In den Urlaub fahren wir alle gern. Aber warum? Was macht die sogenannte Reiselust oder das Fernweh aus? Weh spricht vergeh, denn alle Lust will Ewigkeit. Dieser Satz aus Nietzsches "Also sprach Zarathustra" gilt hier in erhöhtem Maße. Mit dem Gang in die Ferne, zu der es uns zieht, die wir als Ideal aufrichten, sollen die Beschwerden des Alltags gelindert werden. Unlust soll vermieden werden.

Wenn man nun aber an überfüllte Strände, schlechte Hotels oder zugefüllte Basislager am Himalaya denkt, dann ist es mit der Lust schnell wieder vorbei. Im Urlaubmachen, im Tourismus steckt etwas, das ihn selbst verhindert, seinen eigentlichen Sinn negiert. Schon Hans Magnus Enzensberger hat 1958 in seiner Theorie des Tourismus auf dieses Phänomen hingewiesen. Dem Tourismus fehle es an einer historischen Verständigung über sich selbst, über seine eigene Dialektik. Die Kritik des Tourismus gehört zu ihm selbst.

Reisen war vor der touristischen Erschließung der Welt eine der ältesten und allgemeinsten Figuren menschlichen Lebens. Wirtschaftliche Zwänge oder klimatische Ursachen waren die Beweggründe der Nomaden. Lust war zu Beginn nicht im Spiel. Ziel war es Not abzuwenden. Eben dieses Abwenden einer Notlage hängt dem Reisen auch heute noch an, ist sein unauslöschliches Erbe. Nur heute steht der Wunsch, sich von etwas zu entfernen, was nicht per se mit Not in Verbindung gebracht werden muss, im Vordergrund – die Lust, den Bedingungen der Alltags zu entfliehen.

Für das Aufkommen des Tourismus gab es spezifische historische Situationen. Die Entwicklung der Fremdenverkehrsökonomie gliedert sich in drei Phasen (Dr. Walter Freyer). In der Vorphase war Reisen reiner Selbstzweck, war mühsam und mit vielen Gefahren verbunden. Reisen war Privileg oder Pflicht von Minoritäten.

Die ersten, die aus eigenem Antrieb auf Reisen gingen, waren die Händler, Minnesänger, Pilgerreisende oder Entdecker wie Marco Polo, dessen Reisetätigkeit von vielen seiner Zeitgenossen beargwöhnt wurde. Im Zusammenhang mit den Reisen der Entdecker war Reisen auch immer ein Mittel der Politik, um sich andere Absatzmärkte und Rohstoffquellen anzueignen. Diese Eigenschaft hat der Tourismus bis heute beibehalten und darf nicht ohne Grund als Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mittel verstanden werden. Ebenso spielt die Rolle des Kulturimperialismus eine entscheidende Rolle.
Beim Adel erkennt man in der Grand Tour, während der sie sich in einer Reise durch ganz Europa vervollkommnen wollten, schon Ansätze, die das aufstrebende Bildungsbürgertum, das im ausgehenden 17. Jahrhundert ins Reisegeschäft einsteigt, übernehmen wird.

Im Zuge der Industriellen Revolution ergaben sich einige historische Veränderungen, die dem Tourismus Tür und Tor öffneten. Mit dem Ausbau des Post- und Nachrichtenwesens, der Verbesserung des Verkehrswesens (Dampflok und -schiff) verringerten sich die Reisezeit und die Reisekosten. Im gleichen Maßstab nahmen die Transportkapazitäten zu. Der höhere Wohlstand erlaubte es nun auch Beamten und Angestellten, in den Urlaub zu fahren. Die erste Pauschalreise fand am 5. Juli 1851 statt und wurde von Thomas Cook veranstaltet, dessen Andenken in der gleichnamigen Reisekette bewahrt wird.

Die erste Zäsur im Reiseverkehr bildet der Erste Weltkrieg. Nach dem Verebben während des Krieges folgte eine Phase der Konsolidierung. Nach der Novemberrevolution gab es die ersten Urlaubsregelungen (zwischen drei und sechs Tagen) und schließlich entwickelten die Nationalsozialisten mit ihren organisierten Urlaubs- und Feriengestaltungen zu niedrigen Preisen eine Art Massentourismus. 1933 wurde der Reichsausschuss für Fremdenverkehr gegründet. Dieser erste Reiseboom verwies schon auf die Eroberungszüge der Nazis, die damit spielerisch den Ernstfall probten.

