Leipzig, Dresden, Halle. Mit Autos sind die rechten Hooligans gekommen, ungewöhnlich viele Aufkleber mit einschlägigen Fußballclubnamen sind am gestrigen Abend in Leipzig Connewitz zu sehen, das Auftreten der Gruppe ist eindeutig. Minutenlang haben laut Polizeiangaben über 200 Männer Zeit, rund 20 Geschäfte im Leipziger Süden zu attackieren. Der „Fischladen“, das Vereinslokal des antirassistischen und als links bekannten Fußballvereins „Roter Stern“ wird zuerst ins Visier genommen. Eine Entwicklung, die sich bei der nach Randalen aufgelösten Pegida-Demonstration in Köln abgezeichnet hatte, setzt sich in Leipzig nahtlos fort. Legida und Pegida haben längst nicht nur ein verbales Gewaltproblem.
Drohungen hatte es im Vorfeld genug gegeben, die Stimmung hatte sich systematisch aufgeheizt. Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen und Teil der Organisatoren von NoLegida, wurde mehrfach angerufen, seine Familie und er systematisch bedroht, die „Nacht der langen Messer“ sei gekommen, so eine rechtsradikal konotierte Warnung gegenüber dem Politiker. In der vergangenen Nacht dann fast parallel zum Angriff auf Ladengeschäfte in Connewitz die Bedrohung des zweiten Machers von NoLegida, Marcel Nowicki, bei Twitter. Ob er noch nach Hause käme, man würde warten.
Im Zentrum der verbalen Attacken bei Twitter der langjährige Account von „FansceneLokLe“ mit dem öffentlichen Namen „Lokomotive Leipzig“ inklusive Logo des Vereins. Für Außenstehende eine Twitterseite des Probstheidaer Fußballvereins, für Kenner der Szene eine Seite bei dem Kurznachrichtendienst, welche von mindestens einem ehemaligen Mitglied der „Blue Caps“, später in „Scenario Lok“ umbenannten rechtsextremen „Fan“-Vereinigung, betrieben wird. Beide hatten einen zeitweiligem Sitz in der ehemaligen Leipziger NPD-Zentrale Odermannstraße 8.
Nach Jahren der gemeinschaftlichen Aktivitäten beider Schlägergruppierungen kam vor der Auflösung dieser „Fan“-Organisationen der sonst eher zögerliche Verfassungsschutz Sachsen nicht umhin, hier Rechtsextremisten zu sehen. Lokomotive Leipzig verteilte Stadionverbote, sprach ein Auftretensverbot des Namens “Scenario Lok” aus und wurde daraufhin selbst angegriffen. Reifen wurden zerstochen, Hallenscheiben des Clubs demoliert, eine Attacke ereignete sich nach dem Ausschluss sogar im Stadion auf den damaligen Sicherheitschef des Clubs durch eine Gruppe von rund 25 Gewalttätern.
Die Ermittlungsergebnisse der Polizei lassen dazu bis heute auf sich warten, auch der Spielabbruch am Ende der letzten Saison 2014/15 beim Auswärtsspiel in Erfurt wird der gleichen gewaltsuchenden Szenerie zugeschrieben.
Massive Begleiterscheinungen in den sozialen Netzwerken
Parallel zu den Aufrufen von Legida und Pegida, nach Leipzig zu kommen, hatte im Vorfeld auch die NPD Leipzig mit NPD-Stadtrat Enrico Böhm als Kreisvorsitzendem seiner Partei an der Spitze auf Twitter und Facebook für den 11. Januar 2016 mobilisiert. Offiziell zu einer Beteiligung an der Legida-Demonstration unter Nutzung des offiziellen Layouts am 10. Januar 2016 mit dem Spruch: „Morgen gemeinsam kämpfen – Unsere Stadt – unsere Regeln!“. Seit heute morgen prangt auf dem Twitteracount der Rechtsextremen ein Retweet mit einem Bild vom „Fall der Frontstadt Connewitz“. Der angebliche Lokomotive-Account, über welchen die Bedrohung von NoLegida-Mann Nowicki erfolgte, wurde hingegen aktuell vom Netz genommen und ist nicht mehr erreichbar. Wahrscheinlich, um hier eine Straftat zu verschleiern und den Ermittlungen der Polizei zuvorzukommen.
