Schönefeld ist vorerst das Zuhause der Familie Habibi (Name geändert). Im ehemaligen Fechner-Gymnasium an der Löbauer Straße ist im Eiltempo eine Notunterkunft für 120 Flüchtlinge eingerichtet worden. Bis Weihnachten werden bereits 87 Menschen angekommen sein. Während die Stadtverwaltung unter Hochdruck nach geeigneten Dauerunterkünften sucht, leben die Familien und Einzelpersonen nun in der ehemaligen Schule.
An diesem Dienstag ist nicht nur das Wetter sonnig, sondern auch die Stimmung im Haus. Nach den Aufregungen um den Einzug der ersten Asylbewerber – die NPD hatte eine Demonstration organisiert, war aber im Gegenprotest untergegangen – scheinen die Hausbewohner zu einer Routine und einem fast normalen Alltag gefunden zu haben.
“Wir sind mit vielen Dingen unzufrieden”, sagt Renate Walkenhorst, Pressesprecherin der Betreiberfirma European Homecare. Zum Beispiel damit, dass keine Wasserkocher auf den Zimmern geduldet werden. “Es gehört für viele Kulturen zum guten Ton, Gästen wenigstens ein heißes Getränk anzubieten”, erklärt sie. Wegen der Brandschutzbestimmungen, welche das Gebäude nicht erfüllt, sind aber keine elektrischen Geräte geduldet. Nicht mal Kühlschränke. “Wir müssen das Beste draus machen”, so Walkenhorst. Noch hatte das Personal kaum Zeit, mit einzelnen Familien über ihre Flucht zu sprechen. Erst seit zehn Tagen ist das Haus in Betrieb.
Doch hinter jeder Familie steckt eine Geschichte. Eine traurige. Wie die der georgischen Familie, die sich nicht traut, sich interviewen zu lassen. Zuerst waren Sie bereit, doch als sie erfahren, dass es eine Online-Zeitung ist, wird Ihnen die Sache zu gefährlich. Denn dann könnte ja jeder auf der Welt über sie lesen. Und Fotos sind auch keine gute Idee, verpixelt oder nicht, denn sie sind politische Flüchtlinge und fürchten um die Konsequenzen – der Vater ist auf der Flucht verletzt worden. “Die Geheimdienste sind sehr aktiv, das darf man nicht unterschätzen”, kommentiert Walkenhorst.Die größte Zahl der Flüchtlinge im Fechner-Gymnasium stammt aus Syrien. Wie auch Familie Habibi, die sich, nach einigen Erklärungen, doch bereit zeigt, Fragen zu beantworten. Omar Habibi und seine Frau haben vier Kinder, die sie umringen. Es sind zwei Jungen – der eine halbstark, der andere schätzungsweise zehn Jahre alt – und zwei Mädchen – acht und drei Jahre alt. Die Mutter nimmt die Kleinste erst auf den Schoß, dann fallen dem Mädchen die Augen zu und sie schlummert an der Schulter der Mutter ein. Einer der drei Wachmänner des Hauses spricht Arabisch. Er übersetzt für Habibi und seine Familie. Als sie gefragt werden, ob man Fotos machen dürfe, zögern sie. Die Zusicherung, dass die Gesichter unkenntlich gemacht werden, beruhigt sie jedoch und sie willigen ein. Über die politischen Hintergründe der Flucht seiner Familie will Omar Habibi nicht reden.
Omar erzählt: “Wir kommen aus Damaskus, der Hauptstadt Syriens. Die erste Station unserer Flucht war in Ägypten. Dort haben wir auch entschieden, nach Deutschland zu gehen.” Die Familie hat einige Freunde, die bereits nach Europa gekommen sind. Einige davon leben in den Niederlanden, andere in Deutschland. “Deutschland ist uns empfohlen worden. Uns wurde gesagt, hier werdet ihr gut empfangen, hier werdet ihr gut versorgt”, so Habibi. Wie schätzt er die Chancen ein, dass er mit seiner Familie hier bleiben kann? “Das weiß ich nicht”, antwortet er. “Nur Gott weiß, wie lange das dauert. Jetzt sind wir erst mal hier. Hier fühlen wir uns sicher.” Es sei im Vergleich zu ihrer Heimat ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde. “Daheim in Syrien hatten wir jeden Tag Angst zu sterben. Dort sterben jeden Tag Kinder”, sagt Habibi. Die Unterbringung schätzt die Familie als gut ein, auch die Betreuer seien sehr freundlich.Bei der Frage, wie er sich die Zukunft vorstellt, antwortet er: “Meine größte Sorge als Vater ist, dass es den Kindern gut geht. Zur Zeit ist uns alles egal, wir wollen kein Geld, nichts, außer dass sich unsere Kinder sicher fühlen, dass sie lernen und etwas erreichen können. Ich bin schon 42 Jahre alt, für mich ist es schon fast zu spät, aber meine Kinder sollen Chancen haben.” Die Hoffnung, je wieder nach Syrien zurück zu kehren, scheint die Familie aufgegeben zu haben. Selbst wenn sich die Situation in dem bürgerkriegsgeplagten Land bessern sollte. “Vielleicht als Gäste, wenn man Freunde und Familie besucht. Aber nicht auf die Dauer, nein, besser nicht”, so Habibi.
Bis März kommenden Jahres noch bleibt die Familie hier untergebracht. Bis dahin kümmert sich die Stadt Leipzig um eine geeignetere Dauerunterkunft. Solange haben die Habibis ein Zimmer in der alten Plattenbau-Schule bezogen. Jede Familie hat ihren eigenen Raum, ein ehemaliges Klassenzimmer, zur Verfügung. “Für Familien, die in der Regel vier oder fünf Kinder mitbringen, ist das ideal”, sagt Walkenhorst. Für Einzelpersonen, die zu viert in einem Raum untergebracht werden, nicht. “Jetzt müssen wir erst einmal mit der Situation leben, so wie sie ist”, stellt sie fest. Die Habibis sind dankbar für ihre Unterbringung. Auch die georgische Familie. Dem Übersetzer hatten auch sie erzählt, dass das Schönste sei, dass ihre Kinder in Sicherheit sind. Nun könnten die Kinder endlich wieder durchschlafen. In der Heimstatt an der Löbauer Straße.
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