Es ist ein Großprojekt, bei dem die Baukosten genauso heftig aus dem Ruder gelaufen sind wie beim City-Tunnel Leipzig: der neue Campus der Universität Leipzig, der eigentlich zum 2. Dezember 2009 schon fertig sein sollte. Doch der 600. Geburtstag der Universität Leipzig wurde damals auf einer Baustelle gefeiert. Oder besser: in einer Baustelle, dem künftigen Paulinum.

144 Millionen Euro sollte der gesamte um- und neugebaute Campus der Universität ursprünglich kosten. 2008 gingen die Bauherren dann schon von mindestens 190 Millionen aus. Am Ende werden es wohl 250 Millionen Euro werden. Allein die beiden Neubauteile Neues Augusteum und Paulinum schlagen statt mit geplanten 76 Millionen Euro wohl mit 116 Millionen zu Buche. Den Zeitverzug gibt’s quasi als Dreingabe.

Oder als logische Begleiterscheinung, denn es sind Bauverzögerungen, die Großprojekte schnell finanziell aus dem Ruder laufen lassen. Wenn dann noch ein jahrelanges Hickhack mit dem verantwortlichen Architekturbüro von Erik van Egeraat dazu kommt, ist das Ergebnis für den Steuerzahler meist teuer.

Ob’s so schön wird, wie gedacht, werden die Gäste am Dies academicus am 2. Dezember sehen, wenn wenn das Paulinum dann auch in seiner Doppelfunktion als Aula/Universitätskirche in Betrieb gehen kann. 2009 war der große Allzweckraum noch ein nackter, leerer Betonkörper, für den Festakt zur 600-Jahr-Feier dekorativ ausgekleidet, damit er überhaupt nach was aussah.

Der raumbildende Ausbau begann tatsächlich erst im Sommer 2012, nachdem man endlich mit dem benachbarten Neuen Augusteum fertig war.

“Die neue Aula/Universitätskirche im Paulinum bildet das geistige und geistliche Zentrum der Universität Leipzig”, betont die Universität. “Architektonisch an die gesprengte Universitätskirche erinnernd wird der Raum verschiedenen Nutzungen des universitären Lebens wie Festveranstaltungen, Konzerten und Kongressen, aber auch externen Veranstaltungen dienen.”
Im September 2009 beschloss der Senat der Universität die Nutzungskonzeption für das Paulinum, in dem alle angemeldeten Nutzungsansprüche versucht werden abzubilden. Darin heißt es zum Beispiel: “Die Nutzungsinteressen aller potentiellen universitären Nutzer sind dabei angemessen zu berücksichtigen. Um die Koordination verschiedener Veranstaltungstypen zu erleichtern, erfolgt die Raumplanung durch die Zentralverwaltung. Für Universitätsgottesdienst und Universitätsmusik werden hier feste Termine, wie beispielsweise 11:00 Uhr sonntags zum Gottesdienst, vorgesehen. Die Entscheidung über die Nutzung für Konzerte erfolgt im Benehmen mit dem Universitätsmusikdirektor. In allen Zweifels- oder Konfliktfällen entscheidet die Rektorin. Das Potential der Räumlichkeiten, ein breites universitäres wie außeruniversitäres Publikum anzuziehen und so zur Öffnung der Universität beizutragen, steht im Mittelpunkt aller Nutzungsentscheidungen.”

Im Februar 2013 werden die Glastüren an der Decke vormontiert, jene Glastüren, die in den vergangenen Jahren immer wieder für heftigen Streit sorgten. Wahrscheinlich wird sich erst im täglichen Betrieb herausstellen, wie nützlich sie tatsächlich sind – oder ob allein schon die 500.000 Euro für diesen gläsernen Raumteiler rausgeschmissenes Geld sind.

Aus Sicht der Kustodie der Universität Leipzig sind die gläsernen Raumteiler unbedingt notwendig, denn der große Raum hat ja noch eine dritte Funktion: Er ist Ausstellungsort für einen Großteil der 1968 aus der alten Paulinerkirche geretteten Epitaphe.

“Aus raumklimatischen Gründen wird die Aula/Universitätskirche durch einen transparenten Raumteiler in einen Ost- und einen Westteil unterteilt”, betont die Universität dazu. “Der Westteil soll hauptsächlich akademischen und musikalischen Veranstaltungen dienen; der Ostteil bleibt Universitätsgottesdiensten vorbehalten und wird die aus der gesprengten Paulinerkirche geretteten Kunstwerke präsentieren. Bei Bedarf können Ost- und Westteil gegenseitig zugeschaltet werden.”

Und aussehen soll der große Aula-Raum trotzdem ein wenig wie einst das Kirchenschiff der Universitätskirche St. Pauli: Im Frühjahr 2014 wird im Paulinum das Netzrippengewölbe ausgebildet, die “hängenden” Säulen werden installiert und im Anschluss die Bodenplatten aus Kirchheimer Muschelkalk verlegt. Parallel dazu beginnt der Einbau der großen Jehmlich-Orgel und der Metzler-Schwalbennestorgel. Der Altar wird Ende September 2014 aus der Thomaskirche ins Paulinum überführt, bedeutende Epitaphien werden wieder aufgehängt.

