Jeder fängt mal klein an - und eher ist es überraschend, dass erst ein Berliner Projektteam mit dieser Idee in die Umsetzung gehen muss. Denn nicht nur Reisende würden ja gern ab und zu das Grab berühmter Leute besuchen. Einfach, um auch mal einen Lorbeerzweig hinzulegen, wie es der Leipziger Dichter Christian Fürchtegott Gellert längst verdient hätte. Er liegt - nach zwei etwas erzwungenen Umzügen - auf dem Leipziger Südfriedhof begraben.
Eine Friedhofs-App führt den Besucher jetzt zu seinem Grab. Es ist keine spezielle Leipziger Applikation, sondern von einem Berliner Projektteam entwickelt – mit kräftiger finanzieller Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). Logisch, dass Berliner Friedhöfe auch schon den größten Bestand in diesem neuen technischen Angebot bilden. Für 37 national bedeutsame historische Friedhöfe in Deutschland wurde diese WebApp entwickelt. Das Informationsangebot zu rund 1.000 kulturhistorisch bedeutenden Grabmalen steht seit November 2014 online zur Verfügung.
Die App navigiert den Nutzer zu den einzelnen Grabmalen und vor Ort können die Informationen als Audio-Datei abgespielt werden. Die Texte wurden von Autoren verfasst, die sich intensiv mit dem jeweiligen Friedhof beschäftigen. Hans-Jürgen Schatz, bekannter Schauspieler/Rezitator, hat die Texte zu den Grabmalen und den Friedhöfen eingelesen. Umfangreiches Bildmaterial rundet die Präsentation ab und ermöglicht es, auch zu Hause einen emotional ansprechenden Eindruck dieser Kulturdenkmäler zu bekommen.
www.wo-sie-ruhen.de dient zur Routenplanung und audio-visuellen Information über Ehrengrabstätten, Gräber berühmter Persönlichkeiten, Grabmale mit herausragender architektonischer wie kunsthistorischer Bedeutung sowie solche mit außergewöhnlichen Restaurierungsarbeiten. Die WebApp kann mit allen “smarten” Geräten wie z.B. Smartphone, Tablet, iPad, Smart TV und natürlich auf dem PC aufgerufen werden. Damit wird ein flexibler und spontaner Zugriff auf Informationen zu den Friedhöfen und Grabmalen in ihren jeweiligen räumlichen und kulturellen Kontext ermöglicht.
Zu Gellerts Grab erfährt man da zum Beispiel die abenteuerliche Geschichte seiner diversen Umbettungen, einiges zur Berühmtheit des Dichters zu Lebzeiten – die berühmte Szene mit Friedrich II. und sein “Geben Sie Frieden, Sire!” findet man leider nicht.
Für Leipzig waren die beiden Auroren Heidrun Sprinz und Tim Tepper unterwegs und haben die Geschichten von erst einmal 30 Grabstellen auf dem Leipziger Südfriedhof recherchiert. Erst einmal aus gutem Grund, denn tatsächlich bietet allein der Südfriedhof hunderte Grabstellen, wo namhafte Leipziger gefunden werden können. Die Auswahl ist also durchaus noch klein – und zuweilen auch etwas eigenwillig. Den Gehörlosenpädagogen Samuel Heinicke kennt man einfach, den Papierfabrikanten Gustav Najork eher nicht – auch wenn er natürlich zu den großen Unternehmern aus dem Zeitalter der blühenden Buchstadt Leipzig gehört.Gellert taucht als Nr. 3 im kleinen Spaziergang über den Südfriedhof auf, vor dem Brauereibesitzer Friedrich August Ulrich, dem Verleger Hermann Julius Meyer und dem Baumeister Heinrich Bruno Oehlschlegel, der die Paul-Gerhardt-Kirche in Connewitz baute. Was schon ins Grübeln bringt: Liegen auf dem Südfriedhof nicht viel berühmtere Architekten? Hugo Licht zum Beispiel und Carl James Bühring?
Der ferne Blick aus Berlin verschiebt wohl den Fokus. Und lässt Vieles nicht sehen, was aus der Nahperspektive zwingend zu erzählen wäre. Eher staunt man, dass den beiden Autoren der Maler Wolfgang Mattheuer und die Dichterin Lene Voigt nicht durch die Lappen gegangen sind, der Gewandhauskapellmeister Carl Reinicke und der im Reichtagsbrandprozess zum Tode verurteile Marinus van der Luppe. Aber 30 Grabstellen – und da sind auch der überflüssige sozialistische Ehenhain mit dabei und das Erinnerungsmal für die im 1. Weltkrieg gestorbenen Leipziger Infanteristen – reichen natürlich nicht ansatzweise, um auch nur ein Bild für den Leipziger Südfriedhof zu geben. Allein nur die Berühmtesten genannt, die hier fehlen: Max Abraham (Musikverleger), Cliff Aeros (jawohl der von Zirkus Aeros), Fritz Baedeker (Sohnemann vom Karl Baedeker, der den berühmtesten Reiseführer des 19. Jahrhunderts erfunden hat), Fred Delmare (Schauspieler), Paul Flechsig (Neurologe), Alfred Frank (Maler), Jürgen Hart (Jawoll: Sing, mei Sachse, sing – liegt übrigens gleich neben Lene), Otmar Gerster (Komponist), Paul Herfurth (der Zeitungsmagnat), Ludwig Hupfeld (der Klavierbauer), Franz Konwitschny (Gewandhauskapellmeister), Erhard Mauersberger (Thomaskantor), Georg Maurer (Dichter), Julius Motteler (der “rote Postillon”) usw. usf.
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Die Zeit wird knapp …
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Er gehört nicht zu den spektakulären …
Und das ist nur der Südfriedhof. Für den Alten Johannisfriedhof wäre die Liste genauso lang. Und ein echter Geniestreich wäre so eine App für den Neuen Südfriedhof, wo bis 1879 die eigentliche Leipziger Gründerzeitgesellschaft beerdigt wurde (man denke nur an die ganze Brockhaus-Familie).
Es ist keine wirklich gelungene Erst-Auswahl für Leipzigs Südfriedhof, die hier getroffen wurde. Das Ganze ist nicht nur ausbaufähig, es sollte recht bald ausgebaut werden, um zumindest ein wirkliches Verständnis von der Bedeutung dieses Friedhofs zu vermitteln.
In Dresden sind die Autoren wieder anders vorgegangen und haben sich den Alten Katholischen Friedhof vorgenommen, der im 19. Jahrhundert geschlossen wurde. Hier liegen Leute wie Permoser und Carl Maria von Weber begraben. Dafür kommt das modernere Dresden nicht vor. Dessen Vertreter liegen alle auf dem Dresdner Johannisfriedhof, der eher mit dem Leipziger Südfriedhof zu vergleichen ist. Und da liegt einer, der sich mit Friedhöfen und Berühmtheiten auskannte wie kein zweiter: der Feuilletonist Heinz Knobloch.
Wenn die Autoren vorhaben, die App tatsächlich mal auf den Stand der Dinge zu bringen, haben sie jetzt noch richtig viel Arbeit vor sich.
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