Auch die Facebookseite der „Freien Kameradschaft Dresden“, über welche im Vorfeld auch Polizisten bedroht worden waren, ist nicht mehr zu finden. Dafür hatte sich dann auch noch der Twitter-Account der “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” mit einer Drohung gegen Juliane Nagel und Jürgen Kasek zu Wort gemeldet. Seit der Übergabe einer Petition im Leipiger Stadtrat 2014 ist bekannt, dass hinter den Moscheebaugegnern ebenfalls Enrico Böhm (NPD) und Alexander Kurth (damals NPD, heute “Die Rechte” und Offensive für Deutschland) standen. Der Tweet legt durch den Hastag “dieRechte” nahe, dass es sich um einen Account handelt, welcher heute duch die rechtsextreme Splitterpartei “Die Rechte” in Sachsen betreut wird.
Legida schweigt sich aus
Mehrfach sind NPD-Stadtrat Enrico Böhm, „freie Kameraden“ und weitere Rechtsextreme in den vergangenen Monaten bei Legida offen und den Veranstaltern bekannt mitgelaufen. Zu Beginn soll es nach eigenen Aussagen seitens des Leipziger Rechtsextremisten Alexander Kurth (Die Rechte) logistische Hilfe für Legida von ihm selbst gegeben haben. Gemeinsam mit Silvio Rösler versucht Kurth mittlerweile mit der “Offensive für Deutschland” fremdenfeindliche Parolen auf die Straße zu tragen. Gestern sagte man ab und schickte die eigenen Anhänger zu Legida.
Als sicher darf gelten, dass sich darüber hinaus seit Monaten rechtsgerichtete Hooligans aus Halle, Leipzig und bei gemeinsamen Veranstaltungen mit Pegida auch aus Dresden unter den Teilnehmern bei Legida befinden. Vom mehrfachen Legida-Sprecher mit dem Pseudonym „Friedrich Fröbel“ wurden die Hooligans 2015 öffentlich gar als Schutz der Demonstranten deklariert. Einige von ihnen kamen von Beginn der Bewegung an auch als Ordner zum Einsatz.
Bei Legida selbst blieb es am 11. Januar 2016 weitgehend friedlich. Wenn man den Angriff auf eine MDR-Reporterin und die gewohnt hohe verbale Aggression auf der Bühne und davor außer acht lässt. 22:42 Uhr meldete ihr Sender: „Eine Reporterin des MDR ist am Rande der Legida-Demonstration angegriffen worden. Eine Frau hat ihr zunächst das Handy aus der Hand geschlagen. Anschließend wurde ihr mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen.“
Die Musik spielte auf der Bühne und doch eher im Süden Leipzigs
Dafür fand eine konzertierte Aktion im Süden Leipzigs statt, welche Legida längst in die Defensive gedrängt hat, wenn es um die angebliche Gewaltfreiheit der Organisation und ihr Umfeld geht. Es dürfte der rechten Bewegung nun schwerfallen, jegliche Verbindung zu den Motiven der Täter der letzten Nacht abzustreiten, nachdem sie monatelang auch ein Sammelbecken für rechte Hooligans und NPD-Mitglieder war, diese duldete und gewähren ließ. Während und nach der Veranstaltung fand keiner der Redner auf der Bühne eine Gelegenheit, die seit spätestens 20 Uhr medial bekannt gewordenen Ausschreitungen in Connewitz auch nur zu kommentieren, geschweige, sich diesbezüglich gegen Gewalt auszusprechen. Stattdessen spielte Hannes Ostendorf, Bandleader der Hooligan-Band „Kategorie C“, ein Geburtstagsständchen.
Die Leipziger Polizei teilte in der Nacht auf den 12. Januar mit, dass es eines massiven Einsatzes bedurfte, um die Aktionen rechtsradikaler „Gewalttäter Sport“ im Stadtteil unter Kontrolle zu bringen.