Noch ungeklärt ist die mögliche Anbringung der historischen Kanzel, zur Klärung der offenen konservatorischen und technischen Fragen hat sich eine Expertenkommission unter Leitung des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen gebildet.

Vielleicht wird man auch wirklich erst, “wenn alles fertig ist”, sehen, wie gut Erik van Egeraat die Idee einer Universitätskirche, die ganz modern auch als Aula, Konzert- und Veranstaltungsraum genutzt werden soll, getroffen hat. Immerhin war auch die Entscheidung für den Entwurf des Rotterdamer Architekturbüros Erik van Egeraat associated architecs EEA eine heiß umstrittene. Es gab zwar den Neubaubeschluss von 2001, aber ob es im neuen Campus überhaupt einen architektonischen Bezug auf die 1968 gesprengte Universitätskirche geben würde, war gerade in den beiden ersten Jahren Debattenthema.

2003 gab es dann sogar den Komplettschwenk im damaligen Wissenschaftsministerium und den Leipzigern wurde tatsächlich der Wiederaufbau der Kirche St. Pauli am alten Platz versprochen – die Bauteile existieren ja alle noch, auch wenn sie 1968 einfach wild in der Etzoldtschen Sandgrube abgekippt wurden. Es wäre ein ähnliches Puzzle-Werk geworden wie der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche (1996 – 2005). Doch der Rücktritt des damaligen Universitätsrektors Volker Bigl sorgte für die nächste Kehrtwende und man einigte sich dann recht schnell auf einen Kompromiss – kein Wiederaufbau von St. Pauli, aber ein sichtbarer architektonischer Bezug auf die so sinnlos gesprengte Kirche.

Am 24. März 2004 kürte die Jury der Universität dann den Entwurf Erik van Egeraats mit zehn zu drei Stimmen zum endgültigen Sieger des Architekturwettbewerbs. Dass van Egeraat noch nicht jedes Detail in seinem Entwurf fertig ausformuliert hatte, gab dann Raum für neue Diskussionen.

Am 26. September 2008 beschloss dann die Baukommission der Universität den Einbau der Trennwand zwischen Aula und Andachtsraum.

Die neue Aula wird dann einer der größten Veranstaltungsräume im Herzen von Leipzig und aus Sicht der Universitätsleitung auch höchst attraktiv für wissenschaftliche Konferenzen und Kongresse: sie wird 550 Sitzplätze und 120 weitere Plätzen auf der Empore bieten, dazu im Andachtsraum weitere 130 Plätze.

Die Standardnutzungen, die der Senat im September definiert hat: “Dies academicus, Gottesdienste, Ehrenpromotionen/Festvorträge/Festkolloquia, Universitätsmusiktage, Konzerte, Theater und weitere Kulturveranstaltungen, Antrittsvorlesungen, Jahresversammlungen, Sonntagsgespräche, Festveranstaltungen der Universität, Tagungseröffnungen/Plenarsitzungen, öffentliche Disputationen, Vollversammlungen großer Gremien, Universitätsfeste, studentische Veranstaltungen, Empfänge, Gebäudeführungen …”

Die technische Ausstattung erlaubt sogar noch ein bisschen mehr: “Festvortrag, Große Andacht (Gottesdienst), Kleine Andacht (Gottesdienst), Orchesterkonzert/Aufführungen/Szenenspiel, Orgelkonzert, Dispute, Festkolloquium, Festveranstaltung, Bankett, Vollversammlung …”

In der Nutzungskonzeoption wird extra betont: “Im Paulinum, dem Herzstück des neuen baulichen Komplexes, soll unter den vorgenannten Aspekten die Vielfalt der Universität sichtbar werden. Dazu wird vom Rektorat ein Initiativkreis ins Leben gerufen, der Rektorat, Fakultäten und Verwaltung bei der Realisierung unterstützt.”

Die Erinnerung an die gesprengte Universitätskirche wird auf besondere Weise bewahrt: “Im Paulinum ist die Universitätsglocke aufgehängt. Zu Beginn der jährlichen Festveranstaltung am Dies academicus, zur Immatrikulationsfeier sowie zum Gedenken an die Sprengung am 30. Mai 1968, 11:00 Uhr – an jedem 30. Mai, 11:00 Uhr, wird die Glocke geläutet. Außerdem kann sie im Kontext der Universitätsgottesdienste nach Maßgabe des Ersten Universitätspredigers geläutet werden. Die Entscheidung zum Läuten bei besonderen Ereignissen bleibt der Rektorin vorbehalten.”

Zum Baugeschehen auf dem Uni-Campus:
www.zv.uni-leipzig.de/universitaet/profil/entwicklungen/baugeschehen/1990-2014.html

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