Wozu ist eine Stadt gut? Gibt es überhaupt ein Recht auf Stadt und wohin soll die städtische Entwicklung in Leipzig gehen? Alles bedeutende Fragen, über die am Sonntagnachmittag ein Podium aus verschiedenen stadtentwicklungskritischen Initiativen und Vertretern der Stadt Leipzig diskutierten. Das Gespräch fand im Rahmen des zweiten politischen Straßenfests „Kontrollbereich 04277“ im Herderpark statt.
Zum zweiten Mal lud die Initiative „Für das Politische“ in den Herderpark zum politischen Straßenfest am Sonntagnachmittag unter dem Titel „Kontrollbereich 04277“ ein. Der Begriff Kontrollbereich ist dabei eine Anspielung auf den umstrittenen Polizeiposten in der Wiedebach Passage in 04277 Connewitz und die immer wieder erscheinende Darstellung der besonderen Kontrollbedürftigkeit des Stadtteils.
Dem Festival geht es dabei nicht nur um die kleine Polizeiwache, sondern auch um den ordnungspolitischen Einfluss auf Stadtentwicklungsprozesse im Zuge der beständig wachsenden Stadt Leipzig. Diese führen mittlerweile zu steigenden Mieten in vielen Vierteln.
Das Netzwerk Stadt für Alle beobachtet kritisch die Vorgänge bei der Wohnungsmarktentwicklung und besonders deren negative Folgen, was für die meisten steigende Mieten bedeutet. Für besonderes Interesse dürfte in nächster Zeit das Thema der abgeschotteten Wohnviertel – sogenannte Gated Communities – sorgen, so Willie vom Netzwerk.
An einer Karte sammelte er für das Netzwerk einen aktuellen Überblick über die Quadratmeterpreise in Connewitz. Eine mühevolle Kleinarbeit, weil die Information über die Preise oder Käufe und Verkäufe von Häusern meist nur durch die Mieter selbst kommen.
„In Connewitz wird es schwer, eine neue günstige Wohnung zu finden“, stellte Norma Brecht vom Netzwerk Stadt für Alle im Rahmen der angekündigten Podiumsdiskussion fest. „Teilhabe an Stadt darf nicht am Einkommen hängen“, verwies Brecht auf eine Grundforderung des Netzwerks. „Es ist Zeit für eine Wohnungspolitik und nicht für eine Wohnungsmarktpolitik.“
Eike Sommer von „Für das Politische“ warf der Stadt mangelnde Initiative und das Verlassen auf den Mechanismus des Marktes vor, der die Preise steigen lässt. „Die Stadt gibt das Heft aus der Hand.“ Im Rahmen der Stadtentwicklungsprozesse dürfe nicht nur regulierend auf die Verwertungsinteressen eingegangen werden, sondern diese müssten direkt gestaltet werden.
Karsten Gerkens, Amtsleiter des Amts für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung, hatte die schwierige Situation mit seinem Kollegen Helmut Loris vom Ordnungsamt stellvertretend für die Handlungen der Stadt zu rechtfertigen.
Deftige Kritik hagelte es aus dem Publikum in der anschließenden Fragerunde. Gerkens konnte die verschiedenen Vorwürfe von einzelnen Personen nicht nachvollziehen. In der Diskussion würde sehr schnell verallgemeinert. „So etwas wie DIE Stadt gibt es nicht“, merkte er an, um anschließend mehrere Projekte aufzuzählen, mit denen versucht wurde und wird, etwas mehr Selbstbestimmung an die Bürger von Leipzig zu geben.
Der Versuch des Interessenausgleichs ist dabei auch kein einfacher. „Wo Stadterneuerung arbeitet, stinkt und raucht es“, bebilderte Gerkens sein Arbeitsgebiet. Stadtviertel dürften nicht vorrangig nur für Einkommensschwache geplant werden, weil dies weitere Probleme mit sich bringe.
Aus dem Publikum kam eine weitere Nachfrage zu dem Gebiet am Bayrischen Bahnhof. Es wird zurzeit neu bebaut. Die Befürchtung war, dass dort eine Luxus-Bebauung stattfinden und somit der Mietspiegel steigen könnte. Der Amtsleiter bestätigte mögliche Konsequenzen. „Wenn das ein hochpreisiges Viertel wird, versaut uns das den Mietspiegel.“ Er bekräftige das nach wie vor bestehende Interesse der Verwaltung an preiswerten und selbstbestimmten Angeboten für die Leipziger.
Über Gestaltungsmöglichkeiten wurde viel geredet. Derzeitige Freiflächen könnten in der Stadtplanung umgewidmet werden, was für den Park an der Leopoldstraße, der zum Verkauf steht, machbar wäre.
Gerkens sprach aus, was gern in der Diskussion über die Handlungsmöglichkeiten der städtischen Verwaltung bezüglich der Wohnungspolitik vergessen wird. „Dazu gehört auch, dass der Stadtrat sagt, wir nehmen Geld in die Hand.“ Mit der derzeitigen Haushaltssituation ein fragliches Unterfangen, von dem wohl nicht der gesamte Stadtrat überzeugt sein dürfte, ob aus mangelnden Weitblick oder finanziellen Abwägungen.
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