Es ist erstaunlich in diesen wilden Zeiten: Auf einmal stellt die große konservative Tageszeitung F.A.Z., die seit Jahrzehnten nur von Männern herausgegeben wird, kluge Fragen. So wie am Montag, 19. Februar: „Eine Partei liegt am Boden – und eine Frau soll die Trümmer aufräumen: Gibt es Parallelen zwischen dem Aufstieg der Kanzlerin und dem von Andrea Nahles?“

So zu lesen im Beitrag „Merkel und die gescheiterten Männer“. Und man denkt kurz an die vielen Geschichten von Männern, die versucht haben, sich gegen Angela Merkel zu profilieren. Und dann abtraten. Im Unsichtbaren verschwanden. Und man denkt an viele bissige Kommentare, die Männer dazu schrieben und die den Eindruck erweckten, Angela Merkel sei eine besonders perfide und machtbesessene Frau.

Aber nun kommt bei der SPD Andrea Nahles – und auf einmal ändert sich der Blick.

Wahrscheinlich tragen die Hornochsen auf den Straßen auch bald Schilder mit dem Spruch drauf: „Nahles muss weg“.

Es passt schon zusammen. Aber es passt nicht so zusammen, wie es diese vergrämten, ungeliebten alten Männer die ganze Zeit erzählen.

Was einem wahrscheinlich erst auffällt, wenn man sich wirklich mit der Art beschäftigt, wie Männer seit Jahrtausenden Politik gemacht haben.

Oder – weil das so eben nicht stimmt: Wie patriarchalische Machtstrukturen Jahrtausende lang eine bestimmte Art Männer an die Macht gespült haben. Typen wie Cäsar, Napoleon, Dschingis Kahn, Iwan der Schreckliche … um nur die berühmtesten Nasen zu nennen, die ihre Macht und ihren Aufstieg mit Leichen gepflastert haben. Und die ihre Macht immer auf Abschreckung und Niederwerfung aufgebaut haben.

Dieser von außen, aus dem Theatersessel heraus so faszinierende Größenwahn, der stets aufs Engste verflochten ist mit einer gehörigen Portion Wahnsinn. Den Stoff findet man in Shakespeares berühmten Königsdramen. Es erstaunt schon, wie selten Shakespeare heutzutage inszeniert wird, obwohl solche Typen wie sein irrer Macbeth heute wieder auf Präsidententhronen hocken und Menschen wie Gesindel behandeln – die Typen nenne ich jetzt nicht. Jeder kennt sie. Jeder sieht ihnen zu dabei, wie sie auf anderen Menschen herumtrampeln, Demokratien zerstören, Schwächere verhöhnen und sich selbst für den Nabel der Welt halten.

Echte, formidable Kotzbrocken und Narzissten.

Und mittendrin diese Frau als Bundeskanzlerin, die seit 13 Jahren regiert, fast lautlos, ohne Überheblichkeit. Die vielleicht für etliche Schieflagen in unserem Land verantwortlich ist. Aber so einfach mag ich es mir nicht machen. Denn erstaunlicherweise gehen die meisten verkorksten Ministerialprojekte auf eitle Männer in ihrem Kabinett zurück.

Ich bin mir sogar fast sicher, sie hätte auf diese eitlen Karrieristen gern verzichtet, wenn es in ihrer Macht gestanden hätte, die Ministerien mit Menschen zu besetzen, denen sie wirklich kluge und verantwortungsvolle Arbeit zutraut. Denn wer ihr die ganze Zeit zuschaut beim Regieren, der merkt, dass sie es auf zutiefst weibliche Art tut. So, wie Millionen Frauen in diesem Land ihre Familien regieren. Denn die meisten unserer aufgeblasenen Kulturverteidiger wissen es eigentlich: Das Sagen zu Hause hat die Frau.

Und zwar nicht, weil sie sich besonders abgefeimte Methoden des Regierens angeeignet hat, sondern weil sie all die Dinge, die so eine Familie bei Laune halten, nur schafft, indem sie ihre Macht still, beharrlich und unnachgiebig ausübt. Und dabei immerfort kommuniziert. Ist vielleicht vielen Männern noch nicht aufgefallen. Und die, denen es aufgefallen ist, die flüchten ja bekanntlich gern in die nächste Kneipe, um sich über ihren „Hausdrachen“ aufzuregen.

