Bewohner und Funktionsträger der Stadt Leipzig machen es Legida zu einfach, seine menschenfeindlichen Ansichten zu verbreiten. Das behauptet das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“, das für kommenden Mittwoch, 16 Uhr, zur Kundgebung vor dem Neuen Rathaus aufruft. Im Interview mit der L-IZ spricht Irena Rudolph-Kokot (SPD) über eine Stadtgesellschaft, die sich klarer positionieren müsste. Und Ordnungsbehörden, die den Gegenprotest erschweren.

„Nein, Leipzig ist nicht weltoffen“ heißt es in der Pressemitteilung, die „Leipzig nimmt Platz“ anlässlich der geplanten Kundgebung am kommenden Mittwoch veröffentlicht hat. Warum ist Leipzig keine weltoffene Stadt?

Seit einem Jahr protestieren fast immer die gleichen Personen gegen Legida. Die gesamte Geschäftswelt hat es nicht geschafft, sich zu positionieren. Die meisten Aussagen zu den Protesten lauten: Das stört uns, das verursacht Verkehrseinschränkungen, wir kommen nicht nach Hause oder zum Einkaufen. Es findet keine Auseinandersetzung mit dem Thema statt. Es ist zwar schön, dass in Leipzig nicht sehr viele Menschen zu Legida gehen, jedoch wird der Alltagsrassismus immer deutlicher spürbar: Bei den Anwohnerversammlungen zu neuen Unterkünften für Geflüchtete entlädt sich diese Stimmung. Zudem beobachten wir, dass die Gegenproteste zunehmend durch Stadt und Polizei eingeschränkt werden.

Woran liegt es konkret, dass teilweise nur wenige hundert Menschen an den Gegendemonstrationen teilnehmen?

Das hat verschiedene Gründe. Neben Ermüdungserscheinungen hängt es sehr davon ab, wie viele Studenten in der Stadt sind und ob gerade Prüfungszeit ist. Der Anteil der jungen Leute ist sehr hoch. Manche wollen nach den Ereignissen am 11. Januar lieber in Connewitz bleiben. Andere denken über alternative Protestformen nach. Nicht zu vergessen sind die Repressionen, die wir seit einem Jahr erfahren. Wenn man schon mehrere Anzeigen erhalten oder häufig Polizeigewalt erlebt hat, hat man keine Lust mehr.

Bevorzugt die Polizei Legida? Sympathisiert sie gar damit?

Man kann nicht sagen, dass eine ganze Behörde mit Legida sympathisiert. Aber ich habe den Eindruck, dass einzelne Beamtinnen und Beamte positive Gefühle dazu haben. Man sieht immer wieder, wie sich Polizisten und Legida-Teilnehmer per Handschlag begrüßen. Es ist auch erstaunlich, dass Auflagen bei Legida nicht kontrolliert werden, zum Beispiel die Angelruten oder Blendtaschenlampen. Bei der letzten Kundgebung beschwerte sich ein Legida-Teilnehmer bei der Polizei, woraufhin sofort gegen eine von uns angemeldete Kundgebung durchgegriffen wurde, obwohl eigentlich nichts passiert ist. Das bringt einen schon zum Nachdenken.

Räumung einer Blockade und Verhinderung der Dokumentation am 1. Februar 2016

 

Und wie sieht es beim Ordnungsamt aus?

Da habe ich das Gefühl, dass man sich Dresden als Vorbild genommen hat, wo die Proteste so beauflagt werden, dass sie weit weg vom eigentlichen Geschehen bei Pegida stattfinden. In Leipzig wird der Protest in Hör- und Sichtweite immer mehr eingeschränkt. Wir haben mittlerweile nur noch den Berührungspunkt auf dem Refugees-Welcome-Platz [Anm. d. Red.: Richard-Wagner-Platz].

Ist das Ordnungsamt durch die hohe Anzahl an Demonstrationen, insbesondere von und gegen Legida, vielleicht einfach überfordert?

Das spielt natürlich eine Rolle. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist begrenzt. Allerdings verlässt man sich sehr auf die Einschätzungen vom Verfassungsschutz und der Polizei. Man macht sich mittlerweile zu wenig Gedanken darüber, was eigentlich möglich ist, um so viel Protest wie möglich auf die Straße zu bringen. Man versucht, eher den restriktiven Ansatz zu fahren. Oberste Priorität hat die totale Sicherheit. Dabei gibt es die sowieso nicht.

Hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verändert, zum Beispiel im Vergleich zu den Neonaziaufmärschen in den Jahren 2009 bis 2011?

Damals hatten wir einen anderen Polizeipräsidenten, der Freiräume für friedliche Protestaktionen zugelassen hat. Diese Freiräume sind heute überhaupt nicht mehr gegeben. Auch das frustriert die Protestierenden.

Kurz vor der jüngsten Legida-Kundgebung Anfang Februar hat das Aktionsnetzwerk einen offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung, Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal und Polizeipräsident Bernd Merbitz veröffentlicht. Darin wurden unter anderem die Weitergabe von Polizeiinterna an Neonazis, Beleidigungen durch Beamte und die „faktische Demonstration“ der Legida-Teilnehmer vom Hauptbahnhof zum Richard-Wagner-Platz kritisiert. Gab es darauf irgendeine Reaktion?

Es wird noch vor der nächsten Legida-Demonstration ein Gespräch beim Oberbürgermeister stattfinden. Dazu sind auch Anmelder von anderen Gegenkundgebungen eingeladen, zum Beispiel Frank Kimmerle [Anm. d. Red.: Geschäftsführer des Erich-Zeigner-Hauses].

Im zweiten Teil des Interviews spricht Rudolph-Kokot über die jüngsten Vorfälle in Clausnitz und Bautzen, die Rolle der sächsischen Landesregierung und die Voraussetzungen für das Prädikat „weltoffen“.

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“Woran liegt es konkret, dass teilweise nur wenige hundert Menschen an den Gegendemonstrationen teilnehmen?”

Weil viele Menschen einfach genug davon haben einfach nur dagegen zu sein. Und üben eben praktischen Protest indem sie Flüchtlingen helfen und sich ehrenamtlich engagieren.

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