Während die Natur gerade ihr Bestes gibt, um uns mit allem zu versöhnen, was Januar-Arglistiges und Februar-Böses hinter uns liegt, ist Christine Kaufmann gestorben. Die schöne, grazile Schauspielerin mit den vielen Lebensfacetten, von der auch ganz Uninteressierte wenigstens irgendwie wussten, dass sie mal mit Tony Curtis verheiratet gewesen sein muss, obwohl Kaufmann weitaus mehr ausmachte. Geschenkt.
Die Zeitungen spielen auf der ewig gültigen Klaviatur, so scheint’s: Es genügt nicht, verheiratet gewesen zu sein. Es muss schon der richtige Falsche gewesen sein. Erst dann kriegt man den profunden Halbinteresse-Status der Medien verliehen, erst dann ist man die Diva.
Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dieser von der Kulturgeschichte derart strapazierten Etikettierung? Wirklich nur eine mit außergewöhnlichem Talent gesegneten, aber ansonsten launenhafte, kapriziöse Frau, die männerverschleißend (und ihre übrige Umwelt mit Sonderwünschen schikanierend) die Kreuzfahrt des Lebens vorwiegend in Luxuskabinen meistert? Aus den Augenwinkeln betrachtet, ist man vielleicht geneigt zu sagen: „Ja. So ist es wohl.“ Diven waren und sind eben solche weltentrückten Wesen mit häufig wechselnden Begleitern, die ständig ruhelos zwischen Europa und Übersee hin- und hertingeln, mit Hutschachteln, Schrankkoffern und einer Entourage an Helfern und Helfershelfern, um sagenhaft elegant über den roten Teppich zu schreiten. Manchmal kreischt die Mittelmäßigkeit dann, manchmal fragt sie: „Die hält sich wohl für etwas Besonderes?“, unangenehm ahnend, dass dies sogar zutreffen könnte.
Ist eine Diva tatsächlich nur, über den man einmal kurz plaudert, wenn er in den Klatschspalten des Boulevards aufgetaucht ist, über den man sich ein paar Tage zu echauffieren pflegt, wenn eine fünfte Ehe oder Entziehungskur erneut zu scheitern wusste?
Das Schlimmste daran: Man wähnt sich dabei sogar völlig integer, denn: Ein erwachsener Mensch, der sich vom Publikum freiwillig in die Nähe der Götter rücken lassen hat, ist selbst für sich verantwortlich. Der wollte es schließlich so. Hinzu kommt meist noch ein göttliches Portemonnaie.
Da hat man gefälligst auszuhalten, dass man als Projektionsfläche für die Träume von Lieschen Müller und Max Mustermann zu jeder Tages- und Nachtzeit mit dem Vergrößerungsglas angespechtet werden darf.
Ich fürchte nur, dieser Vertrag ist nur vordergründig ein beidseitiger. Besieht man sich die Biographien von Berühmtheiten, die den Stempel Diva aufgedrückt bekamen, einmal synoptisch, so fällt doch eines auf: Sie alle waren strahlend, schön, charismatisch, vorsätzlich selbstbewusst, oft mit einer Brise Unglücklichsein versehen. Das liebt das Publikum besonders. Was es aber nicht sehen will, sind die wirklichen Leben dahinter, die nicht selten aus einer unheilvollen Mischung an Bewunderungssucht und Einsamkeit zu bestehen schienen. Die frühen Tode, die exaltierten Rückzugsmethoden aus der Öffentlichkeit und die Selbstmorde sprechen ihre eigene Sprache. Aber erst wenn einer geht, sind wir wieder emotional dabei. Da schaue(r)n wir hin, klar.
Je mehr man sich jedoch mit den Leben schillernder Diven von Marlene Dietrich über Zarah Leander und Maria Callas bis hin zu einem Rudolf Mooshammer beschäftigt, desto mehr möchte man eine kollektive Entschuldigung vorbringen. Man möchte um Verzeihung bitten dafür, dass man den – zugegebenermaßen oft meisterhaft dargebotenen – Verschleierungsstrategien auf den Leim gegangen ist. Dass einem das Spiel gefiel und nicht der Mensch dahinter, weil man den gar nicht sehen wollte.
Was muss es für ein Leben sein, das eine ständige Spirale ist zwischen dem Erhaschen von Aufmerksamkeit und der Angst, diese zu verlieren? Der sich ständig vergrößernden Angst vor Falten, Fett und Feindiagnostik? Wie muss es sein, einen kontinuierlichen Kampf zu führen, um ein Bild von sich zu konservieren? Der per se nur ein Kampf sein kann, den man verlieren muss?
Vielleicht neigt der Mensch dazu, sogar Mitleid zu dosieren. Wir bemitleiden schließlich lieber Menschen, die ihr eigenes Unglück, ihre Krank- oder Versehrtheit nicht selbst verschuldet haben. Und möglicherweise ist Mitleid auch nicht das korrekte Gefühl, das den „Auf-den-Olymp-Gelangten“ unter uns gebührt. Mitgefühl aber schon. Mitgefühl kann man niemals überdosieren und den Wunsch, es möge Menschen in deren Umfeld geben, die hinter die Fassade gelangen und trotzdem bleiben, auch nicht. Und ein bisschen mehr Mut zur Widersprüchlichkeit im Leben eines Menschen. Der einstige Showstar Zarah Leander zum Beispiel beschloss sein Leben mit der Begleitung von Kaffeefahrten. „Zur Rheumadecke gibt es die Leander“, hieß es da nur noch.
Man verbeuge sich deshalb gerade in diesem Abschnitt des Lebens vor dem Menschen, der Diva. Die vielleicht nicht mehr, aber auch nichts weniger ist als ein Mensch mit unstillbarer Sehnsucht nach Liebe.
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