Um dann sechs Stunden später zerknirscht und stinkbesoffenen wieder heimzuschleichen, weil sie ganz genau wissen, dass es ihre Angetraute ist, die den Laden zusammenhält, die die Küche putzt und dafür sorgt, dass etwas Leckeres auf dem Tisch steht.

Nein, heute ist nicht Valentinstag. Aber kaufen Sie ruhig Blumen!

Diese Frauen wissen, dass sie den Laden schmeißen. Und sie erwarten zu Recht auch etwas Anerkennung dafür.

Und Angela Merkel ist das sinnfällige Beispiel dafür, dass sich nicht die schreckliche Welt da draußen geändert hat, sondern unsere Gesellschaft: Die großmäuligen Kraftmeier von gestern reißen nichts mehr. Sie scheitern regelmäßig, wenn es um komplexe Konfliktlösungen geht. Sie würden nicht mal ein „Wir schaffen das“ in den Mund nehmen, weil sie nicht „Wir“ denken, sondern „Ich“.

Ihr Slogan lautet: „Macht ihr mal. Mich geht das nichts an.“

Deswegen ist seit 2015 so ein Gezeter im Land. Und es fällt auf: Es sind lauter überforderte Männer, die da zetern, Typen von altem Schrot und Korn, die sich öffentlich benehmen wie frustrierte kleine Jungen, denen Mama gerade ihr Spielzeug weggenommen hat: „Du wäscht dir jetzt die Hände und sitzt in drei Minuten am Mittagstisch. Und ich will kein Wort mehr hören, verstanden?!“

Ningel, ningel, ningel. Fußkratzen, Schmollen. Und dann gehen sie ins Bad und wischen ihre schmutzigen Hände aus Trotz an Mamas Lieblingshandtuch ab.

So sind diese Typen.

Nicht alle Männer sind so. Zum Glück. Es gibt auch welche, die es geschafft haben erwachsen zu werden. Die ihren Stolz auch mal in die Hosentasche stecken und mit anderen Leuten, die nicht ihre Parteifarbe haben, so reden, dass man hinterher etwas Gemeinsames hat. Es ist die weiblichere Art des Politikmachens. Und übrigens die erfolgreichere. Denn da steht dann ein Ergebnis, das alle mittragen können. Nicht so toll wie ein Triumphbogen in Paris oder eine Mauer nach Mexiko – aber es trägt. Es löst ein paar Probleme, bringt alle ein bisschen weiter. Und wenn man einmal drüber geschlafen hat, tut es auch nicht mehr so weh, dass man ein Stück weit von seiner Position abgerückt ist.

Weibliche Politik (und ich sage jetzt nicht, dass alle Frauen auch weibliche Politik können) besteht aus solchen Kompromissen, aus einem Austesten von Möglichkeiten, einem leichten Verbessern, kaum aus Ankündigungen.

Und dann denkt man noch ein wenig nach und merkt: Ja, überall, wo Angela Merkel eigentlich hätte größere Schritte machen können, haben ihr Männer vom alten Kaliber gegenüber gesessen und gesagt: „Mit uns nicht.“

Die Bosse der Kohleindustrie. Die Bosse aus den Bankenvorständen. Die Bosse der Autoindustrie. Die Bosse der Ärzteverbände. Die Bosse der Bauernverbände. …

Es lässt sich schlecht verhandeln, wenn hinter einem die kleinen Jungs quengeln, die ihr Spielzeug wiederhaben wollen.

Und so betrachtet erleben wir eigentlich einen völlig anderen Kampf, als uns ständig eingeredet werden soll. Wir erleben tatsächlich den verbissenen Kampf von konfliktunfähigen Männern, deren größte Panik es ist, dass die Welt weiblicher werden könnte.

Dass sie endlich anfangen müssten, erwachsener zu werden, ihre ganzen Kleine-Jungs-Attitüden abzulegen und mit anderen Menschen (und vor allem weiblichen) wie mit Gleichberechtigten zu sprechen. Respektvoll, einfühlsam, zuhörend und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Etwas, was Frauen sehr gut können. Als „schwaches Geschlecht“, das eine Auseinandersetzung in der Regel nicht mit Gewalt, Schlägen und Niederbrüllen beenden kann, sind sie dazu regelrecht gezwungen.

„Und es ist gut so“, sagt Klaus Wowereit im Hinterkopf.

