LeserclubDie Leipziger NPD wartet mit einer unglaublichen Geschichte auf: Am 19. Juni behauptete der Kreisverband im Internet, ein linksmotivierter Straftäter habe sich der Partei anvertraut, um strafmildernd abgeurteilt zu werden. Der Vorgang hat sich jedoch offenkundig so nie zugetragen. Spätestens seit Stadtrat Enrico Böhm den Kreisverband leitet, zählen diffuse Propagandaaussagen zum politischen Repertoire der Partei.
Die Geschichte klingt schon auf den ersten Blick hahnebüchen. Ein Linksextremist soll sich der NPD anvertraut haben, um in einem anhängigen Strafverfahren ein milderes Urteil erwirken zu können. “Jener Insider und dessen Informationen wurde vom NPD-KV Leipzig am 29.08.2014 unverzüglich dem Staatsschutz und dem LKA Sachsen weitergeleitet. Mit seiner Aussage wurden mehrere in Leipzig bekannte Personen schwer belastet”, behaupteten die Neonazis in einem sozialen Netzwerk.
Die Leipziger Staatsanwaltschaft dementierte. “Hier ist kein Sachverhalt bekannt, wonach sich eine Person aus dem linksorientierten Lager bei der NPD gemeldet hätte, um eigene Straftaten zuzugeben und zugleich andere Personen mit zu belasten”, berichtete Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz. “Auch wurde nach hiesiger Kenntnis keine derartige Person den Ermittlungsbehörden übergeben.”
Dass die Leipziger NPD mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert, erscheint umso unwahrscheinlicher, bedenkt man, dass ihr Vorsitzender selbst erhebliche Schwierigkeiten hat, sich an Recht und Gesetz zu halten. Enrico Böhms Vorstrafenregister ist lang. Dem 33-Jährigen drohen aktuell nach einer erstinstanzlichen Verurteilung wegen Körperverletzung und Beleidigung acht Monate Haft. In weiteren Verfahren geht es um falsche Tatsachenbehauptungen im Internet.
Auf Nachfrage legte der Kommunalpolitiker immerhin den Screenshot der E-Mail vor, die die Partei an die Polizei gesandt haben möchte. Allerdings sind weite Teile des Dokuments unleserlich gemacht worden – angeblich um den Informanten zu schützen. Demnach habe die Person einen NPD-Aktivisten am 29. August 2014 während einer Kundgebung vor dem Jobcenter angesprochen. Der Unbekannte soll sich als Aussteiger aus der linken Szene vorgestellt und den Kameraden von geplanten Straftaten berichtet haben. Einen nachvollziehbaren Beweis für die Glaubwürdigkeit ihrer Schilderung bleibt die Partei schuldig.
Der angebliche Informant wäre nicht der einzige Propaganda-Versuch, den Böhm und seine Mitstreiter den Leipzigern in den letzten Monaten aufgetischt haben. Im Januar 2015 erstattete der Kreisvorsitzende Strafanzeige gegen Juliane Nagel (Linke). Die Landtagsabgeordnete soll in einer Pressemitteilung zu Gewalt gegen Legida-Aktivisten aufgerufen haben.
Böhm stützte die Anzeige auf einen Screenshot, der die inkriminierte Äußerung belegen sollte. Offenkundig handelte es sich bei der Bilddatei jedoch um eine Fälschung. Die Politikerin hatte sich in der Pressemitteilung entgegen der Behauptung Böhms nicht in strafrechtlich relevanter Weise geäußert. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz.
Am vergangenen Freitag führte die NPD eine Kundgebung in Böhlen (LK Leipzig) durch. Unter dem Motto “Deutsche helfen Deutschen” verteilten sie Verpflegungspakete an Bedürftige. Nach Parteiangaben sollen in jener Gemeinde Asylbewerber ungeöffnete Lebensmittel in einer Mülltonne entsorgt haben. Sollte dies tatsächlich passiert sein, so darf man bezweifeln, dass just zu dem Zeitpunkt, als die Flüchtlinge die Naturalien entsorgten, ein NPD-Aktivist neben der Mülltonne gestanden hat.
Wer die Päckchen mit Brot, Butter, Käse und Wurst dort entsorgt hat, ist ungewiss. Offen bleibt außerdem, ob diese Essenspakete, die eine Böhlener Anti-Asyl-Initiative entdeckt haben möchte, in die Tonne wanderten, weil ihr Inhalt das Haltbarkeitsdatum überschritten hatte. Mit der Versorgung der Einrichtung ist die Volkssolidarität Chemnitz beauftragt. “Aus unseren einschlägigen Erfahrungen in der Asylbewerberversorgung können wir nicht bestätigen, dass eine Ablehnung der deutschen Esskultur bei derart gelagerten Versorgungen stattfindet”, berichtete Stephan Ullrich.
Der Pressesprecher des gemeinnützigen Vereins ergänzte, dass ungenießbare Lebensmittel schon aus hygienischen Gründen in einem Restmüllcontainer entsorgt werden müssen. “Selbstverständlich können wir trotz strukturierten Bestellabläufen gelegentliche Planungsunsicherheiten nicht vollständig ausschließen, so dass Lebensmittel, die über das Mindesthaltbarkeitsdatum kommen, nach den oben genannten gesetzlichen Standards verworfen werden müssen”, so Ullrich. Die Annahme der Rechtsextremen, die Flüchtlinge hätten achtlos Lebensmittelpakete entsorgt, weil ihnen das Essen nicht schmecken würde, ist vor diesem Hintergrund kaum aufrecht zu erhalten.
Seit Anfang 2014 behaupten die Kameraden gebetsmühlenartig, in Leipzig verübe eine linke Terrorgruppe Anschläge gegen ihr Hab und Gut. Hauptverdächtiger sei ein 22-jähriger Antifa-Aktivist aus der Messestadt. Zwar fanden vor der Kommunalwahl im Juni 2014 eine Reihe von Anschlägen auf Wohnungen von NPD-Bewerbern statt. Allerdings handelt es sich bei den Straftaten nach politischer, juristischer als auch sozialwissenschaftlicher Definition keinesfalls um Terrorismus. Farbbeutelwürfe, eingeschlagene Scheiben und brennende Autos einzelner NPD-Kandidaten sind gänzlich ungeeignet, um weite Teile der Bevölkerung zu verunsichern und einzuschüchtern.
Die Staatsanwaltschaft Dresden führt daher gegen die unbekannten Täter ein Verfahren wegen Bildens einer kriminellen Vereinigung. Gegen welche Personen die Behörde ermittelt, hat sie bisher weder der Öffentlichkeit noch der Leipziger NPD mitgeteilt. Eine Anfrage von L-IZ.de zum Stand der Ermittlungen blieb bislang unbeantwortet.
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