Dass der Leipziger Stadtrat die Einwohner nicht genau abbildet, ist offensichtlich. So sind beispielsweise Frauen deutlich unterrepräsentiert. Der Migrantenbeirat wirft nun den Fokus auf eine andere Bevölkerungsgruppe. In einem Brief an die Fraktionen fordert das Gremium mehr Vielfalt in den Parlamenten – und wünscht sich Engagement sowohl seitens der Migranten als auch der Parteien.
Der Migrantenbeirat Leipzig fordert in einem Brief an die Fraktionen des Stadtrates mehr Migranten in den Parlamenten. Sowohl Migranten als auch die Fraktionen müssten entsprechende Anstrengungen unternehmen, heißt es in dem Schreiben, das nach Angaben des Migrantenbeirates am Montag, den 25. Juni, verschickt wurde.
Der Leipziger Migrantenbeirat existiert seit 2009 und hat die Aufgabe, die Sichtweisen und Anliegen von Migranten deutlich zu machen und deren politische Teilhabe zu fördern. Der Stadtrat beschäftigt sich immer wieder mit Anträgen des Gremiums, zuletzt etwa zu einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne zu Diversität und verpflichtenden Weiterbildungen für städtische Bedienstete in interkulturellen Kompetenzen. Sechs Vertreter der Fraktionen und 16 andere Leipziger gehören dem Migrantenbeirat an.
In dem Brief an die Fraktionen wird argumentiert, dass in vielen Parlamenten – unter anderem der Bundestag – Migranten nicht so stark vertreten seien wie sie es in Anbetracht des Anteils an den Einwohnern eigentlich sein müssten. So gebe es im sächsischen Landtag beispielsweise nur einen Abgeordneten mit Migrationshintergrund.
Der Migrantenbeirat ruft einerseits die Migranten dazu auf, aktiv zu werden: „Wir brauchen Migrant*innen, die sich engagieren und auch bewusst den Schritt in die Politik gehen, um Gesellschaft politisch mitzugestalten – in allen demokratischen Parteien!“ Andererseits sieht das Gremium aber auch die Parteien in der Pflicht: „Es braucht eine offene und ehrliche Selbstauseinandersetzung in Bezug auf Parteistrukturen, Grundhaltung, Arbeitsfelder, Außendarstellung, Vielfaltsorientierung und Personalgewinnungsstrategien: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie schaffen wir das? Das sind grundsätzliche Fragen, mit denen sich alle Parteien proaktiv auseinandersetzen müssen.“
Die L-IZ dokumentiert im Folgenden den kompletten Brief:
E r k l ä r u n g
Mehr Stadträte und Abgeordnete mit Migrationsgeschichte!
Der Mediendienst Integration hat recherchiert, dass im 19. Deutschen Bundestag nur etwa 8 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund haben. 2017 lebten hingegen rund 18,6 Millionen Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte in Deutschland. Das entspricht rund 22,5 Prozent der Bevölkerung. Eine Studie des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 2011 zeigt zudem auf, dass die Situation in deutschen Stadtparlamenten nicht besser ist. Gerade einmal 4 % der insgesamt 4670 Stadtratsmitglieder waren Migrant*innen. Menschen mit Migrationshintergrund sind also im neuen Bundestag, der 709 Abgeordnete hat, und auch in den Stadträten stark unterrepräsentiert.
Schauen wir nach Sachsen. Hier stellt sich die Situation noch gravierender dar. Im Freistaat leben mittlerweile 267.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung betrug somit 6,5 Prozent. Die Anzahl an Abgeordneten mit Migrationshintergrund beträgt hingegen genau 1! Es handelt sich um ein CDU Mitglied, das aus Rumänien stammt. In Leipzig liegt der Anteil an Migrant*innen bei 13,4 %. Die Situation im Leipziger Stadtrat ist dennoch kaum besser.
Eine Demokratie muss den Anspruch haben, die Bevölkerung adäquat zu repräsentieren. Entsprechend gehören auch Menschen mit Migrationshintergrund in die gewählten Versammlungen und Repräsentationsorgane. Ihre Teilhabe an politischen Entscheidungen und ihr Zugang zu (gesellschafts-) politischer Macht ist ein Indiz für die Chancengleichheit einer Demokratie.
Obwohl wir eine vielfältige Gesellschaft mit einem gestiegenen Anteil an Migrant*innen in Leipzig und auch Sachsen haben, bilden die parlamentarischen Vertretungen dies nicht ab. Wir brauchen Migrant*innen, die sich engagieren und auch bewusst den Schritt in die Politik gehen, um Gesellschaft politisch mitzugestalten – in allen demokratischen Parteien!
Allerdings müssen sich auch die Parteien bewegen. Es braucht eine offene und ehrliche Selbstauseinandersetzung in Bezug auf Parteistrukturen, Grundhaltung, Arbeitsfelder, Außendarstellung, Vielfaltsorientierung und Personalgewinnungsstrategien: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie schaffen wir das? Das sind grundsätzliche Fragen, mit denen sich alle Parteien proaktiv auseinandersetzen müssen.
Es braucht in unserer Gesellschaft und auch in den Parteien dringend ein Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit unserer Gesellschaft und eine wertschätzende Haltung ihr gegenüber. Eine solche Perspektive steht nicht im Widerspruch zu wertkonservativen Grundhaltungen. Sie ist vielmehr Bedingung für zukunftsgerichtete Prozesse. Wir brauchen keine weiteren Lippenbekenntnisse und nach außen gerichtete Appelle oder „Quotenmigranten“, sondern tatsächliche Teilhabe und Partizipation – auch in den Parteien und Parlamenten.
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