Er kam spät, aber er kam. Noch auf der betonierten Fernstraße von Preußen gen Sachsen war Luthers Reise bereits das erste Mal beinahe zu Ende, als seine Reisekutsche nicht mehr starten wollte. In Berlin mit einem „Volksverhetzungs“-Bannfluch der Obrigkeit belegt, reiste der Reformator trotz Panne mutig weiter durch das Land seiner Protestanten und neuer Atheisten. Immerhin in Begleitung von Moses selbst – was konnte da schon schiefgehen – rollte er gegen 16:30 Uhr in Leipzig ein. Am Augustusplatz jedoch versuchten ihn erneut Büttel des Staates zu stoppen und zur Abkehr von seinem Weg zu zwingen. Doch der Reihe nach: Luther ein Antisemit? Moses in Leipzig? Und was hat das Spaghettimonster damit zu tun?
Gleich mit einer Doppelaktion meldete sich die „Giordano Bruno Stiftung“ zum Kirchentag 2017 in Leipzig erneut zu Wort. Ihre bereits bekannte Figur des drohenden Moses mit der dritten Steintafel wurde von einer neuen, vier Meter hohen Lutherfigur begleitet. Verlangte Moses, wie schon 2016 von den katholischen Gästen Leipzigs, nun von der evangelischen Kirche, sie solle gefälligst ihren Kirchentag selbst und nicht mit Steuergeldern bezahlen, hatte Luther etwas zu zeigen.
Zuerst einmal sich, wie Gott ihn schuf. An einer Stelle etwas unterproportioniert, doch da sei „das Material zu Ende“ gewesen. So die verschmitzte Auskunft am Rande. Doch jemand hat ihm seine eigenen Aussagen als Zitate auf den Mantel geschrieben. Seine dunkle Seite, die, über welche die evangelische Kirche neben Geld nicht so gern spricht. Vor allem nicht, wenn es Jubiläen wie ein großes 500-jähriges seit der Reformation zu begehen gibt.
Impressionen – Teil 1 (Fotos: L-IZ.de)
Hier stehen sie und können nicht anders
Macht nix, sagten sich die Frauen und Männer um Sprecher Maximilian Steinhaus, erzählen wir es eben, dann ist es auch getan. Unübersehbar noch dazu, denn eine Erfahrung hatten sie aus dem fernen Berlin bereits mitgebracht: Am zeigefreudigen Reformator einfach so vorbeigehen konnte auch heute in Leipzig niemand.
Mancher debattierte auch heftig (ist der Name Hitler einmal ausgesprochen, hat jeder was zu sagen). In der Hauptstadt jedoch war die Diskussion sogar derart gewesen, dass eine Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die Macher einging. Flugs bearbeitet und es wurde tatsächlich ein polizeiliches Platzverbot für ganz Berlin ausgesprochen.
Impressionen – Teil 2 (Fotos: L-IZ.de)
Heute meldete die Berliner Polizei jedoch Entwarnung, leistete zumindest schneller als zu Luthers Zeiten Abbitte, nahm das Platzverbot (natürlich einen Tag zu spät) zurück und bat um Entschuldigung. Giordano-Bruno-Sprecher Maximilian Steinhaus zur Aktion gegen Martin Luther in Berlin: „Auf der Rückseite von Luthers Mantel stehen seine 7 Forderungen, wie mit den Juden umzugehen sei. Die Polizei ließ sich unsere Broschüren zeigen und obwohl aus diesen klar hervorgeht, dass wir Luthers Positionen natürlich überhaupt nicht gutheißen, sprach sie ein berlinweites Verbot aus, die Figur zu zeigen.”
Steinhaus zur Begründung der Beamten: “Wir hätten uns nicht genügend von Luthers Forderungen distanziert und die Figur könne missverstanden werden. Wir können dazu nur sagen: Wir sind nicht diejenigen, die 250 Millionen Euro ausgeben, um Luther 10 Jahre lang zu feiern …“
Ein Filmchen zum Besuch Luthers in Leipzig
Quelle: L-IZ.de
Da hatte wohl jemand “weiter oben” neben der Ironie und der Kunstfreiheit den grundsätzlichen Ansatz der Aktion nicht ganz verstanden und sah das Volk verhetzt. Eine bessere Begründung für die Kunstaktion kann man letztlich kaum bekommen – die Stiftung zitiert Luther aus den Schriften seiner alten Tage, während andere die “Luther-Dekade” feiern. Ein unübersehbarer Hinweis, dass Luther nach junger Offenheit und Toleranz in seinen alten Tagen zu einem ziemlichen Antisemiten mutiert war, steht also auf dem Mantel.
Schaut man auf so manch heutigen Demagogen und einige geriatrische Demonstranten am rechten Rand, ein durchaus aktuelles Thema – natürlich oft ohne die Genialität und das Aufbegehren in jungen Jahren. Im Falle Luthers ein langlebiges Alterswerk – die Giordano Bruno Stiftung sieht Parallelen seiner Aussagen und den Taten der Nazis als Umsetzungen lutherischer „Altersweitsicht“ im dritten Reich.
Das Interview mit Maximilian Steinhaus (GBS) auf dem Augustusplatz
Quelle: L-IZ.de
Apropos Weitsicht
Auch in Leipzig sollte die Obrigkeit noch etwas zur Aufmerksamkeitssteigerung rings um die Aktion beizutragen haben. Am Augustusplatz eingetroffen, zeigte Luther, was er hatte und die Leute von der Giordano Bruno Stiftung ihre Genehmigungen der herbeieilenden Polizei. Diese rannte daraufhin auf und ab, prüfte, fragte und gab sich ahnungslos über den lange vorab angemeldeten Auftritt von Martin im Sommerkleid.