Die Hochphase der Ware Tourismus erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Tourismus wurde institutionalisiert, produziert und vermarktet. Normung der Reiseziele, Montage der Sehenswürdigkeiten und Serienfertigung von Gesellschaftsreisen prägen die Zeit. Die ersten Charterflüge werden gebucht, 1962 entstehen die ersten Touristikabteilungen von Quelle, Neckermann und TUI. Der Bürger will in die Ferne schweifen, weil das nahe Leben nun doch auf Dauer nicht das erfüllt, was es sprichwörtlich verspricht. Vermassung, Arbeit in der Produktion, Kommunikationsarmut, Entfremdung – all diese Phänomene lassen den Wunsch nach dem Anderen entstehen, dem sich der Bürger mittels der Flucht in die vermeintliche Fremde übergibt.

Genau an diesem Punkt setzt Enzenbergers Kritik an. Der Versuch, den in die Ferne projizierten Wunschtraum zu verwirklichen, muss zwangsläufig scheitern. “Je mehr sich die bürgerliche Gesellschaft schloss, desto angestrengter versuchte der Bürger, ihr als Tourist zu entkommen. Diese Flucht vor der selbstgeschaffenen Realität wurde erleichtert durch die selben Kommunikationsmittel, mit deren Hilfe diese sich verwirklichten”, heißt es in seinem Aufsatz “Vergebliche Brandung der Ferne – Eine Theorie des Tourismus”. Exemplarisch nachvollziehbar auch an dem damals noch nicht erfundenen Smartphone. Die angesprochene Flucht, von der oben die Rede ist, wird durch die ständige Verfügbarkeit des weltweiten Netzes (Internet) scheinbar garantiert. Die fadenscheinige Freiheit entpuppt sich am Ende als eine Abhängigkeit, deren Stoff die immer wieder abgerufenen Bilder der Aufmerksamkeitsmaschine ist.

Sie könnten jetzt fragen, was das Internet mit Reisen zu tun habe. Ganz einfach: mittels der digitalen Bahnen surfen (ein Begriff aus dem Freizeitsport) wir durch die Datenwelt, betreten fremde Orte, sprechen andere Menschen, gehen auf Weltreise. Das diese Art des Reisens ebenso nicht den Wunsch nach Beziehung oder Freiheit erfüllen kann, ist ein Phänomen, das auch dem Tourismus eigen ist. “Die Befreiung von der industriellen Welt hat sich selber als Industrie etabliert, die Reise aus der Warenwelt ist ihrerseits zur Ware geworden.” Ebenso sind die Mittel, mit denen man der Warenwelt entkommen will, solche, die den Wunsch nach der Flucht erst haben entstehen lassen. Und paradoxerweise sind es dann genau dieselben Mittel, mit denen die Flucht gelingen soll. Nicht sonderlich überraschend, dass Enzenberger schrieb: “In dem, was mitfuhr, spiegelte sich, was man zurückgelassen hatte.”

Enttäuschung ist in diesem Zusammenhang für Enzensberger ein zentraler Begriff. Denn der Tourismus verdoppelt nach jeder Enttäuschung die Anstrengung, von neuem die Enttäuschung zu tilgen. Dieser Versuch kann als Wiederholungszwang charakterisiert werden, ist er immer wieder im Begriff das zu reproduzieren, von dem er eigentlich loskommen will. Wer hat nicht schon mal wehmütig Abschied genommen, von einer Sommerliebe, von einem Ort, dessen Beschaffenheit idealer Natur war? Urlaub ist immer auch das aufgepflanzte Traumbild des nicht Existenten, das für die kurze Zeit der Reise seinen Vorschein aufleuchten lässt, doch in der Fremde keine Erfüllung finden kann. Um die Vergeblichkeit der Flucht weiß der Reisende selbst.

Der Wunsch nach diesem Anderen ist menschlicher Natur und soll hier nicht in Misskredit gebracht werden. Doch wenn sich dieser Wunsch selbst nicht verstanden hat, dann bietet er sich zur Ausbeutung durch die Fremdenverkehrsökonomie an, deren Ziel Gewinnmaximierung ist.

Niemand soll hier dafür gescholten werden, dass er faul am Strand rumliegt und nicht mit Enzenbergers Text die Massen der touristischen Ströme bekehrt. Denn, auch das darf nicht vergessen werden: Reisen soll im besten Fall Entspannung bringen, kann den angestrengten Hirnkasten für eine Zeit des Müßiggangs herunterfahren. Doch sollte dabei nicht vergessen werden, dass das schwerste Gepäck immer noch das eigene ist. Und das schleppt man immer mit sich rum.

Für den Rest der Zeit bietet es sich an, sich von Zeit zu Zeit über Möglichkeit, Begrenzung und Gefahren des Tourismus Gedanken zu machen. Findet man dann den erhellenden Gedanken, der die Endlosschleife der Wiederholung durchbricht, ist dieses Erlebnis genauso entspannend wie ein Aufenthalt am Strand.

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