nachweisbar, als er sämtliche demokratischen Herausforderer durch seine permanenten Attacken regelrecht unsichtbar gemacht hat – bis auf Herausforderin Hillary Clinton. Nur hatte Clinton nichts davon. Denn ihr Bild in der Öffentlichkeit hat sie nicht selbst bestimmt, das hat Trump mit seinen Hasstiraden geformt.
Dass er eigentlich ein leeres Programm hatte, bestenfalls eines, das den Superreichen in den USA noch mehr Geld in die Börsen schaufeln sollte, ging dabei regelrecht unter. Wer beschäftigt sich mit Programmen und den direkten Folgen für das Volk, wenn man jeden Tag die Schlagzeilen mit Lügen, Wut und der Debatte, ob Trump damit Grenzen überschreitet, füllen kann? Es geht um Aufmerksamkeit, Marktdurchdringung und Reichweite. Selbst dann, wenn man – so ja die deutsche Betitelung von Naomi Kleins Buch „Gegen Trump“ agiert. Das ist dann nämlich auch wieder Framing. Jedes Anti-Trump verstärkt die Marke Trump.
Und es lässt den Raum schrumpfen, in dem eigentlich noch über die wirklichen Probleme und wirklich klugen Lösungsansätze debattiert werden kann.
Alles starrt nur noch (mit Kameraaugen) auf das wütende Untier, das mit einfachen Lösungen versucht, die komplexen Probleme der Gegenwart quasi im Handstreich zu lösen. Oder halt mit Gewalt.
„Dennoch wird es immer wieder versucht“, schreibt Theo Sommer in seiner Kolumne. „Wie schon der konservative spanische Intellektuelle José Ortega y Gasset analysiert hat: meist von einem ,Menschentypus, der darauf verzichtet, Gründe anzugeben und recht zu haben, sondern sich schlichtweg entschlossen zeigt, seine Meinung durchzusetzen‘; einem Typ, der meinen will, aber die Bedingungen und Voraussetzungen allen Meinens nicht anerkennt.“
Die Gesprächsverweigerung gehört übrigens zum Programm
Man geht gar nicht auf Argumente und Fakten ein, sondern wischt sie einfach vom Tisch, behauptet einfach etwas, setzt seine eigene Meinung für den einzig richtigen Maßstab und geht mit allen anderen, die nicht Beifall klatschen, höhnisch um, verächtlich, beleidigt sie und wischt selbst wissenschaftliche Grundlagenarbeit mit der Behauptung vom Tisch, man könne das ja alles auch ganz anders sehen. Man bringt es sogar fertig, alle anderen für doof zu erklären, weil sie nicht die Weisheit haben, das „bessere Wissen“ der selbst ernannten neuen Elite zu begreifen.
Und da sich die Argumente nicht ändern, bleiben die Gesprächsrituale immer dieselben. Und man merkt die Ermüdung der demokratischen Gegenspieler, wenn sie in diesen heillosen Diskussionen immer wieder an denselben Punkt kommen und einem Typen gegenübersitzen, der zwar von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, aber seine Argumente mit der höhnischen Überlegenheit vorträgt, die nur ein „Eingeweihter“ haben kann, ein „Erhellter“, ein besonders Begnadeter.
Auch wenn dahinter nichts ist. Außer vielleicht das Vergnügen, mit einer simplen Technik radikaler Gesprächszerstörung alle Aufmerksamkeit dennoch auf sich selbst zu lenken.
„Populisten stehen ratlos vor der Komplexität der Demokratie“, schreibt Sommer. „Sie treffen ein paar symbolische Entscheidungen, das Gestrüpp der Probleme bleibt. Im Kern ist der Populismus antiparlamentarisch, auch wenn er sich der Parlamentswahlen bedient, um an die Macht zu kommen.“
Und er bedient sich vor allem der Medien. Denn die Show liegt ihm im Blut. Denn ganz so dumm sind die Vordenker hinter den Populisten nicht. Sie haben die Geschichte von Propaganda und Manipulation aufmerksam studiert. Sie wissen, wie man sich systematisch mitten in die gesellschaftliche Debatte drängt und dann – koordiniert – die Diskussion an sich reißt. Und diese Debatte findet vor allem in den „social media“ statt, deren Wirkmechanismen auf nichts anderes ausgelegt sind als auf Aufmerksamkeit, Dominanz, Radikalisierung der Gefühle und Aussagen.
