Über Macht haben wir gerade ein wenig nachgedacht – noch nicht ganz bis zu dem Punkt, an dem es um die Frage geht: Was macht Macht eigentlich mit denen, die sie haben? Oder glauben, zu haben? Wie verändert sie diese Leute? Augenscheinlich untersucht das niemand. Ist das den Soziologen, Politologen und Psychologen zu poplig? Oder haben sie da ein Problem? Sind ihnen die Mächtigen zu gefährlich? Reden wir da über ein Tabu?

Ich vermute es stark. Wenn man nach Informationen zur „Psychologie der Macht“ sucht, findet man Berge von Titeln und Büchern. Aber praktisch alle sind Ratgeber für Leute, die Macht und Einfluss haben wollen, die Karriere machen wollen … ein erstaunliches Wort, das auch eine seltsame Wandlung durchgemacht hat. Heute klebt es an jedem simplen Berufsleben. Jede Stellenvermittlungsbörse wirbt mit „Karriereangeboten“, auch wenn es nur um simple Büro- oder Fließbandarbeit geht.

Früher galt das Wort ausschließlich beruflichen und anderen Aufstiegen in hohe Positionen – also in Machtpositionen. Wer es hinauf geschafft hatte, hat Karriere gemacht. Die Geschwindigkeit steckt auch noch drin, denn das Wort kommt aus dem Französischen und heißt eigentlich Rennbahn. Was ja für viele Menschen die Jagd nach Posten, Einfluss und Geld oft ist. Und um richtig schnell zu sein, muss man boxen und die Ellenbogen benutzen, sonst wird das nichts. Die besten und bestbezahlten Jobs bekommt man nur mit einer gepfefferten Prise Rücksichtslosigkeit.

Was einer der Gründe dafür ist, dass man da oben Frauen ziemlich selten findet. Diese Art sich hochzuboxen ist eher nicht ihr Ding. Man findet auch andere Leute dort nicht. Denn diese Aufstiege sind keine Automatismen, sie setzen ein ganzes Bündel besonderer Eigenschaften voraus. Die niemand gern untersucht. Außer vielleicht die Anbieter von Managerseminaren, wo man Leidensfähigkeit, „Teamwork“ und andere wichtige Fähigkeiten trainiert – nebst ein paar harten Fähigkeiten, nämlich: Wie man mit allen Mitteln sein selbstgestecktes Ziel erreicht.

Dass das auch Persönlichkeiten prägt, vergisst man meist. Genauso, dass diese auf konsequente Zielerreichung trainierten Personen natürlich den ganzen Laden prägen. Und damit die kleine und die große Gesellschaft.

Nur so als Zwischenbemerkung: Das ist unsere Elite von heute. Wir sollten wirklich darüber nachdenken. Denn was bringt es, an solche Leute zu appellieren, sie sollten etwas ändern an ihrer Art, Wirtschaft oder Politik zu machen? Sie haben es doch nicht anders gelernt.

Und noch etwas merkt man, wenn man sich – wie Harald Martenstein – ein wenig distanzierter mit dem Thema beschäftigt: Diese Leute sind sich ihrer Macht nicht nur bewusst, sie lassen es alle Anderen auch spüren. Oft mit ganz feinen Nuancen, oft auch mit regelrechter Verachtung.

Martenstein hat in der „Zeit“ mal ein wenig darüber nachgedacht, warum die vielen „kleinen Leute“ heute eigentlich so rebellisch sind und mit ungeheurem Trotz Front National, AfD oder Donald Trump wählen – die allesamt vor allem auch mit Eliten-Bashing auftreten. Was ja scheinbar unverständlich ist. Trump ist selbst ein Großkotz aus der schwerreichen Elite, die AfD hat ein knallhart elitäres Wirtschaftsprogramm. Warum also?

Harald Martenstein sieht eine Antwort im fehlenden Respekt. Er kommt dann gleich wieder auf die 68er zu sprechen und vergleicht die Revolte der heute besorgten Bürger mit der Revolte von 1968. Wo er wahrscheinlich fehlgeht. Auch wenn seine Grundanalyse wahrscheinlich stimmt. Auf etwas diffizilere Art. Ich glaube nicht, dass es die Überreizung mit all den Formen der „Diversity“ ist, wie Martenstein es nennt, diese Aufwertung von bunten Verschiedenheiten in unsere Gesellschaft, die den Frust erzeugt. Denn dass die da sind, ist ja unübersehbar. Aber das überblendet nur die Tatsache, dass tatsächlich über die großen Transformations-Ängste und -zwänge in unserer Gesellschaft nicht geredet wird. Über die Überforderungen, denen nicht nur Minderheiten ausgesetzt sind, sondern auch Mehrheiten.

Und die Wahrheit ist: Allen westlichen Gesellschaften wurde in den vergangenen 35 Jahren eine Rosskur auferlegt. Millionen Menschen haben Gewissheiten, Jobs und Besitzstände verloren. Und sie werden dabei meist behandelt, als wären sie nur zu dumm, zu phlegmatisch und zu unflexibel, jetzt schnell umzulernen, sich völlig neu zu erfinden, schnell mal den Jobs hinterher zu ziehen und sich die blöde erste Million zu verdienen.

Wer in Deutschland ein bisschen zugehört hat, der hat die ganzen Worte von Leistungsträger über Flexibilität, Mobilität bis hin zu „Lebenslangem Lernen“ noch im Ohr. Sie sind noch immer allgegenwärtig. Und das haben viele Menschen auch auf sich genommen, oft für miserabelste Bezahlung und mit der Aussicht auf eine hundsgemeine Rente. Forderungen und Erwartungen gab es Viele. Und die Angst, einmal nicht mehr mithalten zu können und dann ganz nach unten durchzufallen, ist allgegenwärtig. Auch und gerade da, wo man heute „die Mitte“ vermutet.

