Privatisierung und Deregulierungsmaßnahmen gehören zum Rüstzeug des Neoliberalismus, einer Ideologie, die nach den Worten von Prof. Dr. Klaus Peter Kisker, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der FU Berlin, nicht die Lösung der Krisen herbeiführt, sondern diese zusätzlich verschärft. Der Neoliberalismus ist danach das Instrument zur Wiederherstellung und Sicherung der Macht ökonomischer Eliten, deren Allmachtsphantasien nur durch die Idee des ständig möglichen Wachstums realisierbar sind.
In der in diesem Jahr in Leipzig stattfindenden Degrowth-Konferenz wird dieser Idee vom “Wachstum um des Wachstums willen” entgegengearbeitet, die Edward Abbey (1927 – 1989), ein amerikanischer Naturforscher, Philosoph und Schriftsteller einmal als “Ideologie der Krebszelle” bezeichnete und damit auf die zerstörerischen Faktoren entfesselten Wachstumswahn aufmerksam machte.
Bislang gab es in Paris 2008, Barcelona 2010 sowie Venedig und Montreal 2012 internationale Degrowth-Konferenzen. In Leipzig wird diese durch fünf Organisatoren getragen, von denen der Förderverein Wachstumswende e. V. und der Leipziger Think Tank “Konzeptwerk Neue Ökonomie” besonders stark mitgewirkt haben. Ebenso sind etwa 70 Ehrenamtliche im Einsatz.
Mittels vieler Veranstaltungen, die vom 2. bis 6. September in der Universität Leipzig stattfinden, werden konkrete Möglichkeiten einer Überwindung des Wachstumsparadigmas durchgespielt. Ob in klassischen Vorträgen, Podiumsdiskussionen oder Performances, Ausstellungen, Konzerten und Filmen – alle Formate sollen dem Ziel zuarbeiten, eine Gesellschaft zu schaffen, “in der Menschen mit Rücksicht auf ökologische Grenzen in offenen, vernetzten und regional verankerten Ökonomien leben. Degrowth stellt nicht nur das Bruttoinlandsprodukt als zentralen Maßstab der Politik infrage, sondern beschreibt darüber hinaus Wege für einen radikalen Wandel unseres Wirtschaftssystem”, heißt es in der Pressemitteilung.
Der Zeitwohlstand werde dereinst den Güterwohlstand ablösen, Effizienz soll durch eine Ausrichtung auf Suffiziens ergänzt werden und technische Innovationen sollen so eingesetzt werden, um ein gemeinschaftliches Leben jenseits von Konkurrenz zu ermöglichen. Die schöne neue Welt der Schrumpfung und der Rückbesinnung soll eine Welt ohne Wachstum sein? Warum allerdings das Wort Wachstum, wenn auch mit einem negativen Vorzeichen (Degrowth zu deutsch soviel herab wachsen, also schrumpfen), dort auftaucht, wo die Unabhängigkeit von ihm proklamiert wird, zeigt schon zu Beginn die Schwierigkeiten der Begriffsprägung. Denn bestünde nicht die prinzipielle Gefahr eines Rückfalls in die abgelebten Modi des gesellschaftlichen Miteinander? Steht uns eine neue Biedermeierzeit ins Haus?
Auch das communistische Labor translib aus Leipzig hat sich kritisch zur Konferenz geäußert. Vor allem das Anwachsen der Konferenz auf eine stattliche Größe von 3.000 Teilnehmern (was von den Veranstaltern gern betont wird) steht für die Theoretiker aus Lindenau in konkretem Widerspruch zur Idee der Schrumpfung. Auch seien die geistige Leere und “intellektuelle Konfusion” “der key to success für eine Bewegung, die sich um jeden Preis aufblähen will.” Die translibInner vermuten, dass sich hinter der Konferenz die Gesundschrumpfung des Kapitalismus verbirgt und dass der reformistische Traum vom Kapitalismus mit menschlichem Antlitz weitergeträumt wird.
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Nichtsdestotrotz versuchen die Veranstalter, auch abseits der Konferenz bescheiden zu sein und die praktische Umsetzung dessen, was während der Konferenz zu besprechen ist, zu leben. So werden die durch die An- und Abreisen der Teilnehmenden entstehenden Treibhausgase durch den Kauf von Zertifikaten mit Gold-Standard ausgeglichen. Um diese Emissionen klein zu halten, sind die Besucher angehalten, möglichst umweltfreundlich anzureisen. Das Fahrrad ist da natürlich erste Wahl. Aber auch der ÖPNV kann von den Teilnehmern genutzt werden. Des Weiteren wird mit der Konferenz kein Gewinn erwirtschaftet, so der Veranstalter. Dazu wird ein Großteil des Gemüses von der lokalen Gemüsekooperative Rote Beete bezogen.
Am Standort Leipzig zeigt sich für den Veranstalter die thematische Problematik der Konferenz selbst. Über eine lange Zeit war Leipzig selbst eine “schrumpfende Stadt”. Dadurch konnten Freiräume entstehen, in denen sich degrowth-relevante Projekte entwickeln konnten. Da die Messestadt seit einigen Jahren aber das komplette Gegenteil der Schrumpfung geworden ist und manche Projekte vom nahenden Ende bedroht sind, sei es gerade in Leipzig wichtig, mit der Konferenz auf die Problematik aufmerksam zu machen.
Heute beginnt die Konferenz mit der Frage, was Degrowth sein kann. Am morgigen Mittwoch wird die Frage nach Widerstand gegen und Kritik an den Krisen verhandelt, am Donnerstag geht es um die Möglichkeiten, wie Bündnisse zu schließen sind. Am Abschluss-Freitag wird memoriert und zusammengefasst.
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