Seit einigen Wochen spielt sich in den Kulturteilen deutscher Medien eine interessante Debatte ab. Ausgelöst wurde sie durch einen Namensartikel von Christoph Hein in der Süddeutschen Zeitung, in dem er eine Begegnung mit Florian Henckel von Donnersmarck und deren Folgen für sich selbst und den preisgekrönten Film „Das Leben der Anderen“ schildert.

Die Debatte darüber, nicht zuletzt weitergeführt von Andreas Platthaus in der FAZ und Hilmar Klute in der Süddeutschen vom 9./10. Februar, entfernt sich immer mehr von dem, was ich für ihren Kern hielt und was ihr – nach meiner Meinung – eine Bedeutung über die Schilderung der Auseinandersetzung zwischen bekannten Künstlern hinaus verlieh, der man mit voyeuristischem Interesse folgt.

Zunächst: worum geht es?

Ein Mann (Ost) trifft einen anderen Mann (West). Er wird gebeten, Dinge aus seinem Ostleben zu erzählen, die der andere für ein Projekt verwenden will.

Ost erzählt. Er erzählt viel, öffnet sich weit, freut sich über das Interesse, ist davon auch vielleicht geschmeichelt.

West ist begeistert, fragt nach, „Jetzt habe ich alles verstanden!“, ist voller Dank und Inspiration.

Aus dieser – und zweifellos anderen – Inspiration(en) macht West nun etwas. Etwas Neues. Ein Produkt oder – wie hier – einen Film, mit dem er erfolgreich ist. Er vergisst nicht, dass er den Erfolg auch einer (vielleicht auch mehreren) wichtigen Quelle(n), Hinweisen und Inspirationen verdankt. Er verschweigt dies nicht, bedankt sich auch öffentlich dafür.

Ost sieht das Werk und erkennt sich darin nicht wieder. Dabei hatte der andere doch gesagt, er habe „alles verstanden“?

Ost ist gekränkt, fühlt sich missverstanden, hat das Gefühl, seine so offen erzählte Geschichte sei uminterpretiert worden, distanziert sich.

West ist ob dieses Verhaltens gekränkt, fühlt sich – auch – missverstanden, usw. Das scheint mir die Geschichte zu sein.

Was ist daran nun wichtig?

Jeder, der während und nach der Wende in Ostdeutschland gelebt und am gesellschaftlichen (dies schließt auch Wirtschaft ein, darauf sei sicherheitshalber hier hingewiesen) Leben teilgenommen hat, kennt diese Situation, er hat sie immer und immer wieder erlebt.

Sie ist – so scheint mir – ein zentraler Grund, weshalb sich Ostdeutsche und Westdeutsche auch und gerade heute nicht frei von Verletzungen und Missverständnissen begegnen.

Was ist – allgemein gesprochen – falschgelaufen?

Aus der Ostsicht wohl viel: persönliche Geschichten, Erfahrungen, Kenntnisse, Zugänge oder Ideen wurden offengelegt und (mit-)geteilt. Dass diese in die Entwicklung von Neuem eingingen, sogar wichtige Grundlagen dafür bildeten, mit dem andere Erfolg hatten, wurde als übergriffig, als ungehörig – im heutigen Sprachgebrauch als ungerecht empfunden. Das gespürte und befriedigte Interesse war nicht zweckfrei und vom Ergebnis profitierte (oft) nur eine Seite.

Aus der Westsicht wohl wenig: man hat mit seinen Absichten nicht hinterm Berge gehalten, hat sich anständig verhalten (ja, es gab auch genug Leute, die das nicht getan haben!), sich öffentlich bedankt und die Bedeutung des Inputs nicht verschwiegen.

Nun geht jeder der Beteiligten auf typische Weise mit der Situation um: Ost emotional, gekränkt, verärgert.

West: rationalisiert (in gewohnter Weise) den Sachverhalt in Hinblick auf justiziable Fehler, moralische Unsauberkeiten prüfend– nichts da. Was bleibt ist der Ärger über die vermeintliche Undankbarkeit und die Weinerlichkeit des Gegenübers.

Und nun?

Die Verhaltensmuster scheinen weitergeführt zu werden. Reflexhaft wurden Unsauberkeiten in der Wortmeldung von Hein gesucht und gefunden. Die Frage, wie viel Verfremdung, wie viel Fiktion Geschichte verträgt, wird kenntnisreich beantwortet und an Beispielen von Goethe bis Klaus Mann beantwortet („viel!“). Aber kann man so mit dem Thema wirklich umgehen?

Natürlich, man kann das so machen – man muss es aber nicht.

Oder vielleicht doch? Muss man ein beispielloses Projekt – wie es die Deutsche Einheit nun einmal war und vielleicht auch noch ist – nicht mit einer Portion Rücksichtslosigkeit – also ohne Rücksicht auf drohende Verluste und Befindlichkeiten – „durchziehen“?

Auch – oder gerade weil – man aus verschiedenen großen (die günstige Weltlage) und kleineren (bevorstehende Wahlen) Gründen sich dafür unter Zeitdruck weiß? Wahrscheinlich.

Aber muss man die geschlagenen Wunden mit einem politischen Achselzucken abtun und erwarten, dass sie sprichwörtlich von der Zeit geheilt werden? Den Blick nach vorn – und nur nach vorn?

Wahrscheinlich nicht. Vielleicht wäre es einfacher, wenn die Erfahrungen mit dem „Sich öffnen“ und dem „Etwas daraus machen“ gleicher zwischen Ost und West verteilt wären. Dass dies nicht so ist, das ist rückwirkend nicht zu ändern.

Mit diesem Teil der gemeinsamen deutschen Geschichte anders umzugehen als bisher, das wird gerade eingefordert. Und dass wir daraus etwas für die gemeinsame Zukunft lernen, das auch.

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