KommentarJetzt hab ich mir schon meine blauen Augen geholt. Leo, wie kannst du nur! Lichtfest ist wichtig! Bist doch sonst auch gern hingegangen. Geb ich zu. Bin ich. Vielleicht am gernsten von Allen. Aber manchmal ist das so im Leben. Wissen Sie ja selbst. Da hat man so ein Gefühl, dass man eigentlich was verpasst hat. Irgendwie nicht rechtzeitig aufgestanden ist und tschüss gesagt hat. Schön war die Zeit. Aber das ganze Leben lang „Schön war die Zeit“? Nein. Nicht wirklich. Das Lichtfest muss ohne mich auskommen.
Ich geb’s auch zu. Es war eine Meldung, die jetzt noch reinflatterte. So ein Stück Nachricht über Awards und Marketinggewinnertypen, bei dem ich früher, in naiveren Jahren, losgewetzt wäre und dem Chef vons Janze das Mikro unter die Nase gehalten hätte. Um dummdreist zu fragen: „Nu sachense uns mal, wie haben Sie das nur wieder gemacht!?“
Ich weiß. Jüngere Kollegen machen das heute noch. Und Cheffe holt ernsthaft Luft und sagt, wie toll er die Statistiken ausgewertet hat und wie er eine richtig toughe Projektperformance hat organisieren lassen („Wirklich toll von den Mädchen“) und wie man die Jury bearbeitet hätte und eingeladen und gezeigt. Auf dem großem Augustusplatz zum Beispiel, der großen Stadt-Bühne, auf der diese nette kleine Revolutions-Gedächtnis-Limousine nun seit acht Jahren sich selbst feiert.
Was ich damals auch schön fand. Geb ich zu. Mein Herz glühte vor Begeisterung, meine Augen schwommen davon und meine Finger verbrannte ich mir selbstverfreilich an der Kerze, mit der ich meine Rührung wie alle anderen zum Ausdruck brachte.
Denn im Kopf war das noch lange nicht, dass unser glorreicher Herbst damals schon 20 Jahre her war. 20 kurze, sehr kurze Jahre, durch die ich wohl gewetzt bin wie alle anderen auch, regelrecht berauscht davon, dass „die Freiheit wohl grenzenlos“ war. Und noch immer war. Und keiner dran herumschnibbelte.
Es hatte so was Seliges. Da passten die Lichter schon.
Die 89 glühte in unserer Brust, wir waren hin und regelrecht weg vor Andächtigkeit. Dass ich so was noch erleben durfte. Schee wars. Erst recht, weil wir wie anno damals freudetrunken um den Ring herumlaufen durften, was einst noch ein Geschenk war. Ein volksfestliches. Ein ganzer Abend zum Händeschütteln, Hallo-Rufen und Umarmen, weil man da Leute wiedertraf, die hatte man 20 Jahre lang nicht gesehen vor lauter Geschäftigkeit.
Aber irgendwann wurde diese Gefühl ein bisschen wurmstichig. Nicht beim zweiten und dritten Mal. Da freute ich mich einfach, wie ausdrucksvoll unsere Balletteure tanzen können und wie die alten Schwarz-Weiß-Filmschnipsel noch immer wirken. Ich geb’s ja zu. Das sitzt im Zwerchfell irgendwo: Dass wir damals so tapfer waren, das wärmt mich heute noch. Das war ein Moment wie keiner davor.
Und heute weiß ich: Auch wie keiner danach. (Außer einer, aber den verrat ich nicht.)
Man sollte bei schönen Erinnerungen nicht ins Grübeln kommen. Aber irgendwann war der Wurm drin. War das vor drei Jahren, als man auch Gäste aus unseren befreundeten Revolutionsbruderländern einladen wollte und das auch tat? Aus Polen, der tschechischen und der slowakischen Republik und aus Ungarn. Aber Ungarn war damals schon komisch. Und nicht nur ich hatte einen Kloß im Bauch, während auf den Dächern Scharfschützen lagen.
Wieso feiern wir, wenn diese Regierung da unten schon wieder alles auf den „Müllhaufen der Geschichte“ zu werfen bereit war? In Polen war ja noch alles gut.
Aber dann im nächsten Jahr, da war dann irgendwie WM-Vorspiel und auf der Bühne wurden die Herren Bierhoff und Niersbach interviewt, als wenn das Lichtfest eigentlich nur eine PR-Veranstaltung für irgendetwas war, mit dem ich selbst nicht mehr viel zu tun hatte. Das fand ich schon befremdlich. Das Lied „Die Gedanken sind frei“ hab ich dann heimlich mitgesummt. Und nur so ein dummer Gedanke im Hinterkopf hat seinerseits gesummt: Siehst du, jetzt summst du es wieder, denkst dir deins und sagst es nicht.
Ich wollte ja keinem die Stimmung verderben. Obwohl meine Stimmung längst verdorben war. Wenn so eine Bühne zur Fernsehshow wird, hab ich immer das menschliche Bedürfnis, auf der Fernbedienung den roten Knopf zu drücken.
