Es war seit Monaten zu erwarten, besser: zu befürchten, dass die Trump-Administration aus den sog. INF-Verträgen (Intermediate Range Nuclear Forces, zu Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme) von 1987 aussteigen wird. Die Regierung der Vereinigten Staaten vollzieht den Schritt aber nicht, um unter veränderten weltpolitischen Bedingungen eine verlässlichere Abrüstung und die Verringerung atomarer Waffen zu erreichen. Ihr vorrangiges Ziel ist es, die Rüstungsproduktion im eigenen Land aber auch weltweit anzuheizen.
Darum kann der Hinweis darauf, dass Russland seit Jahren gegen die INF-Verträge verstoße, als eine der für Trumps Politik konstitutiv gewordenen Lügen betrachtet werden. Trumps Hauptaugenmerk liegt darauf, einen Rüstungs„deal“ nach dem anderen abschließen zu können, von denen die amerikanische Rüstungsindustrie „at first“ profitieren kann. Eigentlich sollte man erwarten können, dass diese gefährliche Politik in Europa durchschaut wird und entsprechende Strategien entwickelt werden, um die Stationierung neuer atomarer Waffen zu verhindern.
Leider muss man aber zu dem Eindruck gelangen, dass die EU nicht nur unentschlossen, sondern vor allem uneinig auf die Politik Trumps reagiert. Während Außenminister Heiko Maas (SPD) eine große Abrüstungskonferenz anberaumen will, um dem atomaren Wettrüsten zu begegnen, biedert sich der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz Trump geradezu an: „Es liegt in unserem europäischen Interesse, dass amerikanische Truppen und Atomraketen auf dem Kontinent stationiert sind.“
Was sich in diesen Tagen rächt: Nach der Friedlichen Revolution 1989/90, nach dem ohne kriegerische Handlungen vollzogenen Zusammenbruch des Warschauer Paktes, wurden und werden viele Kriege geführt (Balkan, Naher Osten, Afghanistan, Ukraine). Man musste beim 1. und 2. Golfkrieg den Eindruck gewinnen, dass mit diesen Waffengängen vor allem das ideologische Ziel verfolgt wurde, das „Missverständnis“ der Friedensbewegung in Ost und West zu „entlarven“ – nach dem Motto: Glaubt nur ja nicht, dass in dieser Welt unter Verzicht auf militärische Mittel friedliche Entwicklungen eingeleitet werden können. So hat es keine ernsthaften politischen Bestrebungen gegeben, unter den 1989/90 geschaffenen Bedingungen weltweit die Abrüstung entschlossen voranzutreiben und damit auch die Rüstungsproduktion und den Rüstungsexport zurückzufahren.
Selbst das Iran-Atomabkommen (Joint Comprehensive Plan of Action) von 2015 konnte von Trump mit einem Federstrich aufgekündigt werden, ohne dass dem auf europäischer Ebene wirksam begegnet wurde. Es ist keine politische Kraft auf europäischer und leider auch auf deutscher Seite unterwegs, die die grundlegenden Ansätze der Friedens- und Ostpolitik eines Egon Bahr und Willy Brandt im Blick auf den Nahen Osten, den afrikanischen Kontinent und natürlich auch Russland und China weiterentwickelt.
Wieder einmal sind wir in der Situation, dass das Thema nicht-militärischer Konfliktlösungsstrategien von der politischen Tagesordnung mehr oder weniger verschwunden ist. Stattdessen wird wie selbstverständlich ein Aufrüstungsprogramm nach dem anderen auf den Weg gebracht und als unvermeidlich kommuniziert. Noch immer wirkt der Paradigmenwechsel nach, den Bundespräsident Joachim Gauck, damals in Absprache mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 vollzogen hat (siehe auch: http://wolff-christian.de/die-debatte-muss-sein-zur-rede-von-bundespraesident-gauck/).
Da mahnte er an, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehmen müsse, was weitgehend so verstanden wurde: Deutschland wird sich noch öfter an militärischen Einsätzen (und entsprechenden Aufrüstungsprogrammen) weltweit beteiligen. Die Frage der Abrüstung und einer strategisch angelegten Friedenspolitik spielte aber nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr hat man den Eindruck: Die Kriege in Syrien, Afghanistan, Ukraine werden politisch hingenommen, ohne dass sie politische Friedensimpulse provozieren.
Wie gesagt: Dieser Mangel an einer entschlossenen Abrüstungs- und Friedenspolitik rächt sich jetzt. Und das in einer Zeit, in der sich immer deutlicher abzeichnet, welch militaristische Brandbeschleuniger in der Politik rechtsnationalistischer Regierungen wie der Trump-Administration liegt. Denn Nationalismus, der sich in Abgrenzung zu allen anderen Ländern definiert, produziert wesensmäßig Kriegsbereitschaft. Genau das zeigt sich auf höchst gefährliche Weise auch in Europa.
Es ist völlig klar: Alle Länder, die sich jetzt darin einig sind, internationale Verträge zu kündigen oder politische Bündnisse wie die EU zu zerstören, sind morgen potentielle Kriegsgegner. Denn Konflikte lassen sich auf friedliche Weise nur im Rahmen multilateraler Beziehungen lösen, nicht aber unter sich abgrenzenden Nationalstaaten. Dafür steht bis heute die europäische Einigung.
Was also ist zu tun? Es liegt vor allem an Deutschland, endlich das europäische Friedensprojekt als Grundlage für eine entschlossene Abrüstungsinitiative zu nutzen. Auf politischer Seite ist die SPD gefordert. Sie sollte sich zum Vorreiter einer neuen, europäisch ausgerichteten Friedenspolitik machen. Sie bedarf – wie vor über 50 Jahren – dringend einer Leitidee. Es muss doch in der Sozialdemokratie die politischen Potenzen geben, die in der Lage sind, solche Leitideen zu entwickeln und damit auf einem wichtigen politischen Feld die Meinungsführerschaft zu erlangen. Die Zeit drängt.
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