Vor 75 Jahren, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, brach in Deutschland ein Sturm der Gewalt über jüdische Mitbürger aus. Sie wurden aus ihren Wohnungen geprügelt und verschleppt, ihre Geschäfte und Gemeindeeinrichtungen demoliert und geplündert. In den frühen Morgenstunden des 10. November erreichte das Grauen der Reichspogromnacht auch Leipzig - unter anderem wurde die große Synagoge der Jüdischen Gemeinde an der Gottsched-/Ecke Zentralstraße, die am 10. September 1855 eingeweiht worden war, in Brand gesteckt.
An diesem Ort, an dem seit 1966 ein Gedenkstein und seit 2001 ein Mahnmal an die furchtbaren Ereignisse vom November 1938 erinnert wird, findet am 9. November, 18 Uhr, die zentrale Gedenkveranstaltung der Stadt Leipzig zur Pogromnacht statt.
Schon vorher laden die Initiativgruppe “Mahnwache und Stolpersteine putzen” und des Erich-Zeigner Haus e.V. zur jährlich wiederkehrenden gleichnamigen Gedenkaktion zum 9. November ein. In diesem Jahr findet zum sechsten Mal das Gedenken mit Mahnwachen an den Stolpersteinen lokal, bundesweit und international statt. Diese Gedenkaktion wird erstmalig in Zusammenarbeit mit dem Erich-Zeigner-Haus e.V. organisiert.
So findet am Samstag, 9. November, um 17:00 Uhr der symbolische Beginn der Gedenkaktion “Mahnwache und Stolpersteine putzen” mit dem Reinigen der Stolpersteine für die Familie Frankenthal durch dem diesjährigen Schirmherr Prof. Dr. Cornelius Weiss, am ehemaligen Wohnort der Familie Frankenthal am Dittrichring 13 statt. Prof. Dr. Cornelius Weiss ist Wissenschaftler, ehemaliger sächsischer Landtagsabgeordneter sowie zuletzt Alterspräsident des Sächsischen Landtages. Er war von 1991 bis 1997 Rektor der Universität Leipzig.
Um 18 Uhr folgt dann an der benachbarten Gedenkstätte Gottschedstraße die Gedenkveranstaltung mit Andreas Müller, Erster Bürgermeister, Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Prof. Cornelius Weiss, Schirmherr der Gedenkaktion “Mahnwache und Stolpersteine putzen”, Zsolt Balla, Gemeinderabbiner, und Vertretern der Fraktionen des Leipziger Stadtrates, von Verbänden und Vereinen statt.
Musikalisch umrahmt vom Synagogalchor unter Leitung von Ludwig Böhme werden Andreas Müller, Erster Bürgermeister, Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, und Prof. Cornelius Weiss, Schirmherr der Gedenkaktion “Mahnwache und Stolpersteine putzen” in Ansprachen an die Geschehnisse erinnern. Nach dem Kaddisch-Gebet, das Gemeinderabbiner Zsolt Balla hält, werden am Denkmal Kränze niedergelegt und eine Schweigeminute gehalten.
An die Gedenkveranstaltung schließt sich um 19:30 Uhr im Saal des Ariowitschhauses das Konzert “Von der deutschen Bühne nach Jerusalem und wieder zurück” an. Dieses ist gleichzeitig Abschluss eines offenen Workshops mit Studenten der Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn Bartholdy”, der von Prof. Zvi Semel, Jerusalem Academy of Music and Dance, geleitet wurde. Der Eintritt zum Konzert ist frei.
Eine weitere Veranstaltung in diesem Zusammenhang gibt es am 11. November.
Am Montag, 11. November, um 10 Uhr lädt das Schulmuseum Leipzig zu einem Gespräch mit dem ehemaligen Leipziger Schlomo Samson in das Ariowitschhaus, (Hinrichsenstraße 14) ein. Der Eintritt ist frei. Das Schulmuseum Leipzig bittet bereits jetzt um Anmeldung: Tel. (0341) 213 05 68 oder Mail: info@schulmuseum-leipzig.de
Schlomo Samson wurde 1923 in Leipzig geboren und wohnte in der Gustav-Adolf-Straße 21, später in der Gottschedstraße. Er besuchte zunächst die 40. Volksschule (heute Sportmittelschule) später die Carlebachschule.
1938 wurde die Familie Samson auseinandergerissen: Im Januar 1938 wurde der Vater des Landes verwiesen, wenige Monate später auch sein Sohn Schlomo aufgrund eines harmlosen Schülerstreiches. Die Mütter flüchtete mit dem jüngeren Bruder 1939 erst nach Belgien, später in die Niederlande. Schlomo Samson wurde nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Holland in das Arbeitslager Westerbork deportiert, später nach Bergen-Belsen, wo sich die Familie erstmals nach der Vertreibung und Flucht wiedersah.
Schlomo Samson kam 1944 zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Siegfried auf die sogenannte “Palästina-Liste”, um gegen deutsche Gefangene in Palästina ausgetauscht zu werden. Er erkrankte 1945 an Flecktyphus und wurde noch am 9. April 1945 in Güterwagen auf einer Irrfahrt durch Deutschland transportiert. In der Niederlausitz wurde Schlomo Samson und wenige Überlebende dieses Transportes schließlich von der Roten Armee befreit. Schlomo Samson lebt seit 1946 mit seiner Familie im religiösen Kibbuz Schluchoth an der jordanischen Grenze.
Im Gedenken an die Reichspogromnacht vor 75 Jahren wird Schlomo Samson im Gespräch mit Elke Urban seine persönliche Geschichte als Holocaustüberlebender erzählen. Sein Buch “Zwischen Finsternis und Licht” kann bei der Gelegenheit gekauft und signiert werden.
Auch Markkleeberg ruft zur Mahnwache am 9. November auf
Am Sonnabend, 9. November, erinnert auch die Stadt Markkleeberg an alle Opfer der Pogromnacht von 1938. Aus diesem Anlass findet in der Zeit von 18:00 Uhr bis 18:30 Uhr eine Mahnwache in der Hauptstraße – Höhe des Gebäudes Nummer 3 – statt.
Die Wahl des Ortes ist kein Zufall. Hier liegen die ersten Stolpersteine in Markkleeberg. Das Haus in der Hauptstraße 3 ist der letzte, frei gewählte Wohnort der Familie Bamberger, bevor diese nach Durchzug durch verschiedene “Judenhäuser” 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Ludwig Bamberger stirbt 1942 in Theresienstadt, Olla Bamberger wird 1944 im KZ Auschwitz umgebracht. Ihre Kinder überleben den Holocaust. Die Stadtverwaltung Markkleeberg ruft die Einwohnerinnen und Einwohner zur Beteiligung an der Mahnwache auf. Mit ihrer Teilnahme setzen die Bürgerinnen und Bürger ein Zeichen für Toleranz im Miteinander, sie setzen ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen millionenfachen, systematischen Mord, organisierte Verfolgung und Entrechtung von Jüdinnen und Juden sowie der Ausgrenzung von Minderheiten.
Die Stolpersteine für Olla und Ludwig Bamberger wurden 2010 durch ein Projekt der Schüler des Berufsschulzentrums 2 Leipzig initiiert. Die Patenschaft für die Stolpersteine habe die Schüler übernommen.
www.9ternovember.de
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