Manche Künstlerinnen fallen einfach so in Tanners Leben hinein. Da brachte sein guter Freund Heiko Müller erst einen Kalender für 2016 - von Annekatrin Brandl - mit und dann noch die ganze Frau. Und sie erzählte. Interessante Dinge aus ihrem Leben und von ihren Einsichten. Grund genug für ein Interview.
Guten Tag Annekatrin Brandl. Du hast im Moment eine Ausstellung im Stadtteilladen Leipziger Westen hängen: “Die blaue Serie Leipzig”. Ich weiß ja, weil ich sie schon gesehen habe, um was es da geht. Kannst Du aber bitte den Leserschaften ein bisschen erzählen, was sie sehen können, wenn sie mal rumkommen?
Guten Tag, Volly. Thematisch setze ich mich sehr intensiv mit Leipzig auseinander. Ich zeichne vorwiegend die Architektur. Das Medium dabei ist die Kohle und Kreide. Eine Zeit lang habe ich nur mit schwarzer Kohle gearbeitet. Erst seit kurzem hat sich meine Farbpalette um graue, blaue und weiße Kreide erweitert. Im Zuge dessen ist “Die blaue Serie Leipzig” entstanden. Dargestellt werden von mir vertraute Orte dieser Stadt, wie z.B. der Karl Heine Kanal oder einer meiner Lieblingsplätze. Den Namen möchte ich nicht verraten. Vielleicht nur soviel: die Zeichnung trägt den Titel “Hinter der Georg-Schuhmann-Straße”.
Es gibt verschiedene Kalender von Dir für 2016. Zum Beispiel: Bilder zu Texten von Herrmann Hesse, zum Thema Nathanaelgemeinde Leipzig oder zu Jesewitz. Wie suchst Du Deine Themen aus?
Ich mag vernetztes und kombinatorisches Denken – gleichzeitig setzen sich die Kalender thematisch mit meinem Leben hier in der Leipzig und in meinem Heimatort Jesewitz auseinander. Der Kalender “1001 Jahre Leipzig” ist in Zusammenarbeit mit einem Berliner Fotografen entstanden. Das Besondere an dem Kalender ist die Kombination aus Fotografie und Zeichnung. Kleine Klebezettel mit Kohleskizzen durchziehen den Kalender. Die poetischen Fotografien zeigen zum Einen typische Leipziger Orte und zum Anderen eher unbekannte Ort, wie zum Beispiel den “Sowjetischen Messepavillion”.
Ich bin Mitglied der Nathanaelgemeinde. In Zusammenarbeit mit den Kindern des Nathanaelkindergartens, Gemeindemitgliedern und Herrn Pfarrer Führer ist der Kalender “Nathanalegemeinde 2016” entstanden. Der Gedichtband von Herrmann Hesse “Das Lied des Lebens” begleitet mich schon eine Zeitlang durchs Leben. Die Aquarelle von Claus Fußmann inspirierten mich immer wieder aufs Neue. Anfang des Jahres habe ich eine Serie von farbigen Aquarellen und Landschaftsstudien angefertigt. Die Kombination von beidem und die schon vorhandenen Kohlezeichnungen ließen den Kalender entstehen.
Ich gehe gern auf Feldern spazieren. In meinem Heimatort Jesewitz gibt es vieler Felder. Sie geben mir Frieden und Kraft. Künstlerisch sehe ich darin die Verbindung zwischen zwei basalen mächtigen Elementen – Himmel und Erde. In der Reduktion dargestellt. Natürlich finden auch gängige Motive meines Heimatortes ihren Platz in dem Kalender.
Dein Wohnraumatelier liegt in der Diakonissenstraße 02 in Leipzig. Was ist das denn ganz konkret – so ein Wohnraumatelier?
Wie der Name schon sagt: ein Wohnraumatelier, Größe 26 Quadratmeter, ausgestattet mit einer Treppe, die ins Nirgendwo führt, einem Fenster, welches nur mit einer großen Leiter zu erreichen ist und ganz wichtig, der Raum besitzt eine Toilette. Zusammengefasst kann man sagen, es ist ein Lebensraum. An der großem weißen Wand präsentiere ich meine Arbeiten.