Eine Stunde später waren dann alle Dienstsiegel, Stempel und lang vorab beantragte Wegerechte für Martin und Moses von beiden Seiten begutachtet, ausgehandelt und abgenickt. Und endlich konnte der Reformator auch durch die Innenstadt Leipzigs rumpeln, Moses den Finger auch vor den emsig brummenden Ladengeschäften der Leipziger Innenstadt recken und die Passanten ihre Handys zum fotografischen Erinnerungsstück vom Kirchentag 2017 benutzen.
Impressionen – Teil 3 (Fotos: L-IZ.de)
Vorher gab es noch kurz einen Geldsegen von den anwesenden Steuerzahlern für den schönen Kirchentag in Leipzig an die evangelische Kirche (gerüchtehalber noch mal 950.000 Euro) und dann schob sich der Tross gen Marktplatz. Angesichts der Leere vor der dort aufgebauten und von kreuzförmig gestalteten Boxentürmen gesäumten Bühne wäre wohl auch ein Platz im Zentrum des unbenutzten Areals richtig gewesen.
So gab es Stehenbleiben, Staunen, Selfis mit Martin, Informationsblätter und Diskussionen halt vor der S-Bahnstation am Markt.
Und was hat das alles nun mit dem Spaghettimonster zu tun?
Nun, dieses und seine Anhänger erhoben heute ebenfalls das Haupt in einer ersten Pressemitteilung und forderten als gesetzlich anerkannter Kirchenverein im kommenden Jahr ebenfalls 1 Million Euro Veranstaltungszuschuss von der Stadt Leipzig. Der Antrag für die im kommenden Jahr geplanten Kirchensause werde in Bälde den Stadtrat erreichen, teilte Piraten-Frau Ute Elisabeth Gabelmann mit. Ob man auch Geld vom Land Sachsen erhält und vom Bund ist ebenfalls offen, doch bemühen wird man sich sicherlich. So wie es die katholische Kirche tat und die evangelische.
Immerhin locken hier ebenfalls weitere Millionen, getreu dem Motto: Wenn sich freundliche Menschen in Deine Wohnung zu einer Party einladen lassen wollen, gib ihnen neben kostenfreiem Obdach, reichlich Speis und Trank immer auch ein Wegegeld als Ablass auf erfüllte Anwesenheit und Partybauten. Denn wirtschaftlich wird es dein Schaden nicht sein. Und sei dabei nicht bang: Nur wer gibt, dem wird gegeben und Reiche kommen niemals himmelwärts.
Impressionen – Teil 4 (Fotos: L-IZ.de)
Oder wie der fliegende „Bruder Spaghettus“, Vorsitzender seiner Monsterkirche laut „Schwester Farfalle“ alias Gabelmann, den Antrag auf finanziellen Begleitschutz im kommenden Jahr begründet: „Unser Antrag baut sich genau nach den gleichen Maßstäben wie der der Großkirchen auf. Somit werden alle Gründe, die zur Bestätigung von deren Anträgen führten, auch für uns zutreffen. Auch die Antragshöhe wird hochgerechnet unseren Mitgliederzahlen und den zu erwartenden Besuchern entsprechen.“
Wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Gleichbehandlung aller Religionen geht Gabelmann nunmehr davon aus, dass der Antrag positiv beschieden wird: „Ich denke, dass auch die Stadt Leipzig den hohen Mehrwert erkennen wird, der von einem solchen bundesweiten Kirchentreffen ausgeht. Dass niemand eine Klage wegen Ungleichbehandlung der Weltanschauungsgemeinschaften riskieren möchte, ist meine feste Überzeugung.“
Deshalb Überzeugungen am Schluss
Bevor 2018 das Spaghettimonster über Leipzig fliegen könnte, gibt es noch ein wenig Reiberei um Martin Luther in Leipzig. Bereits am Samstag, den 27. Mai 2017, wird die Partei DIE PARTEI ab 13 Uhr unter dem Motto „Wer Juden hasst, hat Luther verstanden“ demonstrieren. Es steht demnach zu vermuten, dass auch 2018 eine weitere Aktion auch gegen die neue Kirchenveranstaltung des Spaghettimonsters von dieser Seite nicht ausbleiben könnte – es gibt bereits erste Anzeichen von Kritik – vor allem wegen des Gottesbeweises selbst, der in dieser Kirche vorausgesetzt wird.
Auch Moses wird wohl wiederkommen müssen und den Finger heben, wenn es die Leipziger Stadträte in der Abstimmung auch wieder tun sollten. Vielleicht selbst dann nicht zum letzten Mal. Denn der Religionsgemeinden gibt es viele in Leipzig und gläubiges Besucherpotenzial lauert überall, während neuzeitliche Reformatoren selten sind.
Der bislang in Deutschland bekannteste ist morgen in Wittenberg mit weit geöffnetem Mantel zu Gast und wird dort für Wirbel sorgen. Während man ihm in Leipzig in Abwesenheit erneut Antisemitismus vorwerfen wird.
Die aktuelle LEIPZIGER ZEITUNG “Glauben oder Wissen”, Ausgabe Mai 2017
Leipziger Zeitung Nr. 43: Leipzig zwischen Wissen und Glauben
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