Was treibt so viele Menschen an einem der wärmsten Tage des Jahres mit Temperaturen nahe der 40-Grad-Marke, in ein trostloses Ex-Lehrlingswohnheim anstatt an den See oder in den Park? Die Landesdirektion Sachsen hatte zur öffentlichen Besichtigung jener Räume geladen, die ab kommender Woche zunächst bis zu 350 Geflüchtete beherbergen werden.
Zahlreiche Personen nutzten diese Gelegenheit aus unterschiedlichen Gründen: um sich überhaupt mal ein Bild von einer Erstaufnahmeeinrichtung zu machen; um zu schauen, ob die Asylbewerber hier menschenwürdig untergebracht werden – aber auch, um Unzufriedenheit darüber auszudrücken, dass in der Nachbarschaft nun Geflüchtete leben. Eine genaue Zahl existiert nicht, aber Schätzungen von etwa 1.000 Interessierten dürften zutreffend sein.
Bereits am Eingang verteilte die Initiative „Offene Nachbarschaft Leipzig-Süd, Dölitz & Lößnig“ Flyer an die Besucher. Darin finden sich sowohl allgemeine Informationen zu Fluchtzahlen und -gründen als auch Details, worum es sich bei einer Erstaufnahmeeinrichtung eigentlich handelt. Zu den derzeit 24 Unterstützern der Initiative zählen neben zahlreichen Parteien und Religionsgemeinschaften beispielsweise auch der Bürgerverein Dölitz, das Werk II und der Fußballverein Roter Stern Leipzig.
Im Haus selbst konnten sich die Besucher frei bewegen und die Wohn-, Sozial-, Sanitär- und Gebetsräume besichtigen. Einige der zahlreichen Mitarbeiter, die für Fragen zur Verfügung standen, dürften am Abend heiser nach Hause gegangen sein. Heimleiter Tassilo Wolff-Metternich von den Maltesern führte Rundgänge durch die Einrichtung und informierte dabei über die Zusammensetzung des Mitarbeiterteams und die genauen Abläufe bei der Unterbringung der Geflüchteten. Ein Mitglied der Franziskanischen Gemeinschaft bot zugleich Unterstützung bei der Religionsausübung an. Allerdings verlief nicht alles an diesem Tag so harmonisch.
Eine ältere Frau verlangte etwa Auskunft darüber, warum das Grundstück billig verkauft worden sei, und bezeichnete die Stadtverwaltung als „Schande“. Ähnliche Diskussionen fanden auch an anderen Stellen des Gebäudes zwischen Besuchern und ohne Beteiligung der Heimleitung statt. Darin ging es meist weniger um die konkrete Situation in Leipzig, als vielmehr um die Asylpolitik im Allgemeinen. Ob Deutschland zu den reichsten Staaten der Welt gehöre, ob man zu viel Geld für Geflüchtete ausgäbe und ob potentiell eingespartes Geld überhaupt anderen Personen, die es ebenfalls dringend bräuchten, zu Gute käme – das waren Fragen, die auf den Fluren der Erstaufnahmeeinrichtung teils wütend diskutiert wurden.
Der Mittdreißiger Kai gehörte zu jenen, die sich eigentlich nur einen Eindruck von der Situation vor Ort verschaffen wollten, sich dann aber an den Wortgefechten beteiligte. „Diese Frau hat einen Dachschaden“, urteilte er hinterher über eine Person, die sich über die Nutzung des Gebäudes als Erstaufnahmeeinrichtung empört hatte. „Diese Leute werden sich leider nicht mehr ändern. Allerdings ist es mir lieber, die äußern sich hier als dass sie auf eine Demo gehen oder Anschläge verüben.“
Neben normalen Bürgern stellten sich auch zahlreiche Politiker den Diskussionen, darunter der SPD-Landtagsabgeordnete Holger Mann, der sich mit Äußerungen wie „Die massenhafte Einwanderung nimmt gar kein Ende mehr“ und „Ich bezweifle, dass die Leute, die hierher kommen, wirklich arbeiten wollen“ konfrontiert sah. Als er kurz einen Bogen zu den Protesten in Wiederitzsch schlug, klatschte ein junger Mann lautstark in die Hände und entgegnete: „Hier sind die Anwohner auch nicht gefragt worden.“
Während er auf so manchen rassistisch geprägten Dialog vermutlich gerne verzichtet hätte, fand Mann zumindest für das Geflüchtetenheim selbst lobende Worte: „Das scheint mir hier alles gut strukturiert. Die Raumaufteilung macht Sinn, die Zimmer sind nicht zu groß. Für das, was es sein muss, ist es gut.“
Meinungen wie diese hörte man an dem Abend häufig: keine Luxusunterbringung, aber allemal besser als das Zeltlager in Dresden. Einige Besucher wunderten sich darüber, dass die Geflüchteten das Gebäude jederzeit verlassen dürfen, also auch nachts. Zwischen den Zeilen hörte man Sorgen um die eigene Sicherheit heraus. Explizit aussprechen wollte das aber kaum jemand.
Was neben einigen Bedenken an diesem Abend besonders in Erinnerung blieb, war die hohe Spendenbereitschaft. Direkt im Eingangsbereich stapelten sich unzählige Säcke, die hilfsbereite Besucher mitgebracht haben. Dreimal habe man einen Transporter damit füllen können, erzählt eine Mitarbeiterin der Malteser später. Fast ebenso viel Arbeit wie die Aufnahme und Betreuung der Geflüchteten dürfte zumindest in den ersten Tagen die Auswertung der gesammelten Spenden bereiten. Die Initiative „Offene Nachbarschaft“ ruft derweil dazu auf, auch weiterhin Kleidung und Spiele vorbeizubringen.
Kontakt zur Initiative „Offene Nachbarschaft Leipzig-Süd, Dölitz & Lößnig“ ist unter offenenachbarschaft(at)gmail.com möglich.
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