2014 hast Du an der Universität Leipzig Deinen Bachelor Lehramt Rehabilitations- & Integrationspädagogik gemacht. Was ist das denn? Und was machst Du mit diesem Bachelor?
Ich habe 2011 an der Universität Leipzig mein Zweitstudium auf Bachelor Lehramt Kunst und Rehabilitations- und Integrationspädagogik begonnen, mit dem Ziel, Lehrer an einer Schule fu?r Lernbehinderung oder GB-Schule (geistige Behinderung) zu werden. Inhalte waren u.a. wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff “Behinderung” oder beispielsweise das große Thema Inklusion. Wir mussten verschiedene Praktika absolvieren. Danach war ich enttäuscht und desillusioniert. Ich hatte das Gefühl, dass, was auf der einen Seite im universitären Kontext gelehrt wurde, mit der Praxis unvereinbar ist. Auch fand ich einige Professuren fragwürdig. Als erste Kernkompetenz eines Lehrers sehe ich den konstruktiven Umgang mit Kritik, auch mit der eigenen Person. Das ist schwer, aber lernbar. Wenn schon der Dozent damit Probleme hat und aus Angst heraus die Studenten nach Wünschen des Professors arbeiten, dann fehlt mir persönlich die Glaubwürdigkeit. Der Satz einer Professorin, am Ende meines Bachelorstudiums, bestärkte mich in meinem Gefühl, kein Lehrer zu werden. Zitat: “Nach einer Woche im Lehrerzimmer wären sie schon unbeliebt.”
Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung als Gestaltungstechnische Assistentin, habe nachts bei der Post Container ausgeladen, als Messehostess und Promoterin gearbeitet und dazu zwei abgeschlossene Hochschulstudien. Das reicht aus, um meinem Leben zu bestreiten. Das, was ich jetzt mache, erfüllt mich ganz. Die vielen Erfahrungen helfen mir, mich weiterzuentwickeln. Ich sehe das Leben als einen absoluten und kontinuierlichen Lernprozess an.
Du bist für Deine Serie Krieg/Frieden bis nach Mostar gelaufen. Kannst Du uns bitte etwas mehr über dieses Projekt erzählen?
Gelaufen im metaphorischen Sinne. Die Reise ging über Prag, Wien, Budapest, Zagreb, Split, Dubrovnik bis nach Mostar hoch. Es war die Zeit einer großen persönlichen Auseinandersetzung. Im Zuge meiner Bachelorarbeit im Fach Kunst ist eine Serie von 45 Kohlezeichnungen entstanden. Sie zeigen “Kriegsschauplätze”, aber auch Orte des “Friedens”. Deshalb der Name Krieg/Frieden. Zu den Bildern habe ich einen Text geschrieben. Das Resümee lautet: Krieg/Frieden für den winzig wahren Frieden – den Inneren – die Erklärung dazu: Krieg/Frieden Kampf der Polaritäten – statt aus dem Gegeneinander ein Miteinander – die Grundlage für wahren Frieden. Mein christlicher Glaube und meine ständige Selbstreflexion lassen mich meinen Frieden immer wieder neu finden und das macht mich glücklich.
Wohin geht es aber weiter? Gibt es Träume, die Du Dir als Künstlerin noch erfüllen möchtest?
Ich stehe gerade am Anfang. Ich habe Träume, die in Bildern gedanklich schon abgespeichert sind. Sie verwandeln und konkretisieren sich in Zielen. Ich möchte mein Projekt Krieg/Frieden weiter ausbauen. Konkrete Pläne existieren schon. Die Verbindungslinien zwischen Pädagogik – Gestaltung – und Kunst weiter vertiefen. Mich künstlerisch weiterentwickeln. Meinen Vorbildern nacheifern – wie dem russischen Impressionisten Valentin Serow und dem großartigen Leipziger Stadtmaler Gerd Pötschig. Aber auch dankbar sein für das, was ich schon habe, nämlich die Möglichkeit, so ein Leben führen zu dürfen.
Es gibt ja auch immer einen philosophischen Ansatz bei der Kunst. Welcher ist Deiner? Warum tust Du, was Du tust? Was treibt Dich an?
Ich kann nicht anders. Das ist mein Leben. Ich lebe es einfach. Die 100 % Liebe zu dem, was ich schaffe und noch schaffen werde.
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