Motto: Wer den meisten Krach macht, dominiert die Netze
Der dominiert die Themen und die politische Agenda. Und der sorgt – durch Algorithmen bevorteilt – dafür, dass nur noch über seine Frames geredet wird.
Und nicht anders agieren die Vertreter dieser Parteien auch in den klassischen Medien. Sie suchen geradezu nach Anlässen, um Empörung zu schüren. Und die Empörung nutzen sie dann wieder, um sich als Benachteiligte darzustellen, Opfer eines „Mainstreams“, der ihnen die politische Teilhabe verwehren will, als wenn sie nicht schon überall präsent wären und selbst die Parlamente mit Empörtsein füllen würden. Das Empörtsein ist ihr Naturzustand.
Wenn sich dann die Medien wieder ausgiebig mit der Empörung beschäftigen, kommt auch keiner auf die Idee, die tatsächlichen Lösungsvorschläge dieser Partei zu studieren. Hat sie welche? Wem nützen sie? Wer wird sie bezahlen? Oder ist das meiste doch nur wieder heiße Luft?
Sie vermeiden den Wettstreit um kluge politische Lösungen sogar. Auch diese Masche funktioniert – zum Beispiel über die Behauptung, die anderen, die „Altparteien“, wären ja sowieso alle ein und dasselbe, so eine Art Block. Man erklärt sich zur einzigen Alternative und schafft es damit, den tatsächlichen Streit um Lösungen, den es ja gibt bei den „Alten“, aus dem Scheinwerferlicht zu drängen. Der Clown beherrscht die Manege.
Das Publikum regt sich nur noch über seine schrecklichen Späße auf. Sieht nur noch seine Grimassen und dürfte selbst dann, wenn die Glotze mal aus ist, Schwierigkeiten haben, sich an irgendetwas zu erinnern, was nun tatsächlich als realistischer Vorschlag vorgebracht wurde, der sein Leben verbessern würde.
Mario, die Angst und das letzte Halali
Wer die Aufmerksamkeit derart systematisch an sich reißt, erreicht natürlich gleich zwei Dinge auf einmal: Eine allgegenwärtige Präsenz selbst bei den Menschen, die diesen Clown nur noch zum Fürchten finden. Und eine Lähmung der Politik. Denn augenscheinlich macht der Horrorclown den furchtsameren unter den Demokraten so viel Angst, dass sie schon in vorauseilendem Gehorsam darauf verzichten, selbst Themen zu setzen, gar gegenzuhalten und echte Vorschläge zu machen und zu verteidigen, um nur ja nicht den „erzürnten Wutbürger“ zu ergrimmen, als müsse man jetzt um dessen Stimme betteln, damit er nicht den Horrorclown wählt.
Was dann wohl auch wieder den Eindruck verstärkt, der Clown in der Manage könnte ja doch recht haben und es sei an der Zeit, ihm den Zirkus zu übergeben. Der Clown rechnet mit den Eingeschüchterten und Verängstigten. Das tat er auch schon vor 100 Jahren. Und wer es nicht gelesen hat, dem sei an der Stelle noch einmal Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ (Wiki) empfohlen.
Auch Theo Sommer hat sich von dem ganzen, von Clownerie verzerrten Geschnatter erst einmal mit einer mehrwöchigen Schreibabstinenz erholt und ein paar Bücher gelesen. Lesen bildet ja nicht nur, es beruhigt auch, gerade, wenn man es mit klugen Autor/-innen zu tun bekommt.
Sommer schreibt zwar nichts über die Markenbildung der Populisten. Deswegen schreib ich’s noch einmal hierhin, weil es vieles von dem verständlich macht, was diese Anpreiser der eigenen Vollkommenheit tatsächlich tun, sehr systematisch und mit sehr viel professionellem Knowhow, was die Penetrierung eines Marktes betrifft. Nur dass dieser Markt unsere Demokratie ist, die sie damit systematisch aushöhlen.
Bis die Angst und die Verwirrung immer mehr Köpfe erfasst und die großen Jäger zum Halali blasen auf alles, was sie zutiefst verachten: eine wirklich freie und moderne Gesellschaft.
Theo Sommers Kolumne „Der politische Diskurs ist abgewürgt“ auf der „Zeit“.
Warum eine lieblose Politik sich gegen Menschenfeinde nicht wehren kann
Warum eine lieblose Politik sich gegen Menschenfeinde nicht wehren kann
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