Europas Sicherheitspolitik schützt Grenzen und nicht Menschen, obwohl die weltweite Flucht- und Migrationsbewegung uns faktisch nur am Rande berührt. In der Stadtbibliothek Leipzig sprach am Donnerstag der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Fridolin Pflüger SJ über Erfahrungen seiner Organisation in Afrika und Asien sowie über die Abschiebepraxis in Deutschland. Sein Urteil dazu: teuer, unnötig und inhuman.
“Ich war in den großen Lagern in Afrika. Von den Menschen dort haben die wenigsten Interesse, nach Europa zu kommen. Sie möchten wieder zurück in ihre Heimat”, zeigt sich Fridolin Pflüger überzeugt. Der Jesuitenpater ist Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes. Dieser betreibt in Afrika, Syrien, Afghanistan und Libanon Schulen. In Zusammenarbeit mit amerikanischen Jesuitenhochschulen wird den Flüchtlingen ermöglicht, einen Abschluss zu erwerben, der ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Da sich die Arbeit auf die Ausbildung beschränkt, werde sie auch von der muslimischen Bevölkerung geschätzt.
Das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt, ist die Türkei mit 1,7 Millionen Menschen. Weitere Spitzenreiter sind Pakistan, Libanon, Iran und Jordanien. Syrien ist derzeit das Land mit den meisten Binnenvertriebenen, also Menschen, die innerhalb des Landes entwurzelt wurden.
Andere Lösungen finden
In Berlin arbeiten die Jesuiten in der Abschiebehaft Köpenick. In Deutschland gibt es fünf derartige Einrichtungen, in allen zusammen befinden sich derzeit etwa 50 Personen. Die Anzahl der Abschiebehäftlinge ist in den letzten Jahren stark gesunken. Pflüger führt das darauf zurück, dass deutsche Richter immer seltener bereit sind, diese Haftform zu verfügen: “Juristisch ist klar, es sind keine Straftäter, sondern es ist nur eine Absicherung der Abschiebung. Die Gerichte sprechen immer häufiger kein Urteil aus, sondern sagen, es müssen andere Lösungen gefunden werden.” In der Einrichtung in Eisenhüttenstadt war am Tag des Vortrags ein Häftling, in Köpenick waren es gerade sechs: “Köpenick kostet den Berliner Staat jeden Monat 1 Million Euro, um diese sechs Leute zu betreuen. Und wenn es nur zwei sind, dann sind es immer noch drei Schichten der Polizei, der polizeiärztliche Dienst und das Pflegepersonal, die Küche, das Gebäude. Das muss alles aufrechterhalten werden.”
Pflüger erwartet, dass in Zukunft mehr Asylsuchende in Abschiebehaft kommen: “Es werden gerade neue Gesetze für Bleiberecht gemacht. Was gut ist. Aber gleichzeitig wird die Abschiebung und die Beendigung des Aufenthalts sehr klar ausgearbeitet. Damit wird es wieder mehr Abschiebungen und mehr Verurteilungen geben.”
Case Management statt Abschiebehaft
In ihrer umfangreichen Stellungnahme setzen sich die Jesuiten sehr kritisch mit dem geplanten Gesetz auseinander. Es sei notwendig, nach Alternativen für die Praxis der Abschiebung zu suchen. Andere Länder, so heißt es im Text, würden dies bereits praktizieren:
“Dies auch deshalb, weil die Vorhaltung von weitgehend ungenutzten Kapazitäten für die Abschiebungshaft den Bundesländern erhebliche Kosten verursacht. Diese liegen allein in Berlin bei gut 11 Millionen Euro jährlich, bei einer Inhaftiertenzahl von rund 350 im Jahr 2014. Umgerechnet auf die Zahl der Inhaftierten ergeben sich hier Kosten von etwa 32.300 Euro pro Kopf. Würde man diese Beträge in Alternativen investieren, ließen sich selbst personalintensivere Maßnahmen wie ein nachhaltiges Case Management finanzieren.”
2014 gelang es dem Rechtshilfefonds der Jesuiten in Berlin und Brandenburg 55 Freilassungen zu erwirken. 70 Abschiebegefangene wurden betreut.
Problematisch sieht Pflüger, dass vielen Asylsuchenden untersagt wird, zu arbeiten: “Die Konsequenz ist, dass viele der Leute mit Duldung psychisch krank werden, weil wir sie nicht arbeiten lassen.” An einem konkreten Beispiel unterstreicht er sein Anliegen: “Vor drei, vier Tagen war bei mir ein Mädchen, das seit Wochen Arbeitsverbot hat. Sie sagt: ich werde verrückt. Sie hat aber einen Beruf und der Arbeitgeber würde sie gerne nehmen und sie hat dort auch gearbeitet. Und nun hat sie Arbeitsverbot.” Stattdessen zahlt nun das Sozialamt ihren Unterhalt. Aus Sicht des Jesuitenpaters vermeidbar und unnötig.
Potential der Flüchtlinge nutzen
Viele Flüchtlinge sind unter 30. Auch im Blick auf die demographische Entwicklung in Deutschland empfiehlt sich daher ein anderer Ansatz, schreiben die Jesuiten:
“Selbst bei negativem Ausgang des Asylverfahrens können viele aus unterschiedlichsten Gründen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Sie brauchen eine Zukunftsperspektive – und für die hiesige Gesellschaft sind sie nicht nur in demographischer Hinsicht ein Gewinn. Es wäre widersprüchlich, einerseits das Potential dieser jungen Menschen nutzen zu wollen (wie es etwa in der Arbeitserlaubnis zum Ausdruck kommt, die mit § 25a Abs. 4 AufenthG-E neu eingefügt wird) und andererseits der Gruppe, die ihr Potential am ehesten einbringen kann, diese Möglichkeit zu versagen.”
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