Na ja, und das seltsame Gefühl beschlich mich auch letztes Jahr, als Martin Schulz in Leipzig wie ein Held gefeiert wurde. Irgendwie. Na so was, dachte sich mein altes freudsches Zweit-Ich:
„Die Gedanken sind frei …“
Sind sie auch. Ich war schon skeptisch, als angekündigt wurde, dass sich die Bühne diesmal wieder in eine Art Fernsehbühne verwandeln würde, auf der moderiert wird und Leute zu ihren Erinnerungen an damals und danach befragt werden. Weil’s sonst vergessen werden würde, meinte zumindest Claudius Nießen, der das Ganze irgendwie moderieren wird.
Das Ganze ist also jetzt im Fernseh-Doku-Format angekommen.
Geh trotzdem hin, sagt mein innerer Schweinehund. Aber die Luft ist raus. Ich kann das nicht mehr. Das hat nichts mehr mit mir zu tun. Was vielleicht seinen Grund hat. Vielleicht genau in dieser Meldung, zu der ich dann wirklich keine Lust mehr hatte, irgendetwas Menschelndes zu machen.
Da menschelt nichts mehr. Das Ding ist zu einem Marken-Event geworden. Eine Erinnerung, die sich gut vermarkten lässt. Vielleicht auch eine Inszenierung von etwas, von einem Gefühl, das mir jedes Mal mehr abhanden kommt. Vielleicht, weil ich zu unserer Geschichte nicht so ein sentimentales und aufgetakeltes Verhältnis habe. So ein romantisches.
Ich geh nicht mehr hin. Schickt einen begeisterten Jungspund hin, wenn ihr einen findet. Ich lad ein paar alte Kumpels ein in unsere Lieblingskneipe. Da singen wir den ganzen Abend an diesem 9. Oktober 2017 „Die Gedanken sind frei“. Mehrstimmig. Gelernt ist gelernt. Wird bestimmt ein schönerer Abend.
Die Gedanken sind frei, Arr.: Oliver Gies, VOICES – Landesjugendchor Vorarlberg, Youtube.
Lichtfest 2017: Die Luft ist raus + Audio vom 10. Oktober 2017
Die Meldung zur neuen Preisnominierung für das Lichtfest:
Expertenjury nominiert „Lichtfest Leipzig“ für Kulturmarken-Award
Am 29. September wurde die Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH mit dem alljährlich stattfindenden Lichtfest Leipzig für den Kulturmarken-Award nominiert. Für den 12. Europäischen Kulturmarken-Award gab es insgesamt 104 Bewerber. Nun wurden 22 Projekte in verschiedenen Kategorien im Wettbewerb um den wichtigsten Preis im Kulturmarkt auserwählt. Das Lichtfest Leipzig ist in der Kategorie „Preis für Stadtkultur 2017“ einer von drei Finalisten. Dieser Preis zeichnet vorbildliche Impulse in Städten in Form von Projekten, Aktionen oder Kampagnen aus, die die Stadtkultur als Kultur des städtischen Zusammenlebens begreifen und fördern.
Das Lichtfest Leipzig steht dabei im Wettbewerb mit dem Zukunftslabor Kultur (Kulturamt der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart) und der Jubiläumsveranstaltung 250 Jahre Goldstadt Pforzheim (Stadt Pforzheim). Am 9. November werden in Berlin die Preisträger in den insgesamt sieben Kategorien mit der Aurica, einer 23 Zentimeter hohen Bronzestatue, ausgezeichnet.
Das Lichtfest Leipzig blickt bereits auf eine Reihe herausragender Auszeichnungen zurück – mit dem Kulturmarken-Award würde ein weiterer Preis dazukommen: 2015 Famab Award in Silber in der Kategorie „Best Cultural Event“ für das Lichtfest Leipzig 2014, 2015 Europäisches Festival der Tourismusförderung in Rueil-Malmaison – 1. Preis in der Kategorie Veranstaltungsstrategie, 2011 Stiftung Lebendige Stadt – Auszeichnung der Stiftung im Rahmen des Stifterpreises 2011 „Unverwechselbare Stadt“, 2010 Eurocities Award – Kategorie Partizipation und Identitätsbildung der Stadt (Nominierung), 2010 Eva Award Bronze in der Kategorie „Cultural Events“ für herausragende Maßnahmen in der Live-Kommunikation, 2008 Internationaler Deutscher PR Preis – Sonderpreis der Jury zur „Nacht der Kerzen“
Hintergrundinformationen: Der Kulturmarken-Award wurde im Jahr 2006 von den Kulturmanagern Hans-Conrad Walter und Eva Nieuweboer ins Leben gerufen und wird in diesem Jahr bereits zum 12. Mal verliehen. Unter dem Vorsitz von Professor Dr. Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V., wählte eine 38-köpfige Expertenjury aus Kultur, Wirtschaft und Medien am 29. September im Verlagsgebäude des Tagesspiegels 22 Nominierte aus 104 Bewerbern aus. Die Auszeichnung in der Kategorie „Preis für Stadtkultur 2016“ sicherte sich im vergangenen Jahr das MuseumsQuartier Wien.
Keine Kommentare bisher