Aufräumarbeiten am Morgen nach dem 11. Januar 2016 Wolfgang-Heinze-Straße, Connewitz
Zu den Vorgängen in Connewitz heißt es seitens der Beamten: „Gegen 19:20 Uhr rotteten sich dort rund 200 Vermummte zusammen, liefen zeitweise geschlossen unter Mitführung eines Plakats mit der Aufschrift: `Leipzig bleibt helle` und hatten doch alles andere im Sinn. Sie zündeten Pyrotechnik, versuchten Barrikaden zu errichten und begingen verschiedene Sachbeschädigungen. Die Taten erfüllten in Gänze den Tatbestand des schweren Landfriedensbruchs, wobei die Gruppierung durch Einsatzkräfte kurze Zeit später fast vollständig festgesetzt werden konnte. Die 211 Personen waren zu einem nicht unerheblichen Teil bereits als `rechtsmotiviert` und/oder `Gewalttäter Sport` aktenkundig sowie aufgrund mitgeführter Utensilien dem Fußballfanklientel zuzuordnen.“
Kurz darauf kam es zu ersten Gegen-Reaktionen im Süden. Die Polizei dazu: „Ein seitens der Leipziger Verkehrsbetriebe zum Transport der vorläufig Festgenommenen zur Verfügung gestellte Bus wurde wiederum durch Täter des linksautonomen Spektrums angegriffen und erheblich beschädigt. In Folge des unsachgemäßen Gebrauchs von Pyrotechnik entstand offenbar auch ein Wohnungsbrand im Dachgeschoss eines Wohnhauses an der Wolfgang-Heinze-/Simildenstraße.“ Daraufhin habe die Polizei „ … zur Vermeidung und Eindämmung weiterer (Resonanz-) Straftaten wurde die polizeiliche Präsenz im Leipziger Süden erhöht. Dennoch waren in den nachfolgenden Stunden mehrere Brände von Fahrzeugen sowie Mülltonnen zu verzeichnen, die vorsätzlich gelegt wurden.“
Am Abend aufgetauchte Berichte, dass es auch zu Überfällen in Plagwitz gekommen sein soll, wurden von der Polizei dementiert. „Zwischenzeitlich kursierende Informationen, wonach am Abend auch in Plagwitz `Rechte` agiert hätten, blieben letztlich ohne Kenntnis/Meldung konkreter Straftaten.“
Das bisherige Fazit einer Nacht, in welcher Pegida und Cegida ihren islamfeindlichen Freunden von Legida nach Leipzig zum Geburtstag gratulieren kamen: Rund 20 Ladengeschäfte in Connewitz wurden angegriffen, 57 Straftaten nach dem Strafgesetzbuch hier gegen das Versammlungs-, Waffen-, Sprengstoff- und Betäubungsmittelgesetz von der Polizei registriert sowie fünf Polizeibeamte verletzt. Wie viele Verhaftungen es genau gab, steht noch nicht fest. Von etwa 50 Ingewahrsamnahmen rechter Hooligans war bereits am gestrigen Abend die Rede.
Von einem weitgehend beidäugig erblindeten Verfassungsschutz in Sachsen und seinem Präsidenten Gordian Meyer-Plath dürfte hingegen ab heute noch mehr gesprochen werden. Wie schon am 12. Dezember 2015 scheint man sich bei diesem Geheimdienst irgendwie nicht so richtig mit den Vorgängen im Vorfeld von extremen Ereignissen zu befassen. Die Polizei hingegen hat seit gestern ein ganz eigenes Problem. Interne Polizeipapiere waren ebenfalls auf dem Twitter-Account der Leipziger NPD aufgetaucht und anschließend rasch wieder gelöscht worden. Woher die Unterlagen genau kamen, kann demnach wohl die Leipziger NPD beantworten.
Die Vorgänge des gestrigen Abends hier im Live-Ticker der L-IZ.de zum Nachlesen.
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