Endlich Dezember! Ich habe diesen Monat wirklich gern. Alles verschwimmt so ein wenig in der stimmungsvollen Illuminierung, man hat dieses diffuse Gefühl, als müsse man sich ein bisschen räkeln im Heimweh nach der guten alten Zeit, als Piercing noch Ohrlochstechen hieß und es ist einem fast nach ein wenig ungeschütztem SMS-Verkehr. Und das Grandiose ist, dass man das immer und immer wieder mitmacht – im Vollbesitz der Kenntnis, dass man im Januar aufwachen wird wie nach einer langen, langen Seitensprung-Nacht: verschwitzt, verkatert, schuldbeladen. Aber glücklich.
Allzu viel Harmonie macht mich aber auch immer ein bisschen skeptisch: Überall hört und liest man sie ja bereits wieder – die Worte „Schönen Advent!“ und „Frohe Weihnachtzeit!“. Manch einem gelingt es sogar, ein wenig zu vermitteln, er meine es ernst. Was aber steckt tatsächlich noch hinter diesen zur eher leeren Formel heruntergewirtschafteten Wünschen?
Ich bemühe mich in der Tat redlich, aber ich finde es hie und da schwierig, dem – was wir aus dem Jesus-Geburtstag gemacht haben – mit Emotionen irgendwelcher Art zu begegnen. Die Freude an der weihnachtlichen Begeisterung des Kindes mal ausgenommen.
In der öffentlichen Wahrnehmung kommt mir das Fest eher vor wie ein unverhältnismäßig und überdimensioniert vorbereiteter Geschlechtsakt mit einem prolongierten – da im November beginnenden – Vorspiel, bei dem am D-Day alle Beteiligten schließlich zusammentreffen, Geschenke wie Körperflüssigkeiten in einem rituellen mechanischen Herumgestochere austauschen, abrollen und die ‚Weihnachtsgans danach‘ inhalieren. Begleitet von unsäglich biederen, gefühligen Werbespots großer Lebensmittel-Ketten, die hier und da in irgendeiner Form zu beklagen scheinen, wie kalt und hektisch unsere Gesellschaft geworden ist, so dass bei EDEKA Oppa schon mal nichts Geringeres als das eigene Ableben vortäuschen muss, um die Mischpoke zusammenzukriegen.
Oder – wie in diesem Jahr – einem kleinen Roboter ein Lebkuchenherz an die kalte Brust heftet, der in der Zukunft irritiert nach der ausgewanderten Menschheit sucht, um diese dann in Gestalt einer optisch der Kelly-Family nachempfundenen Sippe zu finden, die ausgelassen scherzend und schmausend an einer Tafel Platz genommen hat, an der offensichtlich gerade Gebratenes und Gesottenes der Hausmarke kredenzt wird.
Bei REWE hatten sie im letzten Jahr allerdings den Vogel abgeschossen. Vermutlich die Gans: Untermalt mit dem Soundtrack „I will survive“ taucht dort eine modern wirkende junge rotierende Mutter im Stress auf, der noch zunimmt, als ihr der Alte mitteilt, dass seine Mutter zu Weihnachten anzurücken wünscht. Man sieht die junge Frau daraufhin zunächst entsetzt, später durch den Einkauf bei REWE zusehends entspannter, die Gans zubereiten. Sowohl sie als auch die Gans erscheinen schließlich hübsch gemacht am Festtisch, jede auf ihre Weise versteht sich. Der Kulminationspunkt wird damit erreicht, dass der Lackmustest durch die gestrenge Schwiegermutter vorgenommen wird, die letztlich mit dem sagenhaften Satz „Scheiße, ist das lecker!“ die bis ins Unerträgliche hochgeschraubte Spannung auflöst.
Ich fühl mich noch heute darob zutiefst verunsichert: Lebe ich noch unter den Menschen oder schon in Arkadien oder bin ich schon K-Paxianer, wenn mir das alles so jenseits einer Zeitgemäßheit vorkommt? So scheiße-lecker-altbacken, so jenseits jeglicher Idee? Abgesehen davon, dass seit der Wiedervereinigung für schmackhafte Speisen ausschließlich das unerträglich fingerableckbegleitete „lecker“ zur Verfügung zu stehen scheint, halte ich bei aller nachweisbaren Männerliebe dieses seltsame Frauenbild einer gänsebratenden Frau am Tage und einer Weihnachtsmann-Bunny-Kostüm-Tragenden in der Nacht als slightly unerfüllbar auf lange Sicht.
Vielleicht liege ich da aber auch „gans“ falsch.
Möge es das alles nicht sein für uns alle. Mögen meine Befürchtungen nichtig sein, dass die Zahl der seltsam entkernt wirkenden Mitmenschen, die richtungslos bis zur Unkenntlichkeit optimiert und gleichgeschaltet herumirren, dabei aber unheimlich aktiv wirken, beständig wächst.
Der alte Nietzsche soll mal gesagt haben: „So leben, daß du wünschen musst, wieder zu leben, das ist die Aufgabe.“ Ich will nicht ganz so dicke auftragen. Deshalb sage ich:
Ich wünsche allen eine Weihnachtszeit, dass man wünschen muss, eine solche wieder zu erleben. Das ist die Aufgabe.
Schönen Advent!
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