Denn wenn Frauen mit dieser Methode keinen Erfolg mehr haben, wissen zumindest die aufmerksameren Männer, haben sie ein Mittel in der Hand, gegen das alle männlichere Auftrumpferei nicht hilft. Dann werden sie nämlich radikal und sagen: „Dann gehe ich …“

Und die Männer, die das schon erlebt haben, wissen, was dann passiert.

Dann werden sie so hilflos, wie sie sich nie im Leben gefühlt haben. Aus ihrem gepflegten patriarchalischen Größenwahn stürzen sie in ein Loch, aus dem sie dann meist ohne Hilfe von außen nicht wieder herausfinden.

Und deswegen haben die beleidigten Männer ihre eigene Partei gegründet. Und deswegen benehmen sie sich im großen Politiktheater wie Figuren aus Shakespeares Dramen und merken nicht einmal, dass sie damit alle Handlungsoptionen verlieren. Denn im Spiel bleibt nur, wer sich zurücknehmen kann, nachgeben, Kompromisse schließen. Man könnte es auch die europäische Art des Politikmachens nennen. Das, was wir uns nach 1945 so mühsam errungen haben.

Und auf das die Großkotze der neueren Diktaturen mit so viel Verachtung herabblicken. Sie möchten (West-)Europa schon gern so behandeln, wie sie ihre Frauen zu Hause behandeln.

Drohen wir ihnen dafür Dresche an?

Nein.

Lieber wünschen wir uns mehr Frauen in die Regierungen. Und mehr Männer, die die politische Kunst der beharrlichen Kompromisse gelernt haben.

Und Zeitungen, die begreifen, was sich da geändert hat. Und warum es fast immer Frauen sind, die die Bude aufräumen müssen, wenn die Männer mal wieder Rambazamba gespielt haben.

Die Serie „Nachdenken über …“

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Es gibt 2 Kommentare

Auch meiner Erfahrung nach gibt es unter Frauen genauso “A****l***er” wie unter Männern. Ich halte aber auch aus einem anderen Grund nichts von den Etiketten “weiblich” oder “männlich” für Politikstile: Frauen werden eben doch häufig anders kritisiert (von Männern ebenso wie von Frauen), es wird anders über sie geredet als über Männer, und das durchaus aufgrund des Geschlechts. Man ist m.E. im Denken und Reden über Frauen viel schneller bei “die ist nicht kompetent”, “die ist nicht durchsetzungsstark” (wegen der Hormone oder was auch immer) oder bei völlig unsachlichen Kritikpunkten wie “die ist nicht attraktiv”. Und das ist giftig für Diskussionen, im großen medialen Maßstab genauso wie auf der persönlichen Ebene. Diese Art und Weise, Frauen zu kritisieren, streicht zudem im Kontrast die “männlichen” Eigenschaften, wie sie auch im Artikel beschrieben werden, als positiv heraus, was wiederum die Männer, die sich einer sachlicheren und konsensorientierteren Vorgehensweise verschrieben haben, in ein schlechtes Licht zu rücken vermag. Deshalb würde ich mich freuen, wenn man sich von den Adjektiven “weiblich” und “männlich” in Bezug auf Politik- bzw. Führungsstile verabschieden könnte. “Vernunft- und konsensorientiert” statt “weiblich” trifft es doch z.B. eher.

Die Strukturen bestimmen, wer an die Macht kommt. Da Gift und Messer nicht mehr das Mittel der Wahl sind, sind andere “Qualitäten” gefragt. Vermeintlich zivilisiertere.

Die Vertreter der genannten Branchen sind Männer, weil die Branchen so dominiert sind. Und sie betreiben schlicht Lobby-Politik. Völlig unabhängig vom Geschlecht. Säßen dort Frauen, würden diese dieselbe Lobby-Politik betreiben. (So, wie die ehemalige Merkel-Vertraute Hildegard Müller als GFin des BDEW)

Ich habe Merkel persönlich nicht erlebt. Kenne nur Medienberichte. So, wie viele andere auch. Es ist ja Job der Medien darüber zu berichten. Möglichst wahrheitsgetreu.
Erlebt habe ich Frauen wie Köpping, Lantzsch, von Fritsch. Rücksichtlos, machtgeil, die persönlichen oder Interessen bedienend, die nicht erkennbar sind.
M.a.W., ich vermag keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen zu erkennen.

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