Geworben haben sie alle um diese „Mitte“. Aber dann?

Dann kam da nichts weiter. Man machte einfach Politik wie bisher und empörte sich dann in den Talkshows über die Empörten. Wahrscheinlich hat Martenstein recht, wenn er feststellt: Diese Leute möchten eigentlich vor allem Respekt. Wobei es nicht nur um die Gesprächsunfähigkeit vieler mächtiger Politiker geht, die zwar Ressentiments zu nutzen verstehen, denen das Leben der kleinen Angestellten aber ansonsten egal ist. Warum nachdenken darüber, wie man Menschen wieder das Gefühl geben kann, respektiert zu werden?

Wie macht man das? Wie stellt man so etwas an?

Oder muss sich Politik dafür selbst gründlich ändern?

Wahrscheinlich muss sie das. Denn wenn die Analyse stimmt, dann leben Wahlbürger immer auch in einer Erwartung an Politik, vielleicht einer sehr diffusen. Denn bis ein paar wütende Sachsen auf die Straßen gehen, weil die sich verarscht und/oder überfordert fühlen, muss ja etwas vorhergegangen sein. Eine komplette Nicht-Kommunikation über Jahre. Da hat jemand nicht mehr geredet, die kleinen Bürger eher nur als braves Wahlvolk betrachtet, nicht als jemanden, mit dem man ab und zu reden müsste. Mit dem man sich abstimmen müsste.

Ergebnis: Politik wird nicht (mehr) als gemeinsames Projekt verstanden, sondern als Eigentum derer „da oben“, eines Establishments, das nicht mehr mit „denen da unten“ kommuniziert. Martenstein lässt zumindest zwischen den Zeilen anklingen, dass er auch die üblichen Berichterstatter in den Medien für einen Teil des Problems hält, lauter studierte Leute, die mit schnellen Erklärungen sofort bei der Hand sind und schon wieder ganz genau wissen, warum Donald Trump gewonnen hat und warum ihn die wütenden kleinen Leute gewählt haben. So, wie sie in Polen, Ungarn, Österreich, den Niederlanden für Populisten stimmen.

Da ist etwas ins Rutschen gekommen. Denn was passiert mit Menschen, die sich nicht mehr respektiert fühlen?

Die im Gegenteil nun sogar schon ein paar Jahrzehnte Erfahrung gesammelt haben, wie das ist, wenn man nicht respektiert wird und nicht nur von staatlichen Behörden als Bittsteller behandelt wird (der trotzdem bitteschön pünktlich seine Steuern und Abgaben abzuliefern hat, aber pünktlichst, sonst rappelt’s im Karton), sondern auch von den Leuten, die er selbst gewählt hat. Oder auch nicht. „Ändert ja eh nichts.“ Der Spruch geistert nun schon so lange herum, dass man durchaus mal hellhörig werden dürfte.

Oder das andere Geschoss, das in den Foren vor sich hinbrodelt: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, hätte man sie längst abgeschafft.“

Dieses „man“ verwies schon immer auf die riesige Distanz derer „da unten“ zu denen, die oben  … ja, was eigentlich?

Übrigens verweisen auch die ganzen Hitschfeld-Studien aus Leipzig auf diesen Aspekt institutionalisierter Respektlosigkeit. Das Bemühen, Akzeptanz für politische und wirtschaftliche Projekte zu erarbeiten, ist kaum sichtbar. Man redet gern von Teilhabe – aber man lässt sich nicht in die Karten gucken. Mit einer ziemlichen Menge fauler Ausreden (privatwirtschaftliche Interessen, Geheimnisschutz, Interessen Dritter, Regierungshandeln, Nichtzuständigkeit u. s. w.).

Hitschfeld gibt zumindest immer wieder ein paar Tipps, wie man Akzeptanz herstellen könnte. Frühzeitig. Was auch eine deutliche Respektsbezeugung wäre.

Aber es ist nicht sichtbar, dass das irgendwo Verständnis findet. Als wäre das eine Erwartung, die den Horizont der Handelnden übersteigt.

Und wenn Martensteins Vermutung stimmt, dann haben auch diese vielen kleinen wütenden Bürger ein ganz ähnliches Gefühl, wie es auch Behinderte und andere Minderheiten haben: nur toleriert zu werden, aber nicht wirklich respektiert.

Kann es sein, dass Karriere auch so blind macht, dass man so etwas dann nicht mehr merkt? Dass der Respekt vor den kleinen Rädchen im Getriebe verloren geht, wenn man mit den großen Tieren am Tisch sitzen darf? Es sieht ein wenig so aus.

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Es gibt 2 Kommentare

Naja… Das Problem heißt Kapitalismus, welcher immer schneller immer mehr Menschen, immer weniger am gesamtgesellschaftlichen Reichtum teilhaben lässt. Übrig bleibt eine Masse an Menschen , welche ihre mühsam kaschierten nationalchauvinistischen, sexistischen und rassistischen Ressentiments offen an den noch Schwächeren (Geflüchtete, Minderheiten ) abarbeitet. Das hat nichts mit fehlendem Respekt zu tun! Viele Menschen ticken einfach so .Sie wählen rechts, weil sie rechts sind und eine rechte Politik wollen. Leider !
Wieso zitieren Sie gerate einen reaktionärer Autor wie